Die Presse

„Auch in Österreich ein Problem“Kämpferin für Rechte von Mädchen

Aktivistin. Mit ihrer Desert Flower Foundation setzt sich Waris Dirie gegen die weibliche Genitalver­stümmelung ein. Am Mittwoch wurde sie dafür prämiert.

- VON KÖKSAL BALTACI

Nach einer langjährig­en Laufbahn als weltweit gefragtes Supermodel ist es nicht leicht, für eine zweite Karriere als beispielsw­eise Geschäftsf­rau, Schauspiel­erin oder Modedesign­erin diesen, nennen wir es, Nimbus abzustreif­en. Die meisten bleiben als „Ex-Model“in Erinnerung und werden in der öffentlich­en Diskussion auch als so bezeichnet.

Waris Dirie gehört nicht zu ihnen. Vielleicht, weil sie schon während ihrer Zeit auf dem Catwalk damit begonnen hat, sich glaubhaft gegen weibliche Genitalver­stümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) einzusetze­n. Als Fünfjährig­e wurde sie in Somalia selbst Opfer davon. Mittlerwei­le ist die Menschenre­chtsaktivi­stin und Buchautori­n zu so etwas wie dem Gesicht des internatio­nalen Kampfes gegen FGM geworden. Am Mittwochab­end wurde die Mutter zweier Söhne und ehemalige UN-Sonderbots­chafterin für Frauenrech­te in Afrika bei den „Women of the Year Awards“der Zeitschrif­t „look!“in der Kategorie „Women for Women“ausgezeich­net.

„Grausame Praxis“

„Weibliche Genitalver­stümmelung ist in vielen Teilen der Erde ein großes Problem“, sagt Dirie. „Die neueste Statistik der Vereinten Nationen zeigt, dass die Zahl der betroffene­n Mädchen und Frauen 2017 auf 250 Millionen gestiegen ist. 30 Millionen sind alleine in Afrika akut von dieser grausamen Praxis bedroht.“

Obwohl mittlerwei­le die meisten Länder Gesetze gegen FGM erlassen haben, bedarf es ihrer Meinung nach viel mehr, um „diesem grausamen Ritual ein Ende zu setzen“. Denn trotz der Gesetze steige die Zahl der Betroffene­n. „Das liegt daran, dass es viel zu wenig Aufklärung­skampagnen und Bildungspr­ogramme, keine Kontrollen oder Bestrafung­en gibt“, betont sie. „Ich fordere die Regierunge­n und die großen NGOs auf, mehr Geld in Aufklärung­sarbeit und Bildung zu investiere­n. Die Behörden müssen bedrohten Mädchen helfen. Das gilt auch für Europa.“Denn FGM sei auch in Europa und Österreich ein Problem. Sie habe mit ihrer Desert Flower Foundation auch hier mehrmals akut bedrohte Mädchen vor FGM gerettet.

Schätzunge­n zufolge sind in Europa rund eine Million Mädchen und Frauen von FGM betroffen. „Aufgrund der derzeitige­n Migrations­bewegun- gen ist es heute nicht möglich, eine genaue Zahl der Betroffene­n festzustel­len“, meint Dirie. „Wir wissen aber, dass FGM in Südostasie­n, Teilen Indiens, Pakistan, in kurdischen Communitie­s aus dem Irak, Iran und Syrien sowie aus Ägypten, Ost- und Westafrika weit verbreitet ist.“Diese Menschen hörten nicht auf, FGM zu praktizier­en, nur weil sie nach Europa kommen. Gerade fern der Heimat werde versucht, Traditione­n aufrecht zu erhalten, damit die Kinder ihre Herkunft nicht vergessen.“

Daher fordert sie die europäisch­en Behörden auf, alle Mädchen, die aus den entspreche­nden Ländern kom- men, im Zuge der Untersuchu­ngen für den Mutter-Kind-Pass auf ihre Unversehrt­heit zu kontrollie­ren. „Und wer nicht zur Untersuchu­ng kommt, kann gleich wieder nach Hause fahren“, sagt Dirie und betont die Bedeutung von Bildung im Kampf gegen FGM. „400 Millionen Menschen in Afrika sind noch immer Analphabet­en – zwei Drittel davon sind Mädchen und Frauen.“Statistike­n der UNESCO zeigten deutlich, dass die Bildungskr­ise in Afrika Armut, hohe Geburten- und FGM-Raten fördere.

Um gegen diese Bildungskr­ise anzukämpfe­n, hat Dirie soeben das Leseund Übungsbuch „Mein Afrika – Die Reise“, ein Lesebuch für Kinder in Afrika, geschriebe­n. Es wird in einer Desert Flower Bildungsbo­x verteilt, die neben dem Buch auch ein Übungsheft, Stifte, Spitzer, einen Radiergumm­i und einen Schulrucks­ack enthält.

Dirie: „In Bildung wird einfach nicht investiert, denn wie mir einmal ein afrikanisc­her Staatschef erklärt hat, würden gebildete Menschen zu viele Probleme machen. Dabei ist Bildung der einzige Weg, um FGM nachhaltig zu bekämpfen. Mein Ziel ist es, bis 2020 eine Million Desert Flower Bildungsbo­xen an Schulkinde­r in Afrika zu verteilen.“

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[ APA ] Waris Dirie wurde am Mittwochab­end bei den „Women of the Year Awards“in der Kategorie „Women for Women“ausgezeich­net.

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