„Lebensqualität korreliert nicht mit Wachstum“
Kongress. Re.comm-Speaker Harald Welzer über das Event, Wachstum und Wohnen.
In Kitzbühel findet vom 22. bis 24. November zum sechsten Mal ein Immobilienkongress der anderen Art statt: Das Auditorium besteht aus europäischen Immobilienfachleuten, die elf Speaker sind Zukunftsforscher, Avantgarde-Künstler, Politiker, Internetunternehmer, Finanzwissenschaftler oder Soziologen wie Harald Welzer.
Das Konzept hinter dem dreitägigen Event: eine Ideenwerkstatt, bei der es nicht um immobilienbetreffende Fachthemen geht, sondern um neue Denkanstöße und Impulse für Leben und Arbeit.
Die Presse:
Was reizt Sie daran, Ihren Vortrag vor „Laien“zu halten? Harald Welzer:
Ich finde es fruchtbarer, wenn man etwas mitteilen kann, was die Leute vielleicht so noch nicht gehört haben. Daraus ergeben sich in der Regel auch die spannenderen Fragen und Folgediskussionen.
Worüber werden Sie referieren?
Grundsätzlich geht es darum, wie man in nächster Zukunft einen Pfadwechsel bewerkstelligen kann, der die Gesellschaft aus dem Kreislauf des Wachstums und Immermehr-Wollens befreit. Den meisten von uns geht es ökonomisch prächtig, aber rein ökologisch betrachtet können wir den steigenden Mehrverbrauch, etwa an Energie, nicht auf Dauer durchhalten.
Menschen sträuben sich erfahrungsgemäß gegen Veränderungen, vor allem, wenn man ihnen etwas „wegnehmen“will. Es geht aber gar nicht um ein Wegnehmen, sondern um ein Umdenken. Ich stelle einfach infrage, ob uns Wachstum auf allen Ebenen auf Dauer wirklich ein lebenswerteres Dasein beschert. Es geht nicht um einen radikalen Umbau der Gesellschaft. Ich rede von Transformation, nicht von „Disruption“. Es gibt übrigens in Wahrheit keine „Disruption“. Jede Veränderung baut auf Bestehendem auf. Die soziale und kulturelle Trägheit der Masse ist nicht nur negativ zu sehen. Radikale Veränderungen haben selten einen positiven Ausgang.
Inwiefern ist die Bau- und Immobilienbranche betroffen? Auf vielen Ebenen. Man denke nur an den steigenden Materialverbrauch beim Bauen oder an das Problem der Flächenversiegelung. Oder an die Diskussion, ob man im Bestand umbauen oder abreißen und neu bauen soll. Anscheinend ist das Thema, dass permanente Generierung von Wachstum nicht für immer und global möglich oder sinnvoll ist, auch in diese Branche vorgedrungen. Ich beobachte jedenfalls, dass ich immer öfter zu Veranstaltungen eingeladen werde, bei denen es um Architektur, Stadtplanung, Bauen geht.
Ihre Wachstumskritik stößt also zunehmend auf offene Ohren? Den Eindruck gewinne ich. Meine Kritik hat ja viele für jedermann nachvollziehbare Hintergründe. Aus der Glücksforschung ist bekannt, dass ein quantitativer Zuwachs an Geld oder Lebensqualität ab einem gewissen Zeitpunkt, zu dem die Grundbedürfnisse abgedeckt sind, keinen Zuwachs an Glück mehr bringt. So stellt sich die Frage, was es bringen soll, pro Kopf noch fünf Quadratmeter mehr an Wohnfläche zu haben. Und ob es nicht klüger wäre, andere Kriterien in den Vordergrund zu stellen, etwa Umwelt, Belichtung, soziale Durchmischung oder weniger Autoverkehr im Wohnumfeld. Deckt sich das mit Ihren persönlichen, privaten Erfahrungen? Absolut. Wir wohnen zur Miete in einem Haus am See. Davor hatten wir ein wesentlich größeres Haus. Das wurde allerdings durch eine bessere Lage und schönere Atmosphäre mehr als kompensiert. Interessant war, dass wir in dem größeren Haus davon ausgegangen sind, zu wenige Möbel zu haben. Beim Umzug hat sich das Gegenteil herausgestellt. Wir hatten zu viel Mobiliar, das jetzt in einem Schuppen gelagert ist. Also auch im privaten Wohnbereich gilt für mich, dass Reduktion an Quantität Sinn ergibt und Lebensqualität nicht mit Größe und Wachstum korreliert.