Chinas neue Freundem Osten Europas
Peking will Osteuropa – ohne Russland – an sich binden. Budapest sieht darin Chance für mehr Unabhängigkeit von Berlin und Moskau.
Budapest. Ungarns Ministerpräsident, Viktor Orban,´ schickt üblicherweise Peter´ Szijjart´o,´ seinen Außenminister, zum Flughafen, um hohe Gäste aus dem Ausland zu begrüßen. Diesmal aber gab er sich selbst die Ehre: Li Keqiang, Chinas Ministerpräsident, war gekommen. Die Krawatten der beiden Männer Ton in Ton, Schattierungen von Hellblau. Abends beim informellen Diner in einem Restaurant im Budapester Burgviertel auch perfekter Partnerlook: schwarzer Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte.
Der chinesische Premier und Regierungschefs von 16 ostmitteleuropäischen Ländern trafen einander in Budapest zu einem Gipfel, bei dem China mit jedem der Länder jeweils zwei Kooperationsverträge unterschrieb. „16+1“heißt das Format, das vor fünf Jahren aus der Taufe gehoben wurde. Neben China nehmen daran Albanien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Kroatien, Montenegro, Mazedonien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Slowenien, Tschechien, die Slowakei, Polen, Estland, Lettland und Litauen teil. „Es ist das wichtigste außenpolitische Ereignis in Budapest in diesem Jahr“, sagt eine ranghohe Quelle im Ministerpräsidentenamt. Das zweitwichtigste sei der Besuch des israelischen Ministerpräsidenten, Benjamin Netanjahu, gewesen.
Projekt der „neuen Seidenstraße“
Hoffentlich fühlt sich Wladimir Putin, Russlands Präsident, als höchstens drittwichtigster Besucher nicht auf den Schlips getreten, denn auch er war kürzlich in Budapest. Das „16+1“-Format könnte auch „17–1“heißen: China umwirbt den früheren europäischen „Ostblock“, aber ohne Russland, versucht also, Moskaus einstige Einflusssphäre an sich zu binden. Aber auch die Deutschen, Österreicher und Westeuropäer wollen die Region an sich binden und sehen die chinesischen Bestrebungen mit Argwohn.
Chinas Außenhandelsstrategie der „neuen Seidenstraße“sieht Investitionen in Logistik- und Infrastrukturprojekte in Ost- und Mitteleuropa vor, um mehr Waren rascher nach Europa zu bringen. Das trifft sich mit Ungarns Strategie der „Öffnung nach Osten“und mit einem Gefühl in Ostmitteleuropa, dass es gut wäre, eine weniger ausschließlich EU-zentrierte Wirtschaftspolitik auszugestal- ten. Vorbild ist Deutschland, das früh damit begonnen hat, die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und China auszubauen.
Aber es geht für die Osteuropäer auch darum, die wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland (und der EU) zu verringern. Man will zugleich und aus demselben Grund auch die regionale Zusammenarbeit in Ostmitteleuropa verstärken. Das setzt jedoch Infrastruktur voraus. „Europas Transportsystem ist historisch in Sinn einer OstWest-Achse ausgebaut worden“, sagt ein Berater von Ministerpräsident Orban.´ „Wir wollen eine Nord-Süd-Achse schaffen.“So soll die Integration der mittel- und osteuropäischen Wirtschaften verbessert werden. Diesem Ziel dient auch die „Drei-MeeresInitiative“, in deren Rahmen Logistik und Transportinfrastrukturen vom baltischen Meer bis hinunter zum Schwarzen Meer und zur Adria ausgebaut werden sollen.
Peking zahlt für Bahn Belgrad–Budapest
Als US-Präsident Donald Trump im Sommer ein Gipfeltreffen dieser Initiative besuchte, war das ein klares Zeichen: Ein integriertes Ostmitteleuropa kann potenziell ein neuer politischer Akteur zwischen Russ-
land und Deutschland werden. Der greifbarste Ausdruck dieser Strategie ist eine geplante neue, schnelle Güterzugtrasse vom griechischen Hafen Piräus über Belgrad nach Budapest, finanziert aus chinesischen Geldern. Ungarn soll die Drehscheibe werden, von der aus chinesische Waren in Europa verteilt werden. Allerdings musste der ungarische Teil des Projekts bislang warten, weil die EU mangelnde Transparenz kritisierte. Orban´ gab nun auf dem Budapester Gipfel bekannt, dass ein EU-konformer Tender für die Vergabe der Bauarbeiten noch am Montag bekannt gegeben werde.
Peking will mehr exportieren, die Osteuropäer hoffen auf chinesische Investitionen. Nicht zuletzt, um weniger auf EU-Gelder angewiesen zu sein. „Irgendwann werden wir Nettozahler in der EU sein“, sagt ein Orban-´ Berater. „Es wird im Lauf der Jahre immer wichtiger werden, neue Quellen für Investitionen zu erschließen.“Unausgesprochen schwingt da mit: Je unabhängiger man wirtschaftlich ist, desto weniger können die Europäer mit dem Entzug von Geldmitteln drohen, wenn ihnen politisch etwas in Budapest oder Warschau nicht gefällt. In Deutschland und Brüssel sieht man die chi- nesischen Bestrebungen mit Misstrauen, aber die Osteuropäer stört das nicht.
„Wir teilen diese Sorgen nicht“, dass man Pekings Investitionen in Europa Grenzen setzen müsse, sagt der Orban-´Berater. Orban´ selbst sagte zur Eröffnung des Gipfels mit Seitenhieb in Richtung Berlin: „Europa darf sich nicht abschotten.“Es ist der Satz, mit dem die deutsche Politik gern Ungarns Haltung in der Flüchtlingskrise kritisiert.
Wirtschaftlich ist die „16+1“-Kooperation noch weit davon entfernt, Konkurrenz für die EU zu sein. Nur Ungarn profitiert bisher nennenswert. Nach Angaben der chinesischen Botschaft in Budapest ging rund die Hälfte aller chinesischen Investitionen in der Region nach Ungarn: 4,1 Milliarden Dollar. 10.000 Arbeitsplätze seien so geschaffen worden. Der Ausbau der Bahnstrecke Budapest–Belgrad wird zusätzlich zwei Milliarden Dollar kosten, ein chinesischer Kredit soll 85 Prozent davon decken. Der bilaterale Handel wuchs 2016 um zehn Prozent, auf 8,89 Milliarden Dollar. Im ersten Halbjahr 2017 waren es gar 17 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode: 4,85 Milliarden Dollar. Das ist im Vergleich zum Handel mit der EU noch wenig, aber da wächst etwas heran.