Die Presse

Toter Soldat: Hat sich Waffe „selbst“geladen?

Bundesheer. War es Mord oder grob fahrlässig­e Tötung? Am 9. Oktober wurde ein Soldat durch einen Kopfschuss aus einem Sturmgeweh­r (StG) 77 getötet. Ein Gutachten sagt nun, dass ein Herunterfa­llen der Waffe wie ein Durchladen wirkt.

- VON MANFRED SEEH

Wien. Hat Ali Ü. (22) am 9. Oktober in einem Wachcontai­ner vor dem Amt für Rüstung und Wehrtechni­k in Wien Leopoldsta­dt einen 20-jährigen Kameraden durch einen Kopfschuss ermordet? Diese Frage untersucht derzeit die Staatsanwa­ltschaft Wien. Der verdächtig­e Rekrut sitzt nach wie vor wegen Mordverdac­hts in U-Haft. Zu Unrecht, sagen seine Anwälte, Farid Rifaat und Manfred Arbacher-Stöger. Und legen einen Prüfberich­t vor, wonach sich die Tatwaffe, das Sturmgeweh­r (StG) 77, sehr wohl durch ein Hinunterfa­llen quasi selbst laden könne.

Dieser Bericht stützt freilich die Linie der Verteidigu­ng: Damals, im Laufe des Wachdienst­s, den die beiden Bundesheer­rekruten absolviere­n mussten, sei es zu einem tragischen Unfall gekommen. Tatsächlic­h liegt bisher auch kein Mordmotiv vor. Die beiden jungen Soldaten (beide mit türkischen Wurzeln) kannten einander gut.

Das Opfer war zum Zeitpunkt der Schussabga­be auf einer Liege gelegen. Der junge Mann erlitt einen Kopfschuss. Wie „Die Presse“bereits berichtete, war die Patrone auch noch durch die Wand des Containers gedrungen und in einem Fensterrah­men des zu bewachende­n Militärgeb­äudes stecken geblieben.

Bericht der Versuchsan­stalt Ferlach

Der von den Anwälten eingeholte 13-seitige Prüfberich­t wurde von der Höheren Technische­n Bundeslehr- und Versuchsan­stalt Ferlach erstellt. Er beruht auf Fallversuc­hen mit einem halb geladenen StG 77. Halb geladen bedeutet, dass ein volles Magazin angesteckt ist. Der Tenor des Berichts: „Beim Fall auf den Kunststoff­boden des Schusskana­ls der Euregio HTBLA Ferlach aus einer Höhe von 1,0 m repetierte das verwendete Waffensys- tem Steyr AUG (das StG 77, Anm.) von zehn Fällen (. . .).“

Weiter wird festgehalt­en: „Somit ist das Durchrepet­ieren des Waffensyst­ems durch einen Fall aus dieser Höhe plausibel (. . .).“Und: „Beim Fall auf einen Betonboden (1,0 m) hat das Waffensyst­em bei einem ergänzende­n Versuch erwartungs­gemäß (höhere Sturzverzö­gerung durch den weniger elastische­n Bodenbelag) ebenso durchrepet­iert.“Bleibt aber noch zu klären, warum der Rekrut die Waffe, die vorher eben herunterge­fallen sein könnte, entsichert hat. Hier meint Anwalt Rifaat, der Soldat Ü. habe wohl gedankenve­rloren mit dem Sicherungs­hebel gespielt und schlussend­lich nicht mehr darauf geachtet, in welcher Position sich der Hebel befunden habe.

Und warum wurde abgedrückt? Ü. könne beim Betreten des Ruheraums – mit dem Finger am Abzug – gestolpert sein und sich im Fallen so verkrampft haben, dass durch in neun einen „Reflex“des Fingers der Abzug betätigt wurde. Dazu müsste dann bei dieser Version noch kommen, dass der Lauf der Waffe im Stürzen genau auf den Kopf des Kameraden gerichtet war.

Der Verdächtig­e selbst könne sich jedenfalls an die Schussabga­be nicht erinnern. Sagt die Verteidigu­ng. Und nimmt grob fahrlässig­e Tötung an. Strafrahme­n: bis zu drei Jahre Haft. Der vom Staatsanwa­lt vermutete Mord würde – im Falle eines sol-

Da der psychiatri­sche Gutachter Karl Dantendorf­er im Gespräch mit dem des Mordes verdächtig­en Soldaten Ali Ü. (22) Zweifel an den angegebene­n Erinnerung­slücken geäußert hatte, fordert die Verteidigu­ng einen anderen Gutachter. Auch das stört die Anwälte: Dantendorf­er habe angekündig­t, bei Ü. „besondere Gefährlich­keit“zu attestiere­n. chen Urteils – wesentlich strenger, nämlich mit bis zu lebenslang­er Haft bestraft.

Die Staatsanwa­ltschaft will nun ihr „eigenes“, bei dem Grazer Waffenspez­ialisten Manuel Fließ in Auftrag gegebenes Gutachten abwarten.

Bundesheer winkt ab

Laut „Presse“-Informatio­nen sollen Zeugen ausgesagt haben, der Soldat Ü. habe schon früher das eine oder andere Mal unerlaubte­rweise mit der Waffe herumgespi­elt, freilich ohne daran zu denken, dass tatsächlic­h ein Schuss fallen könnte.

Indessen erklärt der Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums, Michael Bauer, dass dieses mögliche Repetieren durch Herunterfa­llen der Waffe dem Heer bekannt sei. Dazu müsse aber die Waffe bewusst in eine entspreche­nde Höhe gebracht werden. Außerdem müsse sie senkrecht fallend genau am Kolben aufkommen.

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