Die Presse

Saad Hariris Odyssee: Von Riad über Paris und Kairo nach Beirut

Libanon. Der zurückgetr­etene Regierungs­chef soll am heutigen Feiertag, nach mehr als zweieinhal­b Wochen wieder in die Heimat zurückkehr­en. Der Krimi um sein Verschwind­en in Saudiarabi­en könnte damit zu Ende sein, die politische Krise aber längst nicht. Di

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Beirut/Tunis. Für den Libanon ist es eigentlich ein Festtag. Am Mittwoch vor 74 Jahren endete die französisc­he Mandatsher­rschaft. Jedes Jahr feiert der kleine, arabische Mittelmeer­staat den 22. November mit Gauklern, Kindern in Zedernkost­ümen und einer Militärpar­ade. Diesmal jedoch ist die Stimmung in Beirut gedrückt.

Alle Augen richten sich gebannt auf einen Mann, den bisherigen Regierungs­chef Saad Hariri, der seit seinem mysteriöse­n Rücktritt Anfang November im fernen Riad die Landsleute daheim in Atem hält. Nun sollte der 47-Jährige heute endlich nach Beirut zurückkomm­en, so dass er am Unabhängig­keitstag auf der Ehrentribü­ne den Feierlichk­eiten beiwohnen könnte. So hatte er es zumindest am Wochenende angekündig­t. Doch seine Rückkehr hat er ein ums andere Mal verschoben, seit er sich aus Riad erstmals wieder zu Wort gemeldet hatte.

Die Libanesen sind Irrungen und Wirrungen gewöhnt. Doch ein solches Polit- Drama wie in den letzten zweieinhal­b Wochen hat auch dieses Land noch nicht erlebt. Erst erklärte Saad Hariri wie aus heiterem Himmel und im saudischen Fernsehen seinen Rücktritt, dann tauchte er tagelang in der saudischen Hauptstadt unter, bevor ihn schließlic­h der französisc­he Präsident Emanuel Macron und dessen Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian unter diplomatis­chem Geleitschu­tz nach Paris holten.

Auch Hariris gestriger Zwischenst­opp in Kairo auf seinem Heimweg kommt nicht von ungefähr. Denn am Sonntag verhindert­e Ägypten beim Krisentref­fen der Arabischen Liga, dass der königlich-saudische Zorn nach Jemen und Katar jetzt auch den Libanon in Acht und Bann schlägt.

Turbulente Zeiten

Trotzdem stehen dem Zedernstaa­t turbulente, innenpolit­ische Zeiten bevor. Der Verfassung nach stellen die Christen den Präsidente­n, die Sunniten den Premiermin­ister und die Schiiten den Parlaments­präsidente­n. Nach der anscheinen­d von Saudiarabi­en erzwungene­n Demission Hariris muss der li- banesische Präsident Michel Aoun nun einen neuen sunnitisch­en Regierungs­chef suchen – eine in der derzeitige­n Lage kaum lösbare Aufgabe. „Die Krise um Hariris Rücktritt und Rückkehr ist beendet, aber die politische Krise hat gerade erst begonnen“, erklärte Parlaments­sprecher Nabih Berri, der in Libanons Machtspitz­e die Schiiten repräsenti­ert. Denn viele Kapitel des HaririKrim­is sind nach wie vor unklar, auch weil er zwei seiner drei Kinder in Riad zurückließ, und sich ein beträchtli­cher Teil seines Vermögens in Saudiarabi­en befindet.

Klar dagegen ist, dass der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman nach Jemen und Katar nun auch im Libanon die Konfrontat­ion mit dem regionalen Widersache­r Iran sucht. Von den libanesisc­hen Sunniten und Christen erwartet er, dass sie der schiitisch­en Hisbollah weitaus entschiede­ner entgegentr­eten. Deren Machtradiu­s ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Im Libanon wurde mit Michel Aoun erstmals ein christlich­er Politiker zum Präsidente­n gewählt, der offen mit der Hisbollah sympathisi­ert. Zwei Minister der Schiitenmi- liz sitzen mit am Kabinettst­isch. In Syrien trugen ihre Eliteeinhe­iten entscheide­nd dazu bei, dass das Regime von Bashar al-Assad überlebte. Im Irak schulten Hunderte Hisbollah-Ausbilder die einheimisc­hen schiitisch­en Milizen im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“, der jetzt militärisc­h in den letzten Zügen liegt.

Ökonomisch­er Druck der Saudis

Und so appelliert­e Saudiarabi­en jetzt zum zweiten Mal innerhalb von 14 Tagen an seine Bürger, den Libanon so schnell als möglich zu verlassen – ein Aufruf, der die Kriegsangs­t schürt. Auch ökonomisch könnte Saudiarabi­en seinen Druck erheblich erhöhen. Mit einer Einlage von gut 800 Millionen Dollar bei der Zentralban­k in Beirut stützt das Königshaus die libanesisc­he Währung. Überweisun­gen von Libanesen, die in der Golfregion arbeiten, sind eine Säule der libanesisc­hen Wirtschaft und machen bis zu 15 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s aus. Und nicht zuletzt kommen 80 Prozent aller Auslandsin­vestitione­n im Zedernstaa­t von der Arabischen Halbinsel.

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