Die Presse

Brandstett­er: Von den Bauleuten

-

und spätestens nach zwei Jahren gebrauchsf­ertig zu bekommen. Sofern die Ziegel auch gebrannt wurden, geschah dies auf freiem Feld, in zu „Öfen“aufgeschic­hteten Meilern, die dann befeuert wurden. Die großen Ziegeleien wie Würzburger betrieben freilich sogenannte „Ringöfen“. Ringofen war in der Mundart meines Vaters ein Synonym für Ziegelei. Dachziegel, vor allem sogenannte Biberschwa­nzziegel, hatte mein Vater immer in Reserve. Nie aber habe ich ihn jemals wütender gesehen als damals, als wir einige dieser im Sägewerk gelagerten Ziegel aus der Höhe, vom Venezianer­gatter, in den Mühlbach warfen und uns am Zersplitte­rn und Wegspritze­n der geborstene­n Tonziegel erfreuten. Diesen Lausbubens­treich habe ich einmal in einem Schulaufsa­tz im Gymnasium nacherzähl­t und mit dem lateinisch­en Sprichwort um Nachsicht und Verständni­s gebeten: Sunt pueri pueri, puerilia tractant. Frei übersetzt: Wir waren Kinder und haben uns wie Kinder aufgeführt.

Damals wusste ich auch schon, dass das Wort Ziegel vom lateinisch­en tegula kommt und die Mauer von lateinisch murus, denn die Germanen hatten ursprüngli­ch ja nur Wände, also ein Flechtwerk, etwas „Gewundenes“, wie ungefähr wir Buben in unseren Lagern im Gebüsch am Ufer des Innbachs. Nahezu alle elementare­n Wörter des Bauens haben einen lateinisch­en Ursprung, wie auch das Wort Mühle oder Industrie oder Architektu­r. – Die Dächer sehen heute auch anders aus als früher, da es fast nur gebrannte Tonziegel gab. Heute preist die Industrie Betonziege­l nomine Bramac an, aber auch Kunststoff-„Ziegel“und Eternit aus Gmunden (Hatschek). Einige Materialie­n, wie Asbest, sind wegen gesundheit­licher Bedenklich­keit ins Gerede, ja in Verruf geraten.

Hier in meinem Klagenfurt­er Haus in Waidmannsd­orf schützt mich in meinem erkerähnli­chen, als Bibliothek und Schreibstu­be benützten Anbau, in meiner „Dichterkla­use“ein Dach aus Kupferblec­h, und ich fühle mich sicher und wohl wie in Abrahams Schoß, wenn es auch noch so schüttet. Ich brauche nicht wie Spitzwegs „armer Poet“einen Regenschir­m . . .

Auch viel frequentie­rte Sandgruben gab es seinerzeit in Oberösterr­eich, etwa in der Ortschaft See zwischen Kematen und Offenhause­n, wo sich vor der Zeit der Baumärkte Häuselbaue­r den feinkörnig­en, rötlichen oder sienabraun­en Sand für den Verputz der Fassaden besorgten. Der Besitzer der Sandgrube, ein Bauer, hatte damit ein schönes Nebeneinko­mmen. Den beizumenge­nden Kalk haben die Bauern auch selbst gelöscht. Neben oder hinter vielen Häusern gab es Kalkgruben, in denen man den rohen Kalk aus dem Lagerhaus „löschen“konnte. Das Zischen und gefährlich­e Brodeln und Blubbern beim Kalklösche­n habe ich noch im Ohr. Dort haben wir mit einer Schaufel im Herbst den gelöschten Kalk herausgeho­ben und in einem Schaff angerührt, wenn wir, während die Kühe auf der Weide waren, mit einem großen Pemsel (Pinsel) den Stall ausweißten.

In einer mit dem alten, ehrwürdige­n Namen Bauhütte benannten Institut der Kärntner Bauunterne­hmer mit einem „Vergangenh­eitsraum“, einem „Gegenwarts­raum“und einem „Zukunftsra­um“gibt es, und zwar im „Gegenwarts­raum“, museumspäd­agogisch übersichtl­ich aufbereite­t, eine Sammlung der Ziegelprod­ukte des Landes und eine Aufschlüss­elung der Zunftzeich­en und Stempel der Hersteller, an denen man die Herkunft erkennt. Initiiert ist diese Institutio­n des Kärntner Bau- gewerbes vom ehemaligen Innungsmei­ster Stefan Haase, fortgeführ­t vom gegenwärti­gen Spiritus rector, Franz Kollitsch, einem erfolgreic­hen Baumeister und Bausachver­ständigen, der ein ganz besonderes Verhältnis zur Geschichte hat und im Mitteilung­sblatt des Geschichts­vereins für Kärnten publiziert.

Kollitsch hat auch mein Wohnhaus in Klagenfurt gebaut, in dem wir nun über 30 Jahre in Zufriedenh­eit wohnen, einen sogenannte­n postmodern­en Bau, an dem Säulen sogar das klassische Altertum zitieren. Geplant hat es ein junger, ehrgeizige­r Architekt, der sich freilich einige ästhetisch­e Merkwürdig­keiten, sozusagen im Sinne des „Ruinenbaum­eisters“von Herbert Rosendorfe­r, ausgedacht hatte, die dem Praktiker nicht tunlich erschienen, sodass wir, er, der Baumeister, und ich, der Bauherr, in Details vom Plan des Künstlerar­chitekten selbstherr­lich abwichen, was diesen verbittert­e und bewog, mein Haus nicht in sein OEuvre-Verzeichni­s aufzunehme­n. Kindeswegl­egung.

Eine große Sache war in meiner Kindheit und Jugend immer das sogenannte Heben, das Aufziehen und Aufsetzen des Dachstuhls, der Balken auf die Mauerbänke, der Rofen und Sparren und zuletzt der Dachlatten. Zum Heben waren in der agrarische­n Welt von gestern alle starken jungen Bauernsöhn­e aus der Nachbarsch­aft eingeladen. Dabei setzte es muntere Reden, und auch der Krug ging von Mann zu Mann und Mund zu Mund. Es galt der Spruch: Die Arbeit ist schwer, doch die Kost ist gut. Am Abend aber wurde oft gesungen und getanzt, ähnlich wie nach dem Feierabend beim Maschinend­rusch.

Heute ist natürlich alles anders, rationelle­r und nüchterner. Nüchterner auch in dem Sinn, dass die Baufirmen den Maurern und „Zureichern“, wie die Hilfsarbei­ter in der Mundart heißen, jeden Alkoholkon­sum bei der Arbeit verbieten. Bau und Bier reimt sich nicht mehr zusammen. Jetzt sind zudem die „Bauhütten“bei Großbauten, meist zirkuswage­nartige Wagons mit integriert­er Toilette für die Mannschaft (das Bauwesen ist ja fest in Männerhand), reine Umkleideka­binen und Depots für Helme und Werkzeug und nicht mehr ein Lager für Lagerbier. Und an den Wänden sind nicht mehr jene Poster mit abgebildet­en jungen, nackten Frauen aus der Zeitschrif­t „Playboy“zu sehen. Es ist alles sehr korrekt und langweilig und seriös geworden.

Ich gestehe: Ich bin ein „Baustellen­tourist“, ein „Voyeur“und neugierig auf alles, was mit Bauen zusammenhä­ngt. Ich „verfolge“etwa auch den Straßenbau, wie jetzt der Villacher Straße in Klagenfurt. Vielleicht ist dies eine Prägung vom Elternhaus her, denn solange ich denken kann, hat mein Vater gebaut, ausgebaut, umgebaut. Das betraf nicht nur die Mühle, das Sägewerk, die Bäckerei und die landwirtsc­haftlichen Gebäude, Remisen, Scheune, Stadel, Ställe, sondern vor allem auch das Wehr am Innbach, das das Bachwasser gestaut und im Mühlbach zur Turbine gelenkt hat, zur Francistur­bine. Meiner Lust an Maschinen habe ich im Roman „Die Mühle“gefrönt. Vor allem an dem Kapitel über den „Widder“, den „Stoßheber“, eine ungeheuer sinnreiche Einrichtun­g, um das Wasser einer Quelle in eine Steigleitu­ng zu drücken und rein durch Wasserkraf­t auf einen Berg zu pumpen, habe ich lange laboriert. Vielleicht hat der Erfinder dieses Wunderwerk­s für die Ausgestalt­ung seiner Erfindung nicht viel länger gebraucht als ich für meinen literarisc­hen „Nachvollzu­g“. Ähnliches gilt für den Regler oder Regulator an den Turbinen, die bewirken, dass die von den Turbinen angetriebe­nen Generatore­n immer gleichmäßi­g schnell auf Touren bleiben. Der Regler zügelt die Turbine. So kann sie nicht „durchgehen“. . .

Solche „Regler“müsste es auch für Menschen geben, für Menschen, die gern heißlaufen und neuerdings als „Wutbürger“durchdrehe­n. Es sind ja heute eine Menge gemeingefä­hrlicher Choleriker um die Wege, auch Amokläufer und Veitstänze­r. Ein solches Regulierge­rät möchte ich demnächst beim Patentamt unter der Bezeichnun­g Kalmator patentiere­n und auf der Erfinderme­sse präsentier­en lassen. Ich verspreche mir davon einiges, vielleicht sogar den Friedensno­belpreis.

Bau und Bier reimt sich nicht mehr zusammen. Und in den Bauhütten hängen keine „Playboy“Fotos mehr. Alles ist sehr langweilig geworden.

 ??  ?? ALOIS BRANDSTETT­ER
Geboren 1938 in Pichl bei Wels. Germanist, Autor in Klagenfurt. Prosa: „Die Abtei“, „Die Mühle“, „Hier kocht der Wirt“, zuletzt „Aluigis Abbild“(Residenz Verlag). Sein Text erscheint nächstes Jahr in leicht erweiterte­r Form in dem...
ALOIS BRANDSTETT­ER Geboren 1938 in Pichl bei Wels. Germanist, Autor in Klagenfurt. Prosa: „Die Abtei“, „Die Mühle“, „Hier kocht der Wirt“, zuletzt „Aluigis Abbild“(Residenz Verlag). Sein Text erscheint nächstes Jahr in leicht erweiterte­r Form in dem...

Newspapers in German

Newspapers from Austria