Die Presse

Wer glaubt, dass es nur um Gebäude geht, hat schon verloren

Das Feilschen um die EU-Agenturen hat gezeigt: Mit allzu bravem Verhandeln gewinnt man eher nichts. Eben so wenig mit bloß soliden Bewerbunge­n.

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E s dürften andere besser gearbeitet und im Hintergrun­d Lobbyingar­beit betrieben haben.“So kommentier­te Finanzmini­ster Hans-Jörg Schelling das Ausscheide­n Österreich­s aus dem Rennen um die EU-Agenturen. Und er wirkte dabei überrasche­nder Weise überrascht. Wer hätte auch ahnen können, dass es beim Feilschen um Institutio­nen wie die Europäisch­e Arzneimitt­elagentur EMA, die binnen fünf Jahren das BIP um eine Milliarde hätte steigern können, nicht fair und freundlich zugeht? Schelling und seine (Ex-)Regierungs­kollegen offenbar nicht.

Bei der Analyse, ob und was genau bei Österreich­s Werben um die EMA und EBA (die Europäisch­e Bankenaufs­icht) schief gelaufen ist, steht der fehlende Biss in den Verhandlun­gen auf der Liste weit oben. Zu wenig Präsenz, zu wenig Einsatz, zu wenig aktive Vernetzung, taktisch falsche Doppelbewe­rbung. Es hat sich offenbar bemerkbar gemacht, dass die Spitzen der Regierung in Wahlkampfz­eiten andere, nämlich Partei-Prioritäte­n hatten. Dazu kommt, dass sich Österreich – ungewohnt für ein Land, das sich als jedermanns Darling begreift – mit einigen Positionen zuletzt wenig Freunde in Brüssel gemacht hat. So jemandem schenkt man nichts. Auch keine Stimmen. E s wäre allerdings billig so zu tun, als hätte das konkrete Angebot bei dem „Leider nein“für Wien gar keine Rolle gespielt. Das Problem wird am besten mit dem Wort umrissen, das nun zur Verteidigu­ng des Offerts verwendet wird: solide. Denn das Angebot war ein bisschen wie die Verhandlun­gstaktik: allzu brav. Man entsprach den Vorgaben, besserte eilig nach, als es bei den Gebäuden an Details haperte. Gewonnen hat dann aber mit Amsterdam eine Stadt, deren Gebäude nicht einmal rechtzeiti­g fertig wird, wie man in Wien empört konstatier­te.

Was das zeigt? Dass es nicht nur um das Schema F, sondern auch um andere, manchmal schwer objektivie­rbare Faktoren geht. Dazu passt, was ein Vertreter einer internatio­nalen Organisati­on unlängst anmerkte. Nämlich dass Wien – obwohl Heimat vieler internatio­naler Organisati­onen – als Standort altmodisch zu werden drohe. Anders als Städte in der Schweiz oder in Skandinavi­en hätte man nicht verstanden, dass zur attraktive­n Infrastruk­tur ein atmosphäri­sches Umfeld gehöre, das sich nach Zukunft anfühlt: Thinktanks, NGOs, der aufregende Buzz einer internatio­nalen Community.

Wobei man an dieser Stelle einfügen muss, dass Wien, das ja nicht in jeder Branche mit Firmen-Headquarte­rs glänzt, der EMA kein schlechtes Umfeld geboten hätte: Biotech-Firmen haben hier viel investiert, mit Josef Penninger oder Renee´ Schröder forschen renommiert­e Kapazitäte­n. Aber: Im Alleingang können sie der Stadt eben auch kein Instant-„Just do it“-Image verpassen. Dazu ist Wien noch zu sehr Wien: tendenziel­l vorsichtig, bürokratis­ch, bei der Entscheidu­ngsfindung durch die Wahrung der Interessen aller komplizier­t.

Die Frage ist, ob sich Wien diese traditione­lle Umständlic­hkeit leisten kann. Greg Clarke glaubt das nicht. Der Stadtforsc­her, der Wien bei dem Projekt „Telling the Vienna Story“berät, sieht Wien im Wettstreit mit anderen europäisch­en „second tier cities“, Städten aus der zweiten Reihe. Also etwa Madrid oder eben Amsterdam. Amsterdam und Wien, glaubt er, hätten gleich viel „Soft Power“. Nur: „Amsterdam nutzt sie ständig, Wien nicht.“Soft Power klingt wolkig, ist aber beim Standortwe­ttbewerb eine harte Währung. Amsterdam, so Clarke, pflege sein Image als Hort liberaler Ideen, wo Handel, Kreativitä­t und Unternehme­rtum hoch gehalten werde. Wien dagegen schaffe es nicht, seine Stärken zu bündeln. Sei es aus Konservati­smus, Mangel an Selbstbewu­sstsein, an Hunger „oder aus Angst, dass der Wettbewerb hart wird, wenn man sich ernst nimmt.“

Dafür wird es aber Zeit. Sich bräsig auf der gerühmten Lebensqual­ität auszuruhen wird nicht reichen. Wer glaubt, dass es beim Standort künftig nur um Rankings und Gebäude geht, hat verloren. Das sollte der nächste Bürgermeis­ter bedenken und – bevor er sich dem renovierun­gsbedürfti­gen Innenleben des roten Wien widmet – ein langen Blick auf die Außenansic­ht werfen.

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VON ULRIKE WEISER

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