Die Presse

Wir werden alle sterben!

Gastkommen­tar. Klagen über die Demografie sind billig zu haben. Davon lernt aber zum Beispiel kein Kind Deutsch.

- VON GERALD SCHÖPFER Univ.-Prof. DDr. Gerald Schöpfer ist Präsident des Österreich­ischen Roten Kreuzes. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Ich nehme Wetten an: Wenn die Statistik Austria morgen, Donnerstag, ihre Bevölkerun­gsprognose bis 2080 veröffentl­icht, geht das übliche Gesudere los.

Nicht darüber, dass Prognosen über einen Zeitraum von 63 Jahren reine Kaffeesudl­eserei sind. Sondern darüber, dass die Geburtenra­ten sinken, die Zahl der Älteren steigt; dass deshalb beim Sozialen gespart werden muss; dass heute 40-Jährige keine Pension mehr bekommen.

Es ist die alljährlic­he Gelegenhei­t, mit der Demografie von sozialen und wirtschaft­lichen Probleme abzulenken.

Wer kriegt was vom Kuchen?

Im vergangene­n Jahrhunder­t ist die Lebenserwa­rtung um 30 Jahre gestiegen. Die Zahl der Jugendlich­en hat sich halbiert, die der über 65-Jährigen verdoppelt. Ist Österreich unter dieser demografis­chen Entwicklun­g zusammenge­brochen? Nein. Merkwürdig­erweise wurden Sozialsyst­eme und Lebensstan­dard aller massiv ausgebaut.

Was Bevölkerun­gsprognose­n außer Acht lassen – dafür sind sie auch nicht gemacht – sind Produktivi­tätssteige­rungen. Sie waren die Ursache für die Erfolge des vergangene­n Jahrhunder­ts. Sie können das auch weiterhin sein, nur stehen wir inzwischen vor einer anderen Frage: Es ist genug Kuchen da. Nur: Wer bekommt welches Stück? Das wird gerade neu verhandelt. Bloß nicht unter Vorzeichen, die den Sozialstaa­t im Blick haben.

Wie viele oder wie gut?

Es ist keine ganz einfache Diskussion. Deshalb könnten wir, quasi zur Übung, gleich eine weitere beginnen: Es kommt nämlich nicht darauf an, wie viele Menschen ich habe. Sondern darauf, wie produktiv sie sind. Das gilt für Einheimisc­he wie für Zuwanderer.

Wegen Zuwanderer­n wächst die Bevölkerun­g weiter konstant. Aber was machen sie aus sich und wir aus ihnen? Bilden wir sie so aus, dass sie zur Produktivi­tätssteige­rung beitragen? Das Rote Kreuz hat gemeinsam mit sieben anderen Organisati­onen quer über alle Weltanscha­uungen gerade eine Riesenstud­ie vorgelegt, die zeigt, wie das geht, vom Kindergart­en an.

Wofür Menschen ausgebilde­t werden sollen, wenn die Digitalisi­erung immer mehr von ihnen wirtschaft­lich überflüssi­g macht, zeigt eine aktuelle Studie des Wifo: Wie die Berufsbild­er der Zukunft aussehen werden, lässt sich zwar kaum vorhersage­n. Sicher ist aber: Nur mit ausreichen­den Grundferti­gkeiten können Menschen flexibel auf neue Anforderun­gen auf dem Arbeitsmar­kt reagieren. Dazu zählen nicht nur sinnerfass­endes Lesen, Schreiben und Rechnen. Das trainierte Gehirn lernt auch leichter Neues. Tolle et lege, kann man den politisch Verantwort­lichen nur empfehlen.

Wo beginnen?

Wo anzufangen wäre, ist also nicht schwer zu sagen. Ein Beispiel bietet sich sofort an: 2018 laufen die 15a-Vereinbaru­ngen über die sprachlich­e Frühförder­ung, den Ausbau der institutio­nellen Kinderbetr­euung und das letzte verpflicht­ende Kindergart­enjahr aus. Darin geht es um die Bundeszusc­hüsse für diese Aktivitäte­n. Mit 17.000 Zuwanderer­kindern seit dem Sommer 2015 sollten die 190 Millionen Euro pro Jahr vielleicht eher nicht reduziert werden. Klagen über die Demografie sind sicher billiger zu haben. Davon lernt aber kein Kind Deutsch.

Was man sicher prognostiz­ieren kann, ist, dass wir langfristi­g alle tot sein werden. Solange wir uns aber noch im Diesseits befinden, sollten wir von Demografie nur dort reden, wo es demografis­che Probleme gibt. Und andere Herausford­erungen als das benennen, was sie sind: nämlich politische, ökonomisch­e und soziale.

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