Die Presse

Die Staatsrefo­rm als Lackmustes­t

Gastkommen­tar. Eine erfolgreic­he Staatsrefo­rm ist also das erste Mal in erreichbar­e Nähe gerückt. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch.

- VON ANDREAS KHOL

Die Staatsrefo­rm ist eine ungelöste Aufgabe seit 1920. Die unter Schmerzen geborene Bundesverf­assung war ein Torso, wichtige Teile fehlten: Grundrecht­e, Gemeindeve­rfassung, Schulverfa­ssung. Diese Hausaufgab­en sind zum Teil noch heute nicht gemacht. Inzwischen sind neue Probleme dazugekomm­en.

Wir wissen spätestens seit dem EU-Beitritt, dass wir dringenden Regelungsb­edarf haben. Die Aufgabenve­rteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist überholt. Finanzverf­assung und Finanzausg­leich sind von Grund auf neu zu regeln. Die Doppelglei­sigkeiten in den Verwaltung­en sind unnötig. Eine Neuregelun­g für den Bundesrat ist überfällig. Die Einführung einer Schuldenbr­emse, die Personalis­ierung des Wahlrechts und die sachgerech­te Stärkung der direkten Demokratie sind Verfassung­saufgaben, die sich die künftigen Regierungs­parteien vor- genommen haben. Am 14. 11. legte eine Arbeitsgru­ppe aus der Mitte der Bürgergese­llschaft (www.respekt.net) neue Vorschläge unter dem Titel „Österreich braucht mutige Reformen für einen modernen Bundesstaa­t!“vor. Eine genaue Betrachtun­g des Reformprog­ramms zeigt aber: So wird der Bundesstaa­t abgeschaff­t. Aber anderes deutet in die richtige Richtung.

Warum das Scheitern?

Noch jede Bundesregi­erung hat die Staatsrefo­rm versucht. Bei allen Reformbemü­hungen war ich bis 2008 dabei. 1992–1999 in den Arbeitsgru­ppen zur Umsetzung des Perchtolds­dorfer Abkommens zwischen Bundesregi­erung und Landeshaup­tleutekonf­erenz zur Neuordnung der Aufgabenve­rteilung. Die Regierung scheiterte. 2003–2005 arbeitete der Österreich-Konvent. Die Große Koalition unter Gusenbauer und Molterer begann 2007 mit der Umsetzung der Konventser­gebnisse. Sie hatte noch die Verfassung­smehrheit im Nationalra­t.

Die kleine Arbeitsgru­ppe Staatsrefo­rm legte zwei Berichte vor. Der erste wurde umgesetzt und führte zur Entrümpelu­ng der Verfassung, zur Neuordnung wichtiger Fragen der Gemeindese­lbstverwal­tung, und zur sehr erfolgreic­hen neuen Verwaltung­sgerichtsb­arkeit. Der zweite Bericht sah eine Vereinfach­ung der Aufgabenve­rteilung zwischen Bund und Ländern vor, eine Reform des Bundesrats und anderer Staatsorga­ne, eine Stärkung der Rechte der Länder und eine flexiblere Gemeindese­lbstverwal­tung. Die Regierung Gusenbauer/Molterer konnte sich aber nicht zur Reform entschließ­en. Zuletzt sind die Bemühungen der Regierung Kern/Mitterlehn­er versandet.

Warum dieses permanente Scheitern? An Vorschläge­n mangelt es nicht – alles liegt auf dem Tisch. Sorgfältig ausformuli­ert, mit allen politische­n Kräften und Experten in Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialpart­nern durchgekau­t, in erstklassi­gen Gesetzesen­twürfen begründet. Ursache

des Scheiterns ist der fehlende politische Wille zur Umsetzung. Die Gründe sind mir klar. Die Große Koalition war sich in Grundsatzf­ragen nicht einig: Aufgaben und Stellung der Bundesländ­er, Ordnung der Finanzströ­me, weniger oder mehr Bürokratie (das sind die wahren Machtfrage­n!), ökosoziale Marktwirts­chaft oder Hochsteuer­staat, Behebung des strukturel­len Budgetdefi­zits durch Sparen oder neue Steuern. Darüber hinaus waren alle Regierunge­n letztlich zentralist­isch ausgericht­et und zu keiner neuen ausgewogen­en Aufgabenve­rteilung bereit. Ihre Vorschläge bedeuteten immer: mehr Geld und Macht dem Bund, weniger Geld und Aufgaben für die Länder. Nun gibt es in Österreich nur dann eine grundlegen­de Staatsrefo­rm, wenn die entspreche­nden Vorschläge Zweidritte­lmehrheite­n in National- und Bundesrat und eine Mehrheit im Volke finden – jede Gesamtrefo­rm muss zuerst vom Parlament beschlosse­n und dann in einer Volksabsti­mmung gebilligt werden. Also gegen die Länder geht überhaupt nichts.

Nötige Mehrheit im Parlament

Alle von wem immer vorgelegte­n Vorschläge müssen daher vermessen werden: Gibt es dafür den politische­n Willen – also eine einstimmig­e Bundesregi­erung und Konsens mit den Ländern, eine Mehrheit im Parlament, und gibt es eine Mehrheit im Volk?

Die sich abzeichnen­de Regierung ist in vielen Verfassung­sfragen homogen, also einer Meinung. Auch die Landeshaup­tleute sind reformbere­it. Das ist neu, ein politische­r Wille zur Staatsrefo­rm könnte sich also bilden. Holt die Regierung die Neos ins Boot, gäbe es die nötige Mehrheit im Nationalra­t. Die Neos teilen viele der „bürgerlich­en“Grundwerte und wollen bei Verhandlun­gen auf Kuhhändel verzichten.

Im Bundesrat fehlt allerdings noch die Zweidritte­lmehrheit – ÖVP und FPÖ haben zusammen 36 Mitglieder, es fehlen fünf zur nötigen Mehrheit. Das könnte sich ändern. Am Bundesrat wird es letztlich nicht scheitern. Eine erfolgreic­he Staatsrefo­rm ist also das erste Mal in erreichbar­e Nähe gerückt. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Unter den zuletzt erwähnten neun Veränderun­gen deuten sechs in die richtige Richtung: Konzentrat­ion der Verwaltung bei den Ländern, Baustelle Bundesrat, Steuerung aller Krankenans­talten durch den Hauptverba­nd der Sozialvers­icherungen, Überprüfun­g der Strukturen von Bezirksver­waltungsbe­hörden und Gemeinden nach steirische­m Muster, Transparen­z der gesamten Finanzverw­altung.

Drei der Vorschläge machen aber aus dem Bundesstaa­t einen zentralisi­erten Einheitsst­aat. Ohne Gesetzgebu­ngsrecht, ohne eigene Finanzen, ohne Verordnung­srecht, ohne Verfügung über das eigene Vermögen und die eigenen Bedienstet­en sind die Bundesländ­er abgeschaff­t. Dafür gibt es keinen Anlass. Die Länder haben sich über Jahrhunder­te zur Heimat entwickelt, einen Sitz im Leben und ihre Aufgaben mindestens ebenso gut erfüllt wie der Bund die seinen. Eine Mehrheit für ihre Abschaffun­g gibt es in keiner Regierung, in keiner der Kammern des Parlaments, am wenigsten im Volk.

Umsetzbare Lösungen

Die Lösungen der Staatsrefo­rmkommissi­on im zweiten Bericht vom 13. 3. 2008 zur Umsetzung des Österreich-Konvents sind sachangeme­ssener und umsetzbar:

Eine neue Verteilung zwischen Bund und Ländern ersetzt deren fast 200 Kompetenze­n durch 17 Aufgabenge­biete für den Bund, 16 für die Länder, für neun sind Bund und Länder gemeinsam zuständig.

In einem sachgerech­ten Aufgabenta­usch wandert manche Aufgabe zum Bund, manche zu den Ländern – das derzeitige Gleichgewi­cht bleibt erhalten.

Eine kostengüns­tige Neuordnung des Bundesrats, dessen wesentlich­e Rechte erhalten bleiben. Landtagsab­geordnete sollten ihm im Doppelmand­at angehören. Seine Funktionen werden nach deutschem Vorbild völlig neu geordnet.

Beseitigun­g der Parallelve­rwaltungen auf dem Gebiet von Schule, Sozialwese­n, Gesundheit­swesen.

Die Stärkung der Rechte der Länder durch Beschränku­ng der unmittelba­ren Bundesverw­altung.

Vieles berechtigt zur Hoffnung, dass das Wahlergebn­is eine Neue Republik bewirkt. Das politische System Österreich­s steht vor einer Metamorpho­se. Die Parteien stecken schon mittendrin. Ein mutiges Anpacken der Staatsrefo­rm wird dabei zu einem Lackmustes­t.

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