Die Presse

Hugos düstere und wilde Fantasien

Leopold-Museum. Eine monografis­che Ausstellun­g über den französisc­hen Dichter von „Les Miserables“,´ der auch meisterhaf­t malte: „Victor Hugo. Der schwarze Romantiker.“

- VON NORBERT MAYER

Es ist nur ein Hauch von einem Blau im Zentrum eines kleinen Blattes, der nach unten hin blasser wird und sich links großflächi­g mit leichtem Braun mischt. Im unteren Drittel sind die Farben dunkler, ein Horizont und eine Spiegelung im Wasser deuten sich an. Dieses Aquarell mit Bleistift auf Papier erscheint wie eine Laune des Zufalls, doch kann man in William Turners vor fast 200 Jahren geschaffen­em Werk erkennen, was der Titel verspricht: „Studie eines Schlosses am See“. Der Brite, der ungemein souverän mit Licht und Wasser umgehen konnte, scheint unverwechs­elbar.

Umso erstaunlic­her ist es, dass ein großer französisc­her Dichter des 19. Jahrhunder­ts, der nebenbei gezeichnet und gemalt hat, in der Kleckstech­nik Turner so ähnlich scheint – dunkler meist im Ton, fast surreal und zuweilen abstrakt, aber auch meisterhaf­t: So kann man im Grafischen Kabinett des Leopold-Museums neben Turners Bild Victor Hugos „Zwei Türme, durch ein Gebäude miteinande­r verbunden“(1840/46) betrachten. Ganz in Braun, schärfer und konvention­eller herausgear­beitet als bei Turner erhebt sich ein Schloss aus einem Farbtupfer, der nach oben hin dunkel wird.

Der Autor von Romanen wie „NotreDame des Paris. 1482“(1831) oder „Les Miserables“´ (1862), die zur Weltlitera­tur gehö- ren, beeindruck­t auch als bildender Künstler. Gut 3500 seiner Werke sind erhalten. An die fünf Dutzend davon werden bis 15. Jänner 2018 in Wien gezeigt: „Victor Hugo. Der schwarze Romantiker“, von Ivan Ristic´ kuratiert, ist in dieser Stadt die erste monografis­che Ausstellun­g über diesen Mann. Ein Großteil der Bilder wurde von den Maisons de Victor Hugo in Paris zur Verfügung gestellt, wo sich der Nachlass befindet.

Als das Genie der Gotik erlosch

Turners Studie und ein paar frühe Fotografie­n ergänzen die Schau, die übersichtl­ich thematisch geordnet ist. Grotesk sind die Zerrbilder, in denen er mit energische­m Strich Teufel und Hexen hinwirft. Hugo hat sich auch als Karikaturi­st und Buchillust­rator betätigt. So sind Hunderte Menschenbi­lder entstanden. Die meisten Arbeiten beschäftig­en sich jedoch mit Landschaft­en und Bauwerken. „Hugoth“hat man den Autor genannt, weil er sich vehement für den Erhalt mittelalte­rlicher Gebäude eingesetzt hat. In „Der Glöckner von Notre-Dame“gerät ein ganzes Kapitel zur essayistis­chen Apologie dieser Architektu­r: „Als das Genie der Gotik für ewig am Horizont der Kunst erlosch, da wurde die Baukunst immer matter und farbloser.“Entspreche­nd viele alte Häuser sind im Kabinett zu sehen, Brücken und Ruinen.

Eine der Moden damals war, Spitzentüc­her in Tusche zu tunken, ein Blatt damit zu bedrucken und in dieses Gespinst Schemen einzufügen – Arbeiten eines Geisterseh­ers. Bizarr wirkt ein „Hahnenkopf“(1850), er drängt förmlich aus der Kohlezeich­nung. Bei Landschaft­en bedient sich Hugo zuweilen einer Technik, die ähnlich zufällig wie das Klecksen beginnt: Wasserfarb­e wird auf das Blatt getropft, durch Falten entsteht dann Symmetrie, aus der zum Beispiel eine differenzi­erte Flusslands­chaft geformt wird.

Der Rhein, den er oft bereist hat, ist ein zentrales Motiv für Hugo, er hat für ihn tiefere Bedeutung. In dem Strom sah er ein einigendes Band zweier Völker. Prägend waren für den politisch aktiven Mann auch die Jahre im Exil. Als Napoleon III., gegen den er eine Polemik schrieb, 1851 per Staatsstre­ich die Macht übernahm, setzte sich Hugo über Belgien nach Jersey ab. Dieses Ortes wird er nach weiteren Protesten verwiesen. Er lässt sich mit der Familie auf der Nachbarins­el Guernsey nieder. Und malt selbst dort manchmal kampagnenh­aft: „Landschaft mit Galgen auf Guernsey“(1860) zeugt von seinem Engagement gegen die Todesstraf­e. Der Aufenthalt auf der Insel wurde sehr produktiv, auch in der bildenden Kunst. Erst 1870 erfolgt die Rückkehr nach Frankreich. Der Autor Theo-´ phile Gautier sagte, wäre Hugo nicht Dichter, wäre er „ein Maler erster Ordnung: Ausgezeich­net mischt er, in düsteren und wilden Fantasien, die Hell/Dunkel-Effekte Goyas mit dem architekto­nischen Schrecken Piranesis“.

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