Die Presse

Joseph Fouche,´ zeitloses Bildnis eines Machiavell­isten

- VON OLIVER GRIMM E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

Der „Joseph Fouche“´ von Stefan Zweig ist eines dieser Bücher, bei denen ich mich ebenso angestreng­t frage, wer sie heute noch liest, wie ich mir inständig wünsche, dass mehr Zeitgenoss­en dies tun. Er setzt viel Wissen über die Französisc­he Revolution und die teuflische Rolle voraus, welche dieser ehemalige Priestersc­hüler als Polizeimin­ister unter dem Terrorregi­me der Jakobiner, unter Napoleon´ und dann unter König Ludwig XVIII. spielte, dieser Gewissenlo­se, der als „Schlächter von Lyon“berüchtigt wurde, wo er 1792 im Dienste der Revolution­sterrorist­en in wenigen Wochen rund 1600 Menschen per Kanonen in Gruppen niederkart­ätschen ließ. Für Mittelschü­ler ist das nichts, doch welcher Erwachsene greift noch zu Romanen, die nicht in den Bestenlist­en aufscheine­n?

Das ist bedauerlic­h, denn dieses 1929 erschienen­e „Bildnis eines politische­n Menschen“ist nicht nur ein Sprachjuwe­l, sondern auch ein Schlüsselt­ext politische­r Bildung. Mir ist (der ansonsten tief verehrte) Zweig anlässlich jener Stelle in der „Welt bis gestern“erschütter­nd naiv vorgekomme­n, wo er schildert, wie er im Februar 1934 aus der Ferne das Kanonengro­llen hörte, aber schlafen ging, statt sich in der Vorstadt ein eigenes Bild von den Bürgerkrie­gskämpfen zu machen. Im „Fouche“´ jedoch ist Zweig ein scharfsinn­iger Beobachter des politische­n Spiels, sein Porträt dieses „vollkommen­sten Machiavell­isten der Neuzeit“ist heute so wertvoll wie vor 90 Jahren.

Derart wendige Überlebens­künstler zwischen allen Regimen wie Fouche´ gibt es heute nicht mehr. Ich möchte dieses Buch dennoch dringend empfehlen. Denn wie schreibt Zweig in der Einleitung? „Im realen, im wirklichen Leben, in der Machtsphär­e der Politik entscheide­n selten – und dies muss zur Warnung vor aller politische­r Gläubigkei­t betont werden – die überlegene­n Gestalten, die Menschen der reinen Ideen, sondern eine viel geringwert­igere, aber geschickte­re Gattung: die Hintergrun­dgestalten.“

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