Für balancierte Persönlichkeiten sind 22 Grad gerade recht
Psychologie. Das Klima bzw. Wetter bestimmt nicht nur unsere wechselnden Stimmungen mit, es prägt auch die Entwicklung unserer Charaktere: Sie geraten am besten dort, wo die Temperaturen mild sind, so sieht es zumindest ein Psychologe in China und in den
Welche Macht das Wetter über uns hat, merkt man etwa in Wien, wenn das winterliche Grau am Himmel nicht weichen will, es drückt und lähmt. Und wie man dann lacht, wenn die Sonne es tut! Dabei geht es um das temporäre Befinden, aber kann das Wetter bzw. eine seiner Komponenten uns auch tiefer prägen, in unserer Persönlichkeit? Diese fasst man in fünf Kategorien – „Big Five“: Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität, Geselligkeit, Offenheit für Erfahrungen – bzw. zwei Gruppen, Alpha und Beta: Zu Alpha zählen die ersten drei der fünf, sie beziehen sich auf Stabilitäten, die man in der Sozialisation erworben hat; unter Beta fallen die Offenheit gegenüber anderen und jene gegenüber der Welt, sie stehen für Plastizität.
Dafür, wie die einzelnen Charakteristika sich zu Persönlichkeiten gewichten, gibt es verschiedene Hypothesen, etwa die vom „Subsistenzstil“: Fischer und Bauern leben eher arbeitsteilig und kollektiv, Hirten ziehen eher allein mit ihren Herden herum, sie entscheiden unabhängig von anderen. Oder stehen ganz andere hinter unseren Charakteren, Krankheitserreger? Wo es viele gibt, so die zweite Hypothese, isoliert man sich eher von Nachbarn. Oder wandert man gemeinsam mit ihnen in bessere Gefilde.
Zu kalt, zu heiß? Wenig Sozialkontakt!
So sieht es die dritte Hypothese. Aber was sind bessere Gefilde? Die Qualität eines Lebensraums wird natürlich vom Klima mitbestimmt, und einer seiner Komponenten – der Temperatur – ist eine Gruppe um den Psychologen Lei Wang (Peking) nachgegangen, in zwei Ländern, die groß genug sind für viele Klimazonen und doch kulturell völlig verschieden gestrickt (wenigstens bis- her): China und die USA. In beiden Ländern haben die Forscher die Temperaturen um einen Wert herum gruppiert, die als besonders angenehm empfunden wird – „mild“– , 22 Grad Celsius, so hat man es gern zu Hause. Ist es draußen wärmer oder kälter, schränkt das die Aufenthaltsdauer im Freien und den sozialen Kontakt ein, direkt, weil man lieber im Haus bleibt, indirekt, weil auch die Wirtschaftsweise an der Temperatur hängt und etwa Landwirtschaft mit ihrer Arbeitsteilung eher unter milden Bedingungen betrieben wird.
So fördern sie die Weltoffenheit und Erkundungslust (Beta), sie fördern auch die in der Sozialisation erworbene Stabilität (Alpha). Das klingt plausibel, und das hat sich auch in Wangs Analysen von 5587 Chinesen in 59 Städten und von 1,6 Millionen US-Bürgern, deren Wohnort bis zur Postleitzahl aufgeschlüsselt wurde, bestätigt: Je näher bei 22 Grad die Temperaturen liegen, desto stärker sind Alpha und Beta ausgeprägt, über die kulturelle Differenz hinweg und unabhängig von vielen Variablen, auf die kontrolliert wurde, Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status etc. Je weiter sie von 22 Grad weg sind, gleich, ob nach oben oder nach unten, desto schwächer sind Alpha und Beta (Nature Human Behaviour, 27. 11.).
Allerdings merkt Wang selbst an, dass es ganz so einfach nicht sein kann und dass es etwa auch eine Theorie der „sozialen Thermoregulierung“gibt: Ihr zufolge sucht man gerade in kühleren Regionen mehr und engere soziale Wärme. Zudem geht die ganze Studie nur auf das Klima, das die Natur macht – und da sieht Wang mit dem Klimawandel Persönlichkeitsänderungen kommen –, er vernachlässigt aber das Klima, das die Menschen sich selbst direkt machen, in den Innenräumen mit Klimaanlagen.