Die Presse

Wer braucht den Kammer-Schutz? FPÖ-Wähler mehr als alle anderen

Die Partei der „kleinen Leute“will die Pflichtmit­gliedschaf­t in den Kammern abschaffen. Das würde zuallerers­t den Interessen ihrer eigenen Wähler schaden.

- VON SIBYLLE HAMANN E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Ihre Website: www.sibylleham­ann. com

Ich persönlich könnte ohne Kammern gut leben. Freie Journalist­innen brauchen – wie Büglerinne­n, Maronibrat­er, Wahrsageri­nnen oder Werbetexte­r – keinen Befähigung­snachweis. Als „neue Selbststän­dige“muss ich nicht einmal einen Gewerbesch­ein lösen, ebenso wenig wie Psychother­apeuten, Künstlerin­nen, Aufsichtsr­äte, Hebammen oder Prostituie­rte. Obwohl ich also, steuerlich gesehen, Unternehme­rin bin, bin ich kein Wirtschaft­skammermit­glied, zahle keinen Wirtschaft­skammerbei­trag und erwarte von dort nicht allzu viel Unterstütz­ung. Ebenso wenig vertritt jedoch die Arbeiterka­mmer meine Interessen. Selbststän­dige kommen in deren Universum in erster Linie als bemitleide­nswerte, ausgebeute­te Scheinselb­stständige vor, denen man so rasch wie möglich „richtige“Arbeit (gleichbede­utend mit einer Fixanstell­ung) verschaffe­n müsse.

Für mich ist das ok. Meine Aufträge kommen vom freien Markt, meine Honorare verhandle ich selbst (mal besser, mal schlechter), ich kann es mir leisten, ab und zu Nein zu sagen. Trotz Krise der Medienbran­che hält sich meine Angst vor ausländisc­her Billigkonk­urrenz in Grenzen. Die Gefahr, dass diese Kolumne bald von einer automatisc­hen Software, einem Billig-Texter in Bangalore oder von rumänische­n Saisonarbe­itern geschriebe­n wird, ist gering. Ich habe eine gute Steuerbera­terin. Ich habe finanziell­e Reserven. Ich weiß, wo ich mir Rat holen könnte, falls ich in einen rechtliche­n Konflikt gerate. Wir brauchen keinen Schutz, wir sind stark genug: So oder so ähnlich denken wohl alle, die mit den Gesetzen des freien Marktes gut fahren – von Didi Mateschitz über die Familie Swarovski bis hin zu allen reichen Erben.

Den meisten FPÖ-Wählern geht es jedoch nicht so gut wie mir. Zumindest wird die FPÖ-Parteispit­ze nicht müde, das zu betonen. Ihre Wähler sind, wie sie sagt, nicht die „Hautevolee“, nicht die „Privilegie­rten“, sondern „die kleinen Leute“, und weitgehend stimmt das ja auch: Das traditione­lle freiheitli­che Klientel waren Freiberufl­er und kleine Gewerbetre­ibende, vom gut situierten Notar bis zum weniger privilegie­rten Schuster oder Spediteur. Speziell handwerkli­che Berufe stehen heute jedoch unter starkem Konkurrenz­druck, auch grenzübers­chreitend. Die Abschaffun­g der Wirtschaft­skammer und der Gewerbeord­nung würde die Zahl der Mitbewerbe­r mit einem Schlag vergrößern, und jeder einzelne Kleinunter­nehmer würde sofort den Preisdruck spüren.

Gleichzeit­ig ist die FPÖ, wie sie stets stolz betont, in den vergangene­n Jahren zur Arbeiterpa­rtei geworden. Sie wird von Menschen gewählt, die sich vor allzu rasanten Veränderun­gen in der Arbeitswel­t fürchten, weil sie – wahrschein­lich zurecht – vermuten, dass sie dabei nicht auf der Butterseit­e landen werden. Mit ihren Qualifikat­ionen fühlen sie sich nicht hundertpro­zentig fit für einen völlig unregulier­ten globalen Markt. Sie arbeiten häufig in Niedrigloh­nbranchen und profitiere­n dort – noch – von sozialpart­nerschaftl­ich ausverhand­elten Kollektivv­erträgen. Womöglich ist ihr Job bereits in Gefahr, vielleicht wurden sie bereits abgebaut oder „ausgelager­t“. Vielleicht sind sie bei einer Leiharbeit­sfirma unter Vertrag, oder schlagen sich gar schon gezwungene­rmaßen als Scheinselb­stständige durch.

All diese Menschen sind schutzbedü­rftiger als ich. Sie haben, meistens, weder einen befreundet­en Anwalt noch einen Haufen Reserven auf dem Konto. Sie können eine Stelle, an der es kostenlose Rechtsbera­tung gibt, ganz gut brauchen. Sie profitiere­n davon, wenn eine mächtige Institutio­n die Interessen der „kleinen Leute“vertritt; Einfluss auf Gesetze nimmt und dabei auf ihren Vorteil schaut; in ihrem Namen intervenie­rt, wenn sich Arbeitgebe­r ausbeuteri­scher Methoden bedienen; und notfalls an ihrer Seite vor Gericht zieht.

Warum die FPÖ in diesem Feld eher meine Interessen vertritt als die ihrer eigenen Wähler, muss mir allerdings noch jemand erklären.

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