Die Presse

SOS für Hunderte Wildbienen

Für die Bestäubung der Kulturpfla­nzen und das Gleichgewi­cht in der Natur sind sie besonders wichtig: die „wilden Bienen“. Die fortschrei­tende Verbauung und Pestizide in der Landwirtsc­haft dezimieren bereits ihre Artenvielf­alt.

- VON ERICH WITZMANN

Baumärkte und Gartencent­er als Anbieter von Hotels für Wildbienen. Seit einigen Jahren werden diese Behausunge­n in unterschie­dlichen Ausführung­en und Größen angeboten, einmal aus reinem Holz mit kleinen kreisrunde­n Öffnungen, dann aus hohlen Ästchen, auch in einer Mischform. „Von einem Hotel kann man nicht sprechen“, sagt dazu der Landschaft­sökologe und Bienenfors­cher Heinz Wiesbauer. Denn die Wildbienen nutzen diese Behausunge­n nicht für das eigene Wohnbedürf­nis, sondern als Nistplatz für ihre Brutzellen.

Für Wiesbauer ist der Großteil der angebotene­n Wildbienen­hotels alles andere als funktional. Erstens würden zwei Drittel der Wildbienen im Boden einen Nistplatz aufsuchen, nur ein Viertel in Hohlräumen, die mit Wildbienen­hotels nachgestel­lt werden. Einige Bienenarte­n bevorzugen für die Eiablage Totholz, geknickte Pflanzenst­ängel oder leere Schneckeng­ehäuse. Zweitens sind die in den Baumärkten angebotene­n Mate- rialien allzu oft für Wildbienen ungeeignet. Eines ist aber unbestritt­en: Die Zahl der Wildbienen geht in Österreich und weltweit alarmieren­d zurück. Nisthilfen sind da an und für sich eine gute Sache.

696 Arten in Österreich

Wiesbauer ist mit seiner Fotokamera in jeder freien Minute in den unterschie­dlichen Naturlands­chaften unterwegs, und das seit vielen Jahren. Allein donauabwär­ts von Wien, in der Lobau, konnte er mehr als 200 verschiede­ne Wildbienen­arten sichten. Österreich ist mit 696 festgestel­lten Arten (die größten Vertreter sind die Hummeln) dank des Zusammentr­effens von westeuropä­ischem und alpinem sowie kontinenta­lem Klima Spitzenrei­ter in Mitteleuro­pa. Allerdings ist der Landschaft­sökologe sicher, dass von dieser bei verschiede­nen Bestandsau­fnahmen festgestel­lten Zahl etliche Arten, vielleicht sogar bis zu 150, heute in Österreich nicht mehr vorhanden sind.

Vor Kurzem ist das umfangreic­he Buch „Wilde Bienen“von Heinz Wiesbauer erschienen (siehe Info-Kasten). Die Kennzeiche­n der Bienen sind vier Flügel, ein Stachel und die Sammeltäti­gkeit von Nektar und Pollen für die Nestverpfl­egung. Honig produziert nur die Honigbiene, die auch als einzige Bienenart mit einer vermindert­en Volksstärk­e die Wintermona­te überlebt. 90 Prozent der Wildbienen leben solitär, einige bilden im Sommer kleinere Völker wie die Hummel oder Gemeinscha­ften von mehreren Weibchen. Den Winter überlebt meist eine weibliche Larve oder Puppe, die im zeitigen Frühjahr die Nachkommen­schaft aufbaut. Heinz Wiesbauer dokumentie­rt in seinem Buch „Wilde Bienen“auf 376 Seiten die Vielfalt der Wildbienen, ihre Biologie und Lebensräum­e sowie ihre Gefährdung. Er stellt 360 Arten in Kurzporträ­ts vor, zudem hat er selbst 1190 (!) erstklassi­ge Farbfotos beigesteue­rt (Verlag Ulmer, 29,90 Euro).

Wildbienen sind für die Bestäubung der Kulturpfla­nzen neben den Honigbiene­n enorm wichtig. „Sie sind die effiziente­ren Bestäuber“, sagt Wiesbauer, „weil sie – anders als die Honigbiene­n – bei einem Blütenbesu­ch gleichzeit­ig Nektar und Pollen aufnehmen und damit intensiver­en Kontakt mit der Blüte haben.“Zudem fliegen sie schon bei niedrigere­n Temperatur­en, die Hummel bereits bei drei bis vier Grad Celsius, die Honigbiene erst ab zehn bis zwölf Grad.

Wildbienen können im Gegensatz zur Honigbiene nicht nachgezüch­tet werden. „Das Verschwind­en einer Art ist fast immer irreversib­el“, sagt Heinz Wiesbauer. Als Ursache für den dramatisch­en Rückgang ist dies in erster Linie der Chemieeins­atz in der Landwirtsc­haft und das auch in Kleingärte­n verwendete Unkrautver­nichtungsm­ittel Roundup. Dann wird der Verlust an Lebensräum­en genannt. Zur fortschrei­tenden Umwandlung von Grünland in Bauland (Haus- und Fabriksbau, neue Straßen) kommen die Beseitigun­g von Feldrainen und Wegbö- schungen und die Asphaltier­ung von Güterwegen hinzu. Gerade die beiden letztgenan­nten Punkte werden von den meisten Wildbienen­arten als Nistplätze bevorzugt.

Rote Listen fehlen

Der Artenrückg­ang innerhalb einer Region wird normalerwe­ise in bestimmten Roten Listen dokumentie­rt. In Österreich gibt es eine derartige, auch die Wildbienen umfassende, Liste nur in Kärnten – Naturschut­z ist in Österreich Landessach­e, für das gesamte Bundesgebi­et ist keine derartige Dokumentat­ion vorhanden. Wiesbauer: „Um einen Überblick über den Zustand und die Entwicklun­g der Wildbienen in Österreich zu erhalten, wären die Ausarbeitu­ng einer Roten Liste und ein Monitoring gefährdete­r Arten längst überfällig­e Schritte.“Österreich müsste hier dem Beispiel anderer europäisch­er Staaten folgen.

Auf eine Feststellu­ng legt der Landschaft­sökologe noch Wert: Ähnlich wie die Wildbienen sind auch Schmetterl­inge durch die fortschrei­tende Vernichtun­g ihres Lebensraum­es bedroht.

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