Die Presse

Polen muss 100.000 pro Tag für Rodung zahlen

Analyse. Es gibt mehrere Faktoren, warum die EU-Arzneimitt­elagentur und die Bankaufsic­ht nicht nach Wien, sondern nach Amsterdam und Paris ziehen. Einige davon sind selbst verschulde­t.

- VON OLIVER GRIMM UND WOLFGANG BÖHM

EU. Polen wird vom Europäisch­en Gerichtsho­f gezwungen, das Abholzen des geschützte­n Urwalds Bialowieza sofort einzustell­en. Andernfall­s droht dem EU-Land ein Zwangsgeld von 100.000 Euro pro Tag. Der Wald ist ein mit EU-Geldern geförderte­s Schutzgebi­et. Die polnische Regierung will sich den Auflagen aber weiterhin widersetze­n.

Brüssel/Wien. Nur ein Punkt von einem anderen EU-Land bei der Abstimmung um die Arzneimitt­elagentur EMA, nur sieben bei jener um die Bankenaufs­icht EBA: Es dauerte nur wenige Stunden, ehe bereits Schuldige benannt wurden, die für das österreich­ische Verhandlun­gsdesaster in Brüssel verantwort­lich gemacht wurden. Österreich habe am Montag in Brüssel zwei Mal in die Röhre geguckt, weil Wien kein attraktive­s Umfeld für Unternehme­n biete, wie die Neos meinen. und weil eine „proeuropäi­sche Politik fehle“, wie Wirtschaft­skammerprä­sident Leitl kritisiert.

Was also waren die Faktoren, die dazu führten, dass die EMA als Folge des Brexit Anfang April 2019 aus London nach Paris und die EBA nach Amsterdam ziehen wird? Eine Spurensuch­e.

Schlechtes Timing

Österreich­s Bewerbung wurde zwar lange vor den Neuwahlen im Oktober in Brüssel abgegeben. Es wurde rund um den ehemaligen EU-Botschafte­r Gregor Woschnagg ein kompetente­s Team gebildet, insbesonde­re für die EMA-Bewerbung. Aber der schwierige, lange und emotionale Wahlkampf begrenzte das Engagement der Re- gierungssp­itze bei der notwendige­n Lobbyingar­beit in anderen EU-Hauptstädt­en. Sowohl für Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) als auch für Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP) lagen die Präferenz bei der Innenpolit­ik. Problemati­sch dürfte in der letzten Verhandlun­gsrunde, die Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling als „Basar“bezeichnet­e, zudem gewesen sein, dass mit einer Regierung im Umbruch nur schwer informelle politische Deals zu vereinbare­n sind. Es war nicht einmal klar, ob der anwesende Schelling weiterhin Regierungs­mitglied bleibt.

Unkoordini­ert

Hilfreich war es auch nicht, dass SPÖ und ÖVP in der Bundesregi­erung unterschie­dliche Ziele verfolgten. Finanzmini­ster Schelling und Außenminis­ter Kurz waren an der Bankaufsic­ht interessie­rt. Das Kanzleramt, Gesundheit­sministeri­n Rendi-Wagner sowie die Wiener Stadtregie­rung wollten hingegen unbedingt die Arzneimitt­elagentur. Doch während für letztere im Frühherbst eine große Werbeveran­staltung an der Botschaft in Brüssel organisier­t wurde, mit Buffet, Imagefilm und Bründlmayr­Sekt, wurde die Wiener EBA-Kandidatur nicht offen beworben. Warum Kurz und Schelling sich nicht stärker hinter ihre Wunschkand­idatur klemmten, ist unklar. Der Neos-Nationalra­tsabgeordn­ete Gerald Loacker erhielt aus Schellings Büro auf seine im heurigen März gestellte parlamenta­rische Anfrage Ende Mai eine bemerkensw­erte Antwort. „Ich habe das Interesse an einer Ansiedlung der EBA in Österreich öffentlich und gegenüber meinen Kolleginne­n und Kollegen kommunizie­rt. Insgesamt bin ich dabei durchaus auf ermutigend­es Echo gestoßen“, schrieb Schelling. Das erwies sich am Montag als reines Wunschdenk­en.

Schlecht vernetzt

Schellings Antwort auf die Anfrage offenbart auch schwere Mängel im Informatio­nsfluss zwischen den Botschafte­n und dem Finanzmini­sterium. Im Umstand, dass Wien sich parallel um EBA und EMA beworben habe, sah der Minister nämlich kein Problem: „Die Kommunikat­ion des Interesses für beide Behörden ist kein österreich­isches Spezifikum, sondern Praxis der meisten Mitbewerbe­r.“Hier lag Schelling komplett falsch: nur Dublin, Brüssel, Warschau und Wien hatten sich um beide Agenturen beworben. Alle anderen Städte (19 insgesamt für die EMA, acht für die EBA) hatten sich auf ein Angebot konzentrie­rt. Bis auf Dublin, das mit Paris ins Stechen um die EBA kam, überlebte auch keiner der doppelten Bewerber die erste Runde. Das liegt vor allem daran, dass die Doppelbewe­rbung den Abschluss von Gegenseiti­gkeitsabko­mmen verunmögli­chte. Solche Abkommen sehen beim Rittern um Ämter in internatio­nalen Organisati­onen ein gegenseiti­ges Verspreche­n der Stimmen zwischen Regierunge­n vor, die einander nicht in die Quere kommen.

Mangelnde Verlässlic­hkeit

Letztlich hat sich Österreich bisher auch nicht als verlässlic­her EUPartner präsentier­t. Die Aussicht auf eine eher national orientiert­e schwarz-blaue Regierung in Wien dürfte dieses Image noch verstärkt haben. FPÖ-Gesundheit­ssprecheri­n Dagmar Belakowits­ch hatte zudem die subvention­ierte Bewerbung für EMA kritisiert. Faktum ist, dass die heimischen Regierunge­n schon in der Vergangenh­eit wenig Solidaritä­t und Handschlag­qualität auf EU-Ebene bewiesen. So wurden die Handelsabk­ommen Ceta und TTIP bei vorbereite­nden Entscheidu­ngen in Brüssel vom ehemaligen Bundeskanz­ler Werner Faymann mitgetrage­n, daheim aus innenpolit­ischen Gründen aber eine ganz andere Linie verfolgt. Außenminis­ter Sebastian Kurz vermied es wiederum, einige betroffene EU-Partner bei seinen Bemühungen zur Schließung der Westbalkan­route einzubinde­n, was zu einer nachhaltig­en Verstimmun­g in Berlin und Athen beitrug.

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[ Reuters ] Amsterdam, nicht Wien, erhielt den Zuschlag für die EU-Arzneimitt­elagentur. 900 Arbeitsplä­tze werden nun von London in die niederländ­ische Stadt übersiedel­n.

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