Mehr als Mariachi und Maximilian
Museum in Mexiko. Erst bekam das Wiener Haus der Musik einen Ableger in Mexiko, dann war dieses Vorbild für eine Casa de la Musica Mexicana. Eine Entdeckungsreise.
Das Centre Pompidou hat Ableger (in Metz und Malaga, demnächst auch in Shanghai und Brüssel), der Louvre ebenfalls (in Lens und seit Neuestem in Abu Dhabi), das Guggenheim sowieso (Bilbao, Berlin, Venedig), von österreichischen Museen war solches Markenmarketing bisher nicht bekannt: kein KHM Beijing, kein MAK Sydney, keine Albertina Dubai . . .
Gibt es keine Ausnahme? Doch: Vom Haus der Musik (kurz: HdM) an der Seilerstätte, einer beträchtlichen Attraktion für Wien-Touristen, steht seit zwei Jahren eine Filiale, fast möchte man sagen: ein Klon, in der 10.000 Kilometer entfernten mexikanischen Provinzstadt Puebla.
Puebla – wieso denn dort? Nun, ein ehrgeiziger Gouverneur des dazugehörigen Bundesstaats hatte die Vision, seiner Heimat nach einer exquisiten kolonialen Vergangenheit (großartiges Architekturerbe), einer profitablen industriellen Gegenwart (ein riesiges Volkswagenwerk) auch eine kulturelle Zukunft zu garantieren. In einem Akt von aufklärerischem Absolutismus ordnete er die Errichtung von 15 (!) neuen Museen an.
Und so schneite eines Tages der für dieses irre Projekt zuständige pueblanische Kulturminister ins Büro des HdM-Chefs – und erbat eine Lizenz für eine Kopie der Wiener Institution. Die ihm gewährt wurde – mit dem großen Vorteil, dass hier nicht etwa österreichische Entwicklungshilfegelder missbräuchlich verwendet wurden, sondern dass die mexikanischen Franchisegebühren ins Budget des HdM fließen.
Wie schaut nun das Haus der Musik II – vulgo: Casa de la Musica de Viena en Puebla – aus? Es liegt an den Outskirts der zwei Autostunden von Mexico City entfernten ZweiMillionen-Metropole, auf dem Gebiet von La Constancia, der einst größten Textilfabrik Lateinamerikas. Deren Hallen werden gemäß dem Willen des erwähnten visionären Gou- verneurs allmählich in einen Mega-Museumscluster (Museum der Marionetten, Museum der Kindheit etc.) verwandelt. Die Casa selbst ist eine getreue Kopie des Wiener Mutterhauses mit all seinen Assets und Gadgets: mit den Hörstationen (von den Klängen, die ein Embryo im Mutterleib wahrnimmt, über die Schreie von Affen-Astronauten im Weltall bis zu den Sphärenklängen der Planeten), der Surroundsound-Experience mit der „Ode an die Freude“, den großen Komponisten (Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner, Mahler, Johann Strauss, Schönberg, Berg, Webern) gewidmeten Räumen und natürlich dem SignatureExhibit des HdM: der Möglichkeit, auf den Spuren von Zubin Mehta die Wiener Philharmoniker interaktiv selbst zu dirigieren.
Oper in der Sprache Nahuatl
Diese Casa de la Musica de Viena war ein solcher Erfolg, dass die Einheimischen rebellierten und sagten: Wiener Musik, gut und schön, aber was ist mit unserer Musik? Und so begab es sich, dass ein Ableger des Ablegers, eine Filiale der Filiale gegründet – und vergangene Woche eröffnet – wurde: die Casa de la Musica Mexicana.
Um die ist fantastisch. Fühlt man sich in der Casa de la Musica de Viena als Österreicher wie ein doppelt habilitierter Musikologe, kommt man sich in der neuen Casa wie ein Taferlklassler vor. Denn was kennen wir eingebildeten Eurozentriker denn von der Musik Mexikos? Ein bisserl Mariachi (dabei vor allem den Superkitschhit „Cielito lindo“, vielleicht auch noch den geilen Walzer „Sobra los olas“(Über den Wellen), und die Gebildeteren mögen mit der Kenntnis des zeitgenössischen Komponisten Rodolfo Halffter Escriche prahlen . . . Aber sonst? So eröffnet sich einem in diesem Pantheon der mexikanischen Musik eine ganz neue Welt.
Es geht los mit einer Ausstellung höchst eigenartiger präkolumbianischer Musikinstrumente (über prähispanische Komposi- tionen weiß man mangels Kodifizierung leider wenig). Dann folgt eine aufschlussreiche Reflexion über das verzerrte Bild, das sich „Westler“von Mexico gemacht haben (von Vivaldis Oper „Motezuma“bis Aaron Coplands „Salon Mexicano“). Wir erfahren von der beliebten Form der „Villancicos“(einer Art von populären Weihnachtsliedern), wir sind verblüfft, dass eine der ersten mexikanischen Opern, „Guatemotzin“, in der indigenen Sprache Nahuatl geschrieben wurde (und es ist nicht die einzige), wir wundern uns über die historische Tatsache, dass „unser“Kaiser Maximilian vier Orchester (ein österreichisches, ein ungarisches, ein böhmisches und ein polnisches) hierher mitgebracht hat, die, da ihre Mitglieder nach der Erschießung Ihrer Majestät im Land geblieben sind, einen bis heute zu spürenden Einfluss auf die mexikanische Musik ausgeübt haben sollen. (Die Mariachi-Kapellen wären somit nur eine um Trompeten erweiterte Streichquartettformation).
Wussten Sie übrigens, dass „unser“Liszt Ferencz einen Trauermarsch auf Kaiser Maximilian verfasst hat, ebenso wie sein Kollege Villanuova auf dessen Widersacher Benito Juarez? Ich natürlich auch nicht . . .
Mexikanische Zarzuelas, die daraus hervorgegangene Filmmusik, die vielfältige Szene der noch lebenden zeitgenössischen Komponisten . . . Die Wissenslücke klafft. Das Bestürzendste daran: Nichts davon ist minderwertige Folklore, sondern alles sind höchsten „klassischen“Standards genügende, dabei durch ihre „Mestizität“(Vermischung aus hispanischen und indigenen Einflüssen) auch noch spezielle Werke.
Was macht ein europäischer Musikfreund angesichts dieses ihn überschwappenden Unwissenheitstsunamis? Er sucht Clips aller ihm bisher unbekannten Musiker, er bestellt alle verfügbaren CDs – und er hofft, dass auch in Wien irgendwann eine Filiale der Filiale der Filiale, ein mexikanisches Haus der Musik in Wien eröffnen möge.