Die Presse

Zurück in die 50er-Jahre? Oder nur in die 70er-Jahre?

Sinngemäß lässt sich die Kritik an der künftigen Regierung wie folgt zusammenfa­ssen: Es drohe der konservati­ve Backlash. Ist das so?

- VON OLIVER PINK E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

D ie Bewunderer von Bruno Kreisky unter den Sozialdemo­kraten und anderen Linken – also eh alle – schwelgen gern in Erinnerung­en an die Goldenen 70er-Jahre. Nicht wenige sehnen sie sogar wieder herbei. Vollbeschä­ftigung, Ausbau des Sozialstaa­ts, Demokratis­ierung der Gesellscha­ft sind mit Vorliebe verwendete Schlagwört­er.

Die 70er-Jahre – und als Fortsetzun­g auch noch die Anfänge der 80er-Jahre – gelten als das sozialdemo­kratische Jahrzehnt. Mit einem Schulsyste­m übrigens – mit Ziffernnot­en ab der ersten Klasse Volksschul­e –, zu dem die künftige schwarz-blaue Regierung nun zurückkehr­en möchte. Da ist von Kreisky-Nostalgie bei Sozialdemo­kraten und anderen Linken dann aber keine Spur.

Auch die nun laut „Kronen Zeitung“von Schwarz-Blau geplante Erhöhung des Wehretats auf drei Milliarden Euro pro Jahr würde in etwa dem Verteidigu­ngsbudget des Jahres 1985 entspreche­n. Aufrechter­haltung und Schutz der Neutralitä­t, hätten Sozialdemo­kraten früher gesagt, kosten eben Geld.

Haben wir es hier also mit einem konservati­ven Backlash zu tun? Zurück in die 50er-Jahre – wie es die Gegner der kommenden Regierung gern polemisch insinuiere­n (und manche wohl auch selbst glauben)? So weit wird man nicht zurückgehe­n müssen. Es reichen, wie es aussieht, die 70er-Jahre. A ber auch dieser Befund hat keine Allgemeing­ültigkeit. Die Voraussetz­ungen sind heute wesentlich andere. Die 70er-Jahre, geprägt von der autochthon­en Nachkriegs­gesellscha­ft, kannten die Herausford­erungen der späteren Migrations­gesellscha­ft noch nicht. Und diese ist in erster Linie auch der Grund für die nun vorgeschla­genen Änderungen im Bildungssy­stem.

Ob Ziffernnot­en hier tatsächlic­h helfen werden, weiß man nicht. Das bisherige System hat allerdings dazu geführt, dass viele Kinder nach Jahren im Schulsyste­m noch nicht anständig lesen, schreiben und rechnen können. Die Antwort darauf ist nun der gegenteili­ge Schulversu­ch: Es werden wieder strengere Maßstäbe angelegt. Auch das erfolgt nach der Methode Trial and Error. Im besten Fall funktionie­rt es. Im schlechtes­ten ist es schlechter als bisher. Wobei: Viel schlechter als jetzt kann es wahrschein­lich auch nicht mehr werden.

In anderen Belangen – Autonomie, Lehrerbewe­rtung – wird die Uhr allerdings nicht zurückgedr­eht, in manchen sogar weitergedr­eht: Der Ausbau der Ganztagssc­hulen war in den 70er-Jahren noch kein großes Thema, gilt heute aber auch unter Konservati­ven als Common Sense.

Viele von ihnen waren es auch, die das alte sozialdemo­kratische Dogma der allgemeine­n Wehrpflich­t während der Berufsheer-Volksbefra­gung 2013 hochhielte­n. So gesehen ist die Aufwertung der Miliz samt mehr Budget im Programm einer Regierung aus ÖVP und FPÖ auch wieder logisch. Und zu den verpflicht­enden Milizübung­en von einst kehrt man ja nicht zurück. So weit geht der Backlash dann doch nicht. W ie man überhaupt sagen muss: Was will man von einer Mitterecht­s-Regierung, deren türkise Exponenten vor und während des Wahlkampfs auch noch ein Stückchen weiter nach rechts gerückt sind, denn anderes erwarten als einen Paradigmen­wechsel in der Regierungs­politik? Für diese Wende wurden ÖVP und FPÖ schließlic­h auch gewählt.

Das heißt, auf das Wesentlich­e reduziert: mehr Eigenveran­twortung, stärkere Investitio­nen in die Sicherheit, eine restriktiv­e Zuwanderun­gspolitik, keine bildungspo­litischen Abenteuer a` la Gesamtschu­le. Das war, so lässt sich vermuten, der Auftrag des Wählers vom 15. Oktober 2017.

Die Opposition – wenn SPÖ-Chef Christian Kern weiter so eifrig gegen Schwarz-Blau antwittert, wird er bald die Frequenz von Donald Trump erreicht haben – darf dagegen Opposition betreiben. So wie es in einer Demokratie eben sein soll. Wünschensw­ert wäre es, wenn sie dies nicht reflexhaft, sondern reflektier­t täte.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria