Polen muss 100.000 pro Tag für Rodung zahlen
Analyse. Es gibt mehrere Faktoren, warum die EU-Arzneimittelagentur und die Bankaufsicht nicht nach Wien, sondern nach Amsterdam und Paris ziehen. Einige davon sind selbst verschuldet.
EU. Polen wird vom Europäischen Gerichtshof gezwungen, das Abholzen des geschützten Urwalds Bialowieza sofort einzustellen. Andernfalls droht dem EU-Land ein Zwangsgeld von 100.000 Euro pro Tag. Der Wald ist ein mit EU-Geldern gefördertes Schutzgebiet. Die polnische Regierung will sich den Auflagen aber weiterhin widersetzen.
Brüssel/Wien. Nur ein Punkt von einem anderen EU-Land bei der Abstimmung um die Arzneimittelagentur EMA, nur sieben bei jener um die Bankenaufsicht EBA: Es dauerte nur wenige Stunden, ehe bereits Schuldige benannt wurden, die für das österreichische Verhandlungsdesaster in Brüssel verantwortlich gemacht wurden. Österreich habe am Montag in Brüssel zwei Mal in die Röhre geguckt, weil Wien kein attraktives Umfeld für Unternehmen biete, wie die Neos meinen. und weil eine „proeuropäische Politik fehle“, wie Wirtschaftskammerpräsident Leitl kritisiert.
Was also waren die Faktoren, die dazu führten, dass die EMA als Folge des Brexit Anfang April 2019 aus London nach Paris und die EBA nach Amsterdam ziehen wird? Eine Spurensuche.
Schlechtes Timing
Österreichs Bewerbung wurde zwar lange vor den Neuwahlen im Oktober in Brüssel abgegeben. Es wurde rund um den ehemaligen EU-Botschafter Gregor Woschnagg ein kompetentes Team gebildet, insbesondere für die EMA-Bewerbung. Aber der schwierige, lange und emotionale Wahlkampf begrenzte das Engagement der Re- gierungsspitze bei der notwendigen Lobbyingarbeit in anderen EU-Hauptstädten. Sowohl für Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) als auch für Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) lagen die Präferenz bei der Innenpolitik. Problematisch dürfte in der letzten Verhandlungsrunde, die Finanzminister Hans Jörg Schelling als „Basar“bezeichnete, zudem gewesen sein, dass mit einer Regierung im Umbruch nur schwer informelle politische Deals zu vereinbaren sind. Es war nicht einmal klar, ob der anwesende Schelling weiterhin Regierungsmitglied bleibt.
Unkoordiniert
Hilfreich war es auch nicht, dass SPÖ und ÖVP in der Bundesregierung unterschiedliche Ziele verfolgten. Finanzminister Schelling und Außenminister Kurz waren an der Bankaufsicht interessiert. Das Kanzleramt, Gesundheitsministerin Rendi-Wagner sowie die Wiener Stadtregierung wollten hingegen unbedingt die Arzneimittelagentur. Doch während für letztere im Frühherbst eine große Werbeveranstaltung an der Botschaft in Brüssel organisiert wurde, mit Buffet, Imagefilm und BründlmayrSekt, wurde die Wiener EBA-Kandidatur nicht offen beworben. Warum Kurz und Schelling sich nicht stärker hinter ihre Wunschkandidatur klemmten, ist unklar. Der Neos-Nationalratsabgeordnete Gerald Loacker erhielt aus Schellings Büro auf seine im heurigen März gestellte parlamentarische Anfrage Ende Mai eine bemerkenswerte Antwort. „Ich habe das Interesse an einer Ansiedlung der EBA in Österreich öffentlich und gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen kommuniziert. Insgesamt bin ich dabei durchaus auf ermutigendes Echo gestoßen“, schrieb Schelling. Das erwies sich am Montag als reines Wunschdenken.
Schlecht vernetzt
Schellings Antwort auf die Anfrage offenbart auch schwere Mängel im Informationsfluss zwischen den Botschaften und dem Finanzministerium. Im Umstand, dass Wien sich parallel um EBA und EMA beworben habe, sah der Minister nämlich kein Problem: „Die Kommunikation des Interesses für beide Behörden ist kein österreichisches Spezifikum, sondern Praxis der meisten Mitbewerber.“Hier lag Schelling komplett falsch: nur Dublin, Brüssel, Warschau und Wien hatten sich um beide Agenturen beworben. Alle anderen Städte (19 insgesamt für die EMA, acht für die EBA) hatten sich auf ein Angebot konzentriert. Bis auf Dublin, das mit Paris ins Stechen um die EBA kam, überlebte auch keiner der doppelten Bewerber die erste Runde. Das liegt vor allem daran, dass die Doppelbewerbung den Abschluss von Gegenseitigkeitsabkommen verunmöglichte. Solche Abkommen sehen beim Rittern um Ämter in internationalen Organisationen ein gegenseitiges Versprechen der Stimmen zwischen Regierungen vor, die einander nicht in die Quere kommen.
Mangelnde Verlässlichkeit
Letztlich hat sich Österreich bisher auch nicht als verlässlicher EUPartner präsentiert. Die Aussicht auf eine eher national orientierte schwarz-blaue Regierung in Wien dürfte dieses Image noch verstärkt haben. FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch hatte zudem die subventionierte Bewerbung für EMA kritisiert. Faktum ist, dass die heimischen Regierungen schon in der Vergangenheit wenig Solidarität und Handschlagqualität auf EU-Ebene bewiesen. So wurden die Handelsabkommen Ceta und TTIP bei vorbereitenden Entscheidungen in Brüssel vom ehemaligen Bundeskanzler Werner Faymann mitgetragen, daheim aus innenpolitischen Gründen aber eine ganz andere Linie verfolgt. Außenminister Sebastian Kurz vermied es wiederum, einige betroffene EU-Partner bei seinen Bemühungen zur Schließung der Westbalkanroute einzubinden, was zu einer nachhaltigen Verstimmung in Berlin und Athen beitrug.