Die immerwiederkehrende Heimat
Heimatschutz. Österreich soll auf Wunsch der FPÖ ein Heimatschutzministerium bekommen. Die Heimat zu schützen, ist keine neue Idee, viele bekennen sich zu ihr, aber in Österreichs Geschichte zeigte sie ihre völkisch-nationale Fratze.
Sie war zwar immer da, die Heimat, etwas Selbstverständliches in der Biografie jedes Menschen, doch das Bekenntnis dazu kam irgendwann abhanden oder fiel zumindest verbal schwer. Der Heimatbegriff war durch völkische Exzesse nach dem Ersten Weltkrieg und in der NSZeit diskreditiert. Nach 1945 diente Heimat als Inszenierungsstrategie bei der Loslösung von Deutschland und der „Erfindung“einer österreichischen Nation, etwa im Heimatfilm: Der ländliche Lebensraum, die Täler, umringt von stets schneebedeckten Bergen, das macht uns aus. „Schatzkammer Österreich“war einer der beliebtesten Bildbände jener Zeit.
In letzter Zeit springt einem das Wort „Heimat“immer öfter entgegen, unbefangen wird es wieder in den Mund genommen, in Volksmusiksendungen, in Zeitschriften, die jeden historischen Schüttkasten mit seinen Gaupen im Dach und den Rosen an den Mauern präsentieren. Wen das nicht interessiert, der kann es wegblenden. Aber auch politisch gewinnt es an Dy- namik, als Forderung nach einem „Heimatschutzministerium“taucht es in den Koalitionsverhandlungen auf. Ist die Heimat bedroht, gefährdet? Von innen, von außen? Fühlt die Bevölkerung sich ungeschützt, ausgeliefert? Mehr als in der Vergangenheit, in der ein vom „Innenministerium“effizient geführter Polizeiapparat ausreichte? Oder stoßen wir hier auf eine ideologische Überhitzung?
Ein Blick über unsere westliche Grenze zeigt: Seit 1905 ist der Schweizer Heimatschutz eine honorige Non-Profit-Organisation mit rund 24.000 Mitgliedern. Er informiert die Bevölkerung über die Schätze der Schweizer Baukultur, er setzt sich ein für Denkmalschutz und erarbeitet architektonische Lösungen für die Renovierung des alten Baubestandes. Die Schweiz vermeidet es daher konsequent, das nach dem Terroranschlag 9/11 eingerichtete amerikanische „Homeland Security“-Ministerium als „Heimatschutzministerium“zu übersetzen. Sie verwendet stattdessen „Inlandssicherheit“, ihre Bürger verstehen unter Heimatschutz etwas ganz anderes.
Auch in Deutschland und Österreich bedeutete Heimatschutz ursprünglich etwas Ähnliches, Sandor´ Bek´esi´ vom Wien-Museum hat dazu geforscht. Mit der zunehmenden Industrialisierung und Verstädterung Ende des 19. Jahrhunderts kam die Sorge auf: Die traditionelle Kulturlandschaft geht verloren, die Städte, dekadent und unsittlich, wie sie nun mal sind, überwuchern alles, das romantische Ideal vom bäuerlichen Landleben ist gefährdet. Kulturpessimisten und Modernisierungskritiker, vom Professor bis zum Künstler, fanden zusammen, um dem entgegenzutreten. Es entstand eine Heimatschutzbewegung.
Zunächst ging es um Natur und Denkmäler, die man schützen wollte, das hatte stark ästhetische Züge, man wandte sich gegen die großen Reklameschilder, die die Umwelt verschandelten. So ging es dem Wiener Heimatschutz, der im Wesentlichen auf der Monatszeitschrift „Hohe Warte“(1904 bis 1908) und der Umtriebigkeit des Denkmalpflege- und Heimatschutz-Vereins basierte und auch von so bekannten Künstlern wie Otto Wagner oder Kolo Moser unterstützt wurde, nicht nur um die Bewahrung alter Bausubstanz, sondern auch um ganz praktische Angebote wie Bauberatung.
Von der Bürger- zur Kampfbewegung
Die Mitglieder stammten aus dem höheren Bürgertum, der Verein, der zwischen 300 und 400 Mitglieder zählte, kann zugleich auch als ein inhaltlicher Vorläufer späterer Bürgerinitiativen angesehen werden. Partizipation, Protestkundgebungen, Eingaben bei den Behörden gehörten, neben einer umfangreichen und engagierten Publizistik, zu den wesentlichen Tätigkeiten des Wiener Heimatschutzes. Ein Bau wie der des LoosHauses am Michaelerplatz wurde vom Heimatschutz keineswegs abgelehnt, sondern als sinnvolle moderne Weiterentwicklung des klassischen Wiener Bürgerhauses aufgefasst. In Summe, so Sandor´ Bek´esi,´ könne man für den Wiener Heimatschutz durchaus eine liberalkonservative Grundhaltung feststellen, eine Mittlerposition zwischen Tradition und Moderne.
Das Abgleiten des Heimatschutzes als Kampfbewegung ins rechte politische Spek- trum erfolgte erst nach dem Schock des Ersten Weltkrieges. Nun kam es zu einer engeren Verknüpfung mit dem Rassismus, es hieß „Naturschutz ist Rasseschutz“. Heimatschutz verschmolz mit Antisemitismus, man kämpfte schließlich auch für „das Gedeihen der Rasse“.
Auch der 1909 in Graz gegründete Verein für Heimatschutz in Steiermark, der ursprünglich nur für das Heimische und Bodenständige eintrat, wurde nach 1918 zu einem paramilitärischen Verband, aus drei Gründen: Da war die „blutende Wunde“im Süden, die zeitweilige jugoslawische Besetzung deutschsprachiger Gebiete, die Furcht vor einer marxistisch-bolschewistischen Revolution und die Gefahr von Plünderungen durch heimkehrende Frontsoldaten in der Endkriegsphase. Freilich: Der Bezirk, in dem der Steirische Heimatschutz (SH) zuerst auftrat, Judenburg, war nie bedroht. Die Furcht vor der roten Revolution, die nicht eintrat, wurde dann zur Abwehr der „Diktatur des Proletariats“. Gegner wurde die heimische Sozialdemokratie.
Unter dem Rechtsanwalt Walter Pfrimer kam es 1926/27 zu Kontakten des SH mit Hitler, man verstand sich gut und übernahm neben dem Hahnenschwanz auch das Hakenkreuz als Emblem: „Hitler konnte zufrieden damit sein, dass der SH in der Phase einer noch schwächelnden österreichischen NSDAP de facto nationalsozialistisches Gedankengut propagierte“, so der Historiker Martin Moll. Die Grenzen zwischen vaterländischen Heimwehr- und Heimatschutzorganisationen waren im Österreich der 1930er-Jahre fließend, jedes Bundesland hatte seine eigene bewaffnete Organisation, aber die Steirer waren mit ihren 120.000 Mitgliedern radikaler, wie Pfrimers missglückter Putschversuch von 1931 zeigte.
Ovationen für Hitler
Es gelang nicht, die großdeutsche Republikfeindlichkeit auf die ganze Heimwehr zu übertragen, so suchte der SH nun andere Bündnispartner, und dies war in Österreich ab 1931 die NSDAP, und das, obwohl in der ländlichen Bevölkerung, vor allem in der Weststeiermark, starke Ressentiments gegen die Nazis bestanden. 1932 war die nahezu komplette ideologische Übereinstimmung zwischen Nationalsozialismus und Heimatschutz erreicht. „Der Heimatschutz hat als Erster und anfangs Einziger in der Wirrnis und der Selbstaufgabe des Zusammenbruchs die Verbundenheit mit der Scholle und den Stolz auf die Sendung Österreichs in der Seele des Volkes wiedererweckt“, schrieb die Propagandastelle 1934.
Auch in Deutschland begrüßten regionale Natur- und Heimatschützer 1933 die Machtergreifung der Nationalsozialisten: Jetzt endlich konnte das „Großreinemachen in der deutschen Landschaft“beginnen. Ihre Ovationen für Hitler waren einem Irrtum über die Intentionen des neuen Regimes geschuldet. Hitler war nicht der Messias einer neuen deutschen Naturreligion, sondern Vollstrecker einer rassistischen Utopie. Im Grunde waren ihm Natur und landschaftliche Kleinodien völlig gleichgültig, er spottete in seinen ersten Amtsjahren über die ins Kraut schießende Deutschtümelei völkischer Obskuranten und die Idee einer Restituierung naturnaher, vormoderner Heimatlandschaften.
Doch zunehmend konvergierten Heimatbewegung und Naturschutz ideologisch mit der NS-Ideologie, die Ablehnung liberaler, aufgeklärt-zivilgesellschaftlicher Theorien und ein völkischer Nationalismus verband als Bindeglied Heimatbewegung und Nationalsozialismus. Immer mehr bediente sich die Heimatbewegung in ihrem Vokabular aus den Arsenalen der rassenhygienischen und antisemitischen Schriften.
Die Nationalsozialisten waren zufrieden mit der Performance des Heimatschutzes vor dem „Anschluss“. Es gehört zu den bizarren Zügen des NS-Regimes, dass ein viel beschäftigter Mann wie Reichsführer SS Heinrich Himmler 1943 trotz der desolaten Kriegslage (Stalingrad!) überlegte, wem die Würde des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP zum 10. Jahrestag der „Machtergreifung“zukommen sollte. Er verfiel auch auf zwei österreichische SS-Polizeiführer, die ihre Karriere im Steirischen Heimatschutz begonnen hatten, denn, so Himmler, „letzten Endes war der steirische Heimatschutz sehr anständig und ordentlich“.
Diejenigen, die sich zuvor den Schutz der Heimat auf ihre Fahnen geschrieben hatten, waren aus ideologischen und Karrieregründen ins Lager derer übergelaufen, die den Staat Österreich ausgelöscht hatten. Sie erreichten den Gipfel ihrer Laufbahn im Dritten Reich, meist hohe Ränge in der SS, was angesichts ihrer Prägung und Vorbildung nicht verwunderte.