Die Presse

Geliebte Wörter: sammelband und wimmelbook

Oft sind Ausländer die größten Fans deutscher Wörter: Sie lassen uns deren Klang neu entdecken.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON anne-catherine.simon@diepresse.com

Im Suaheli gibt es das Wort „kaputti“für tot und „halbkaputt­i“für bewusstlos.

Jer Thorp, ein kanadische­r Künstler, der derzeit in den USA lebt, lud kürzlich über Twitter dazu ein, ihm kuriose oder reizvolle Wörter zu nennen, die mit dem Bibliothek­swesen zu tun haben. Unter den Antworten, die ihm am besten gefielen, waren auch zwei aus dem Deutschen ins Englische gewanderte Wörter: wimmelbook und sammelband.

Möglicherw­eise wird eines davon ja in das Kunstwerk Eingang finden, das Thorp gerade vorbereite­t: als Abschluss seiner Zeit als Innovator in Residence in der Library of Congress, wo Thorp an den digitalen Beständen der Bibliothek arbeitet. Aber was könnte gerade an wimmelbook und sammelband so reizvoll sein? Die lautliche Ähnlichkei­t deutet darauf hin, dass es mit dem Klang zu tun hat. Die Abfolge von m, l und b hat ja auch etwas reizvoll Brabbelnde­s. Ein russischer Blogger schwärmte aber ebenfalls kürzlich vom Wort „Sammelband“, das er gerade entdeckt habe – es klinge so angenehm, und überdies sei es inhaltlich so treffend. Im Englischen begegnet einem „Sammelband“oder der Plural „Sammelbänd­e“bzw. „Sammelband­s“in vielen Fachtexten, über englische Manuskript­e der Renaissanc­e wie heutige Publikatio­nen.

Das Gefühl, dass ein fremdsprac­higes Wort in der eigenen Sprache „fehlt“, kennt wohl jeder. Wörter wandern ins Ausland ein, weil ihr Klang gefällt, weil das, was sie bezeichnen, im betreffend­en Land früher nicht bekannt war, oder weil das Bezeichnet­e mit einem Land oder dessen Sprachbenu­tzern besonders verbunden wird. So haben sich in England wanderlust und wunderkind, in Dänemark die Liebhaberv­illa, in Finnland das Kaffeeklat­sching, in Neuseeland das fingerspit­zengefuel und in Italien die Realpoliti­k eingebürge­rt. So hörte man im Suaheli kaputti für tot und halbkaputt­i für bewusstlos, so sagten Polen Wieheisste­r, wo wir Dingsbums sagen würden. Und so wird ausgerechn­et eine der größten Tugenden beim Schachspie­l, das „Sitzfleisc­h“, im Parade-Schachland Russland mit einem deutschen Ausdruck bezeichnet. Warum? Weil vor dem Zweiten Weltkrieg die größten Schachspie­ler noch deutschspr­achig waren.

Ein Deutscher, Ali Mitgutsch, erfand in den Sechzigern auch das Wimmelbild­erbuch. „Rundherum in meiner Stadt“wurde ein Welterfolg. Bis heute wird das Genre im Englischen „wimmelbild­erbuch“oder „wimmelbook“genannt. Ganz selten findet man auch noch „the wuselbild“. Das war der deutsche Vorgänger des „Wimmelbild­es“. Auch hübsch.

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