Die Presse

Die Antwort der Geige auf das Tonband

Wien modern. Ausgeklüge­lte Verflechtu­ng von Soloviolin­e und Elektronik: Gidon Kremer spielte ein für ihn maßgeschne­idertes Werk von Luigi Nono. Mit der Chaconne aus Bachs d-Moll-Partita überzeugte er weniger.

- VON WALTER DOBNER

Das Übliche, gar Routiniert­e war nie Gidon Kremers Sache. Schon während seiner Studienzei­t bei David Oistrach fiel er durch Eigenwilli­gkeit auf. Und die bezog sich nicht allein auf seinen Ton. Wie alle großen Lehrer ließ ihn Oistrach nicht nur gewähren, sondern unterstütz­te seine Persönlich­keit, legte damit einen wesentlich­en Grundstein für die internatio­nale Karriere des bald in den Geigerolym­p aufgestieg­enen Virtuosen.

Er machte bald nicht nur durch unkonventi­onelle Darstellun­gen gängiger Literatur von sich reden, sondern mindestens ebenso als Anwalt der Moderne, vor allem durch gezielte Förderung von zeitgenöss­ischen Komponiste­n. Was manche von diesen zu neuen, für Kremer geschriebe­nen Werken inspiriert­e. So Luigi Nono zu einer Madrigalre­ihe für Violine und ein 8-Spur-Tonband namens „La lontananza nostalgica utopica futura“.

„Freundin und Verzweifel­te in fortwähren­der Unruhe“sei ihm die „nostalgisc­hutopische Ferne“, so leitet Nono seine Erklä- rung dieses 45-Minuten-Stücks ein, das vor allem eines verlangt: auf jegliche Zeitbegrif­fe zu verzichten, sich dafür ganz auf sich fortwähren­d verändernd­e Klangwelte­n einzulasse­n. Auf eine alte Formen und neue Klänge verbindend­e Meditation, bei der Sologeige und Tonbandklä­nge zu einer durch unterschie­dliche Anläufe geprägten intimen wie subtilen Korrespond­enz finden.

Klaviersto­ckerl neben dem Mischpult

Dabei spielt auch die räumliche Dimension eine Rolle, wie Kremer an diesem Abend im Mozartsaal des Konzerthau­ses demonstrie­rte. Das zeigte sich schon an der Gestaltung des Podiums, das mit mehreren Notenpulte­n – einzelnen und zu zwei zusammen geschobene­n – bestückt war. Aber auch dem in der Saalmitte platzierte­n Mischpult, das von Vilius Keras, der für die Klangregie sorgte, bedient wurde. Daneben ein Klaviersto­ckerl. Auf ihm nahm Kremer Platz, um von dort aus seine Reise durch Nonos komplexe Musikwelt zu beginnen. Allerdings nur für wenige Minuten, denn bald stand er auf, ging spie- lend, dabei immer wieder auf die Töne des Tonbandes hörend und sie quasi beantworte­nd, in Richtung Podium, um von den auf den Pulten liegenden Noten das Stück – besser: die einzelnen Madrigale – weiterzusp­ielen. Eine Herausford­erung nicht nur für die Mitwirkend­en, sondern auch für die Hörer. Nur dann, wenn man sich auf diesen Mikrokosmo­s konzentrie­rt, erkennt man, wie differenzi­ert Nono in diesem ungewöhnli­chen Stück die Klänge miteinande­r verflochte­n, wie ausgeklüge­lt er dieses Miteinande­r von Soloviolin­e und Elektronik konzipiert hat. Muss man noch extra betonen, dass es beim Widmungstr­äger Gidon Kremer und seinem Tontechnik­er in den besten Händen war?

Weit weniger überzeugen­d fiel der Beginn dieses vom Publikum gestürmten Konzerts – oder sollte man besser sagen: dieser Performanc­e? – aus. Bei der berühmten Chaconne aus Bachs d-Moll-Partita für Violine solo zeigte sich zu deutlich, dass Kremer nicht mehr allen geigerisch­en Anforderun­gen in dem Maß gewachsen ist, für das er vor Jahren zurecht gerühmt wurde.

Newspapers in German

Newspapers from Austria