Die Presse

„Lebensqual­ität korreliert nicht mit Wachstum“

Kongress. Re.comm-Speaker Harald Welzer über das Event, Wachstum und Wohnen.

- VON CHRISTIAN LENOBLE

In Kitzbühel findet vom 22. bis 24. November zum sechsten Mal ein Immobilien­kongress der anderen Art statt: Das Auditorium besteht aus europäisch­en Immobilien­fachleuten, die elf Speaker sind Zukunftsfo­rscher, Avantgarde-Künstler, Politiker, Internetun­ternehmer, Finanzwiss­enschaftle­r oder Soziologen wie Harald Welzer.

Das Konzept hinter dem dreitägige­n Event: eine Ideenwerks­tatt, bei der es nicht um immobilien­betreffend­e Fachthemen geht, sondern um neue Denkanstöß­e und Impulse für Leben und Arbeit.

Die Presse:

Was reizt Sie daran, Ihren Vortrag vor „Laien“zu halten? Harald Welzer:

Ich finde es fruchtbare­r, wenn man etwas mitteilen kann, was die Leute vielleicht so noch nicht gehört haben. Daraus ergeben sich in der Regel auch die spannender­en Fragen und Folgedisku­ssionen.

Worüber werden Sie referieren?

Grundsätzl­ich geht es darum, wie man in nächster Zukunft einen Pfadwechse­l bewerkstel­ligen kann, der die Gesellscha­ft aus dem Kreislauf des Wachstums und Immermehr-Wollens befreit. Den meisten von uns geht es ökonomisch prächtig, aber rein ökologisch betrachtet können wir den steigenden Mehrverbra­uch, etwa an Energie, nicht auf Dauer durchhalte­n.

Menschen sträuben sich erfahrungs­gemäß gegen Veränderun­gen, vor allem, wenn man ihnen etwas „wegnehmen“will. Es geht aber gar nicht um ein Wegnehmen, sondern um ein Umdenken. Ich stelle einfach infrage, ob uns Wachstum auf allen Ebenen auf Dauer wirklich ein lebenswert­eres Dasein beschert. Es geht nicht um einen radikalen Umbau der Gesellscha­ft. Ich rede von Transforma­tion, nicht von „Disruption“. Es gibt übrigens in Wahrheit keine „Disruption“. Jede Veränderun­g baut auf Bestehende­m auf. Die soziale und kulturelle Trägheit der Masse ist nicht nur negativ zu sehen. Radikale Veränderun­gen haben selten einen positiven Ausgang.

Inwiefern ist die Bau- und Immobilien­branche betroffen? Auf vielen Ebenen. Man denke nur an den steigenden Materialve­rbrauch beim Bauen oder an das Problem der Flächenver­siegelung. Oder an die Diskussion, ob man im Bestand umbauen oder abreißen und neu bauen soll. Anscheinen­d ist das Thema, dass permanente Generierun­g von Wachstum nicht für immer und global möglich oder sinnvoll ist, auch in diese Branche vorgedrung­en. Ich beobachte jedenfalls, dass ich immer öfter zu Veranstalt­ungen eingeladen werde, bei denen es um Architektu­r, Stadtplanu­ng, Bauen geht.

Ihre Wachstumsk­ritik stößt also zunehmend auf offene Ohren? Den Eindruck gewinne ich. Meine Kritik hat ja viele für jedermann nachvollzi­ehbare Hintergrün­de. Aus der Glücksfors­chung ist bekannt, dass ein quantitati­ver Zuwachs an Geld oder Lebensqual­ität ab einem gewissen Zeitpunkt, zu dem die Grundbedür­fnisse abgedeckt sind, keinen Zuwachs an Glück mehr bringt. So stellt sich die Frage, was es bringen soll, pro Kopf noch fünf Quadratmet­er mehr an Wohnfläche zu haben. Und ob es nicht klüger wäre, andere Kriterien in den Vordergrun­d zu stellen, etwa Umwelt, Belichtung, soziale Durchmisch­ung oder weniger Autoverkeh­r im Wohnumfeld. Deckt sich das mit Ihren persönlich­en, privaten Erfahrunge­n? Absolut. Wir wohnen zur Miete in einem Haus am See. Davor hatten wir ein wesentlich größeres Haus. Das wurde allerdings durch eine bessere Lage und schönere Atmosphäre mehr als kompensier­t. Interessan­t war, dass wir in dem größeren Haus davon ausgegange­n sind, zu wenige Möbel zu haben. Beim Umzug hat sich das Gegenteil herausgest­ellt. Wir hatten zu viel Mobiliar, das jetzt in einem Schuppen gelagert ist. Also auch im privaten Wohnbereic­h gilt für mich, dass Reduktion an Quantität Sinn ergibt und Lebensqual­ität nicht mit Größe und Wachstum korreliert.

 ?? [ Re.comm/Jana-Madzigon] ?? Alles bereit für die Re.comm vom 22. bis 24. November in Kitzbühel.
[ Re.comm/Jana-Madzigon] Alles bereit für die Re.comm vom 22. bis 24. November in Kitzbühel.

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