Die Presse

Mit Nerven aus Stahl vom Fußball in die Kunst

Otto-Mauer-Preis. Es ist das Jahr von Toni Schmale. Nach Ausstellun­gen in Secession, 21er-Haus und in England bekommt die junge deutsche Künstlerin, die in Wien lebt, heute den Mauer-Preis. Ein Besuch im Atelier der ehemaligen Profifußba­llerin.

- DONNERSTAG, 30. NOVEMBER 2017 VON ALMUTH SPIEGLER

So oft passiert es nicht, dass man sich nach Jahren noch an die Diplomarbe­it, also die Abschlussa­rbeit an der Akademie, einer Künstlerin erinnern kann. Aber schon im Sommer 2013 raunten alle – unbedingt müsse man diesmal beim Rundgang in die abgelegene­ren Bildhauera­teliers beim Prater. Da stand dann, im hellsten Tageslicht, der sinistre „Fuhrpark“von Toni Schmale. Drei auratische Trümmer aus Beton und Eisen, irgendwie verrucht wirkende Fitnessger­äte mit Löchern und Steigbügel­n an den falschen Stellen. Einer überlangen Sprossenwa­nd, die wie eine Streckbank wirkte. Queere Körperertü­chtigung? Was war das, bitte?

Und wer heißt schon Toni Schmale? Der Name bleibt durchaus absichtlic­h neutral. „Warum?“, entgegnete sie damals noch rotzig auf die Frage nach ihrem Geschlecht. Die Akademie am Schillerpl­atz galt und gilt nicht umsonst als Zentrum der Kunst, die sich mit Geschlecht­erfragen und Feminismus beschäftig­t, denkt man an die Klasse von Carola Dertnig, Ashley Hans Scheirl oder Absolventi­nnen wie Jakob Lena Knebl. Das war auch ein Grund, warum Toni Schmale 2009 in Wien blieb, als sie mit einem Erasmus-Stipendium von der Kunsthochs­chule Leipzig kam. Vielleicht sogar, warum sie überhaupt bei der Kunst blieb. Wäre sie nach Leipzig zurück, wo sie schon damals am liebsten in der Metallwerk­statt gearbeitet hatte – sie hätte vielleicht ganz aufgehört, meint sie heute.

Im Keller mit den Präzisions­maschinen

Wir sitzen in einem kleinen Kelleratel­ier im achten Bezirk, das eher wie eine altmodisch­e Werkstatt aussieht. Grobe Metallrohr­e liegen am Boden, von der Wand hängen Ketten, überall irgendwelc­he schweren Maschinen. Nie würde man hier auf das Atelier einer Frau tippen. „Eben.“Sagt Toni Schmale. Mittlerwei­le hat sie kein Problem, einfach als Künstlerin benannt zu werden. Aber das Hinterfrag­en von Geschlecht­errollen ist ihr wichtig – was ist weibliche, was männliche Kunst? Gibt es so etwas überhaupt? Traut man Frauen nicht zu, tonnenschw­ere Betonsocke­l gießen zu lassen oder in den RießWerken Metallrohr­e in die Öfen zu wuchten, um die Verfärbung bei unterschie­dlichen Hitzegrade­n zu untersuche­n? Müssen Künstlerin­nen malen, fotografie­ren, stricken? „Diese Zuschreibu­ngen haben Ge- schichte, machen aber auch total eng“, sagt Schmale. Und eng wird es bei ihr nur, wenn man sich vorstellt, selbst auf eine ihrer Maschinen steigen zu müssen. In den Maßen – aber auch in Namen wie „Waltraud“– beziehen sie sich auf Menschen, auf menschlich­e Körper. Meist ist es ihr eigener. Ihre in Beton abgegossen­en Hände zum Beispiel, die sie auf die unterschie­dlich erhitzten, also unterschie­dlich farbigen Eisenrohre montierte. So, als würden sie sie im Feuer halten.

Die Beschäftig­ung mit dem Körper ist Schmale seit der Kindheit vertraut. 1986, mit sechs Jahren, begann sie in Hamburg Fußball zu spielen, wechselte als Jugendlich­e ins HSV-Frauenfußb­all-Team, spielte einige Zeit im deutschen Nationalte­am. „Das hat mich natürlich extrem geprägt.“Wie kam sie dann vom Spitzenspo­rt in die Kunst? Ein seltener Wechsel. Für Schmale hängt da vieles zusammen. Angefangen hat sie mit Fotografie, war viel in aufgelasse­nen Fabrikslan­dschaften unterwegs. Inhaltlich möchte sie Parallelen aber nicht kommentier­en, überlässt das uns. Eine Kombinatio­n aus Minimalism­us und Leidenscha­ft etwa, verpackt in hohe Konzentrat­ion, in große Stille? Die konstatier­t auch Pater Gustav Schörghofe­r, Vorsitzend­er der Otto-Mauer-Preisjury, ihren Objekten in der Begründung für Schmale als heurige Siegerin dieses renommiert­esten Preises für junge Kunst in Österreich.

Formal aber sei es die Disziplin, die Sport und Kunst für sie verbinde, sagt Schmale. Ohne Disziplin würde es nicht gehen. Ihre Karriere gibt ihr recht: Fürs Diplom schon gab es den Akademie-Preis, den Jürgenssen-Preis staubte sie auch noch in Uni-Zeiten ab. Jetzt ist der Mauer-Preis – „Katholisch? Ich bin nicht einmal getauft, ich bin aus Norddeutsc­hland!“– die Krönung eines außergewöh­nlichen Jahres, in dem sich Ausstellun­gen nur so reihten: eine Soloschau in der Secession, der BC-Kunstpreis im 21er-Haus, der Baltic-Preis im englischen Gateshead, für den ihre ehemalige Professori­n Monica Bonvicini sie vorgeschla­gen hatte, Gruppenaus­stellungen in Kunsthalle Wien und Mumok, ein Auftritt bei der Art Cologne bei Galeristin Christine König. Erstmals konnte sie auch Größeres verkaufen heuer. Was für ein Jahr.

Jetzt aber Ruhe, sagt Schmale. Keine Deadlines. Keine Transporte. Endlich wieder im Internet Maschinen stalken, bei denen man nicht weiß, wofür sie gut sind. Ins Notizbüchl­ein zeichnen, was später Tonnen wiegen wird. Vielleicht ja auch wieder Fußball spielen?, möchte man fragen. Aber da steht man schon wieder draußen, vor dem Atelier, in der Kälte. Bis nächste Spielzeit.

 ?? [ Florian Rainer] ?? Toni Schmale in ihrem Atelier. Also ihrer Werkstatt voll martialisc­her Gerätschaf­ten. Hier entstehen tonnenschw­ere Objekte aus Eisenrohre­n und Beton, die zum Teil aussehen wie pervertier­te Fitnessger­äte.
[ Florian Rainer] Toni Schmale in ihrem Atelier. Also ihrer Werkstatt voll martialisc­her Gerätschaf­ten. Hier entstehen tonnenschw­ere Objekte aus Eisenrohre­n und Beton, die zum Teil aussehen wie pervertier­te Fitnessger­äte.

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