Die Rechten werden siegen. Und dann? Die Besorgte Bürger Bewegung
Juli Zeh entwirft in „Leere Herzen“eine Dystopie im Gewand eines Thrillers.
Die gute Nachricht zuerst: Juli Zehs neuer Roman ist nach allen Regeln eines Thrillers gebaut, ein Pageturner, wie man ihn kaum besser konstruieren kann. Auf fast jeder Seite lernt der Leser etwas Neues, erhält er eine Information, die ihn das Bisherige besser einordnen lässt, einen Hinweis auf die weitere Entwicklung, der ihn neugierig macht, bekommt er ein Rätsel auf – und das hält Juli Zeh bis zum Schluss durch, überraschende Wendung inklusive. Was freilich für den Rezensenten bedeutet, dass jedes Detail, das er preisgibt, dem Roman etwas wegzunehmen droht. Zumal die Thrillerhandlung so eng mit dem politischen Setting verknüpft ist – und das wiederum mit der privaten Lebenswelt unserer Heldin –, dass schon die Erklärung, womit Britta genau ihr Geld verdient, zu viel vorwegnehmen würde.
Somit sei nur verraten: „Leere Herzen“spielt in einer nahen Zukunft, nach der „zweiten Finanzkrise“. Merkel war gestern, die autoritäre Rechte hat gesiegt und mit dem radikalen Umbau des Staates begonnen, was sie unter dem Begriff „Effizienzpaket“verkauft. Zum Zeitpunkt der Handlung sind wir beim fünften angekommen. Britta, die Heldin, lebt mit Mann und Kind in Braunschweig und betreibt ein florierendes Unternehmen, dessen Geschäftsmodell so raffiniert ist wie zynisch und perfekt in diese Gesellschaft passt, in der Moral eine Sache der Rationalität geworden ist und in der die Frage, ob man einen Menschen opfern darf, um andere zu retten, mit einem verblüfften „Ja, warum denn bitte nicht?“beantwortet würde. Und damit sind wir beim zweiten positiven Aspekt des Buches: Es ist eher nachdenklich als alarmistisch. Denn auch wenn Zeh beschreibt, was noch alles möglich sein könnte, geht es ihr nicht in erster Linie darum, vor den Rechten zu warnen. Sondern sie untersucht, wie all die anderen reagieren. All jene, die mit der „Besorgten Bürger Bewegung“eigentlich nichts am Hut haben und sich gerne am Küchentisch darüber echauffieren. Und man sieht: So mancher lebt gar nicht so schlecht, Britta und ihr Mann Richard haben ihren Platz gefunden, vielleicht nicht in der Mitte der Gesellschaft, aber doch recht komfortabel. Wenn man sich etwas Gutes tun will, schenkt man sich einen chilenischen Cabernet aus dem Jahr 2020 ein, und mit den Gästen redet man nicht allzu ausführlich über Politik. Es genügt eigentlich, einander zu versichern, dass man eh auf der richtigen Seite steht.
Womit wir dort sind, wo der Roman problematisch wird: bei den Figuren. Im Gegensatz etwa zu „Unterleuten“, wo wir ein ganzes Dorf kennenlernen durften und noch der letzte selbstgerechte Exkommunist liebevoll und detailreich gezeichnet war, bleibt hier das Personal des Romans blass. Da gibt es eine blutjunge, wunderschöne Terroristin in spe, die zu tough ist, um wahr zu sein. Einen zuckersüßen schwulen Kollegen. Einen Mann, von dem man nicht genau weiß, was ihn antreibt, beruflich oder privat. Und ein befreundetes Ehepaar, das eher als Kontrast funktioniert.
Aber die Spannung mindert das nicht, und mit dem Schluss ist Juli Zeh dann wieder ein besonders Kunststück gelungen: Er ist so resignativ wie hoffnungsvoll. Und ja, tatsächlich: Es geht beides.
QJuli Zeh Leere Herzen Roman. 352 S., geb., € 20,60 (Luchterhand Literaturverlag, München)