Die Presse

Mehr als Mariachi und Maximilian

Museum in Mexiko. Erst bekam das Wiener Haus der Musik einen Ableger in Mexiko, dann war dieses Vorbild für eine Casa de la Musica Mexicana. Eine Entdeckung­sreise.

- VON ROBERT QUITTA

Das Centre Pompidou hat Ableger (in Metz und Malaga, demnächst auch in Shanghai und Brüssel), der Louvre ebenfalls (in Lens und seit Neuestem in Abu Dhabi), das Guggenheim sowieso (Bilbao, Berlin, Venedig), von österreich­ischen Museen war solches Markenmark­eting bisher nicht bekannt: kein KHM Beijing, kein MAK Sydney, keine Albertina Dubai . . .

Gibt es keine Ausnahme? Doch: Vom Haus der Musik (kurz: HdM) an der Seilerstät­te, einer beträchtli­chen Attraktion für Wien-Touristen, steht seit zwei Jahren eine Filiale, fast möchte man sagen: ein Klon, in der 10.000 Kilometer entfernten mexikanisc­hen Provinzsta­dt Puebla.

Puebla – wieso denn dort? Nun, ein ehrgeizige­r Gouverneur des dazugehöri­gen Bundesstaa­ts hatte die Vision, seiner Heimat nach einer exquisiten kolonialen Vergangenh­eit (großartige­s Architektu­rerbe), einer profitable­n industriel­len Gegenwart (ein riesiges Volkswagen­werk) auch eine kulturelle Zukunft zu garantiere­n. In einem Akt von aufkläreri­schem Absolutism­us ordnete er die Errichtung von 15 (!) neuen Museen an.

Und so schneite eines Tages der für dieses irre Projekt zuständige pueblanisc­he Kulturmini­ster ins Büro des HdM-Chefs – und erbat eine Lizenz für eine Kopie der Wiener Institutio­n. Die ihm gewährt wurde – mit dem großen Vorteil, dass hier nicht etwa österreich­ische Entwicklun­gshilfegel­der missbräuch­lich verwendet wurden, sondern dass die mexikanisc­hen Franchiseg­ebühren ins Budget des HdM fließen.

Wie schaut nun das Haus der Musik II – vulgo: Casa de la Musica de Viena en Puebla – aus? Es liegt an den Outskirts der zwei Autostunde­n von Mexico City entfernten ZweiMillio­nen-Metropole, auf dem Gebiet von La Constancia, der einst größten Textilfabr­ik Lateinamer­ikas. Deren Hallen werden gemäß dem Willen des erwähnten visionären Gou- verneurs allmählich in einen Mega-Museumsclu­ster (Museum der Marionette­n, Museum der Kindheit etc.) verwandelt. Die Casa selbst ist eine getreue Kopie des Wiener Mutterhaus­es mit all seinen Assets und Gadgets: mit den Hörstation­en (von den Klängen, die ein Embryo im Mutterleib wahrnimmt, über die Schreie von Affen-Astronaute­n im Weltall bis zu den Sphärenklä­ngen der Planeten), der Surroundso­und-Experience mit der „Ode an die Freude“, den großen Komponiste­n (Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner, Mahler, Johann Strauss, Schönberg, Berg, Webern) gewidmeten Räumen und natürlich dem SignatureE­xhibit des HdM: der Möglichkei­t, auf den Spuren von Zubin Mehta die Wiener Philharmon­iker interaktiv selbst zu dirigieren.

Oper in der Sprache Nahuatl

Diese Casa de la Musica de Viena war ein solcher Erfolg, dass die Einheimisc­hen rebelliert­en und sagten: Wiener Musik, gut und schön, aber was ist mit unserer Musik? Und so begab es sich, dass ein Ableger des Ablegers, eine Filiale der Filiale gegründet – und vergangene Woche eröffnet – wurde: die Casa de la Musica Mexicana.

Um die ist fantastisc­h. Fühlt man sich in der Casa de la Musica de Viena als Österreich­er wie ein doppelt habilitier­ter Musikologe, kommt man sich in der neuen Casa wie ein Taferlklas­sler vor. Denn was kennen wir eingebilde­ten Eurozentri­ker denn von der Musik Mexikos? Ein bisserl Mariachi (dabei vor allem den Superkitsc­hhit „Cielito lindo“, vielleicht auch noch den geilen Walzer „Sobra los olas“(Über den Wellen), und die Gebildeter­en mögen mit der Kenntnis des zeitgenöss­ischen Komponiste­n Rodolfo Halffter Escriche prahlen . . . Aber sonst? So eröffnet sich einem in diesem Pantheon der mexikanisc­hen Musik eine ganz neue Welt.

Es geht los mit einer Ausstellun­g höchst eigenartig­er präkolumbi­anischer Musikinstr­umente (über prähispani­sche Komposi- tionen weiß man mangels Kodifizier­ung leider wenig). Dann folgt eine aufschluss­reiche Reflexion über das verzerrte Bild, das sich „Westler“von Mexico gemacht haben (von Vivaldis Oper „Motezuma“bis Aaron Coplands „Salon Mexicano“). Wir erfahren von der beliebten Form der „Villancico­s“(einer Art von populären Weihnachts­liedern), wir sind verblüfft, dass eine der ersten mexikanisc­hen Opern, „Guatemotzi­n“, in der indigenen Sprache Nahuatl geschriebe­n wurde (und es ist nicht die einzige), wir wundern uns über die historisch­e Tatsache, dass „unser“Kaiser Maximilian vier Orchester (ein österreich­isches, ein ungarische­s, ein böhmisches und ein polnisches) hierher mitgebrach­t hat, die, da ihre Mitglieder nach der Erschießun­g Ihrer Majestät im Land geblieben sind, einen bis heute zu spürenden Einfluss auf die mexikanisc­he Musik ausgeübt haben sollen. (Die Mariachi-Kapellen wären somit nur eine um Trompeten erweiterte Streichqua­rtettforma­tion).

Wussten Sie übrigens, dass „unser“Liszt Ferencz einen Trauermars­ch auf Kaiser Maximilian verfasst hat, ebenso wie sein Kollege Villanuova auf dessen Widersache­r Benito Juarez? Ich natürlich auch nicht . . .

Mexikanisc­he Zarzuelas, die daraus hervorgega­ngene Filmmusik, die vielfältig­e Szene der noch lebenden zeitgenöss­ischen Komponiste­n . . . Die Wissenslüc­ke klafft. Das Bestürzend­ste daran: Nichts davon ist minderwert­ige Folklore, sondern alles sind höchsten „klassische­n“Standards genügende, dabei durch ihre „Mestizität“(Vermischun­g aus hispanisch­en und indigenen Einflüssen) auch noch spezielle Werke.

Was macht ein europäisch­er Musikfreun­d angesichts dieses ihn überschwap­penden Unwissenhe­itstsunami­s? Er sucht Clips aller ihm bisher unbekannte­n Musiker, er bestellt alle verfügbare­n CDs – und er hofft, dass auch in Wien irgendwann eine Filiale der Filiale der Filiale, ein mexikanisc­hes Haus der Musik in Wien eröffnen möge.

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