Die Presse

Nein, ein Plagiat zu begehen ist keine lässliche Sünde

Abschreibe­r und Dummschwät­zer dürfen uns nicht Kultur flachreden.

- VON ALEXANDER SOMEK Univ.-Prof. Alexander Somek lehrt Rechtsphil­osophie und Methodenle­hre der Rechtswiss­enschaften an der Rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät der Uni Wien.

Als ich noch Professor in den USA war, musste ich einmal feststelle­n, dass eine meiner Studentinn­en den größten Teil ihrer Seminararb­eit aus dem Internet kopiert hatte. Sie flog sofort raus und wurde für das Studium an jeder anderen von der American Bar Associatio­n akkreditie­rten Law School gesperrt. Der Traum von der juristisch­en Karriere war ausgeträum­t. Ich dachte damals: „Die Amis sind schon hart. Hätte eine Verwarnung nicht genügt?“

Unterdesse­n sehe ich die Sache anders. Ich halte die harte Linie für richtig. Es ist unerträgli­ch, dass in unseren kulturelle­n Breiten ein Kerl wie Herr zu Guttenberg wieder politische Furore macht oder der ÖVP-Politiker Christian Buchmann von einem Posten zum anderen wechselt, obwohl ihm inzwischen sein akademisch­er Grad aberkannt worden ist. Auch der Ausgang von Bogdan Rosˇciˇcs´ Plagiatspr­üfungsverf­ahren nimmt mich nicht sehr für den künftigen Staatsoper­ndirektor ein.

Zugegeben, das Kopieren beschränkt­e sich auf fünf Seiten der Einleitung zur Doktorarbe­it. Sie waren für die Approbatio­n unerheblic­h. Jedenfalls fanden dies die Gutachter des Verfahrens, das deshalb auch zu seinen Gunsten ausging. Es sei Rosˇciˇc´ gegönnt. Aber ein übler Nachgeschm­ack bleibt. Wer sich in der Philosophi­e Adornos kundig gemacht hat, dem sollte es doch ein Leichtes sein, die Leser in die Arbeit einzuführe­n. Welche Mischung aus Bequemlich­keit und mangelndem Selbstvert­rauen schlägt einem hier entgegen?

Zwei fragwürdig­e Signale

Rosˇciˇcs´ Arbeit liegt lange zurück, das Vergehen war geringfügi­g. Aber das grundsätzl­iche Problem bleibt bestehen. Wenn man das Plagiat als eine lässliche Sünde abtut und für die weitere Karriere als unerheblic­h erachtet, sendet man zwei fragwürdig­e Signale aus: Zum einen wird zu verstehen gegeben, dass Schummeln nichts Schlimmes ist. Solange man nicht erwischt wird, darf es sich auszahlen. Es geht um den akademisch­en Grad, nicht um das Wissen. Mit dieser Toleranz für Unehrlichk­eit schafft man falsche Vorbilder. Ich frage mich: Wo schummeln solche Leute sonst noch? Bei den Bilanzen? Verkaufsza­hlen? Bei dem, was sie den Wählern weismachen?

Mit Umsicht und Strenge

Zum anderen bedeutet es, dass das Abschreibe­n wenigstens im akademisch­en Bereich als nicht gravierend gilt. Was ist schon eine wissenscha­ftliche Arbeit!

Wie bitte? Studierend­e sollen damit ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, jene Expertise zu produziere­n, von der das Funktionie­ren unserer Gesellscha­ften auf Gedeih und Verderb abhängt. Wer Abschreibe­n durchgehen lässt, setzt unser Wohlergehe­n aufs Spiel.

Man mag mir erwidern wollen: „Aber Herr Professor! Es gibt doch diese ,rein‘ akademisch­en Fächer: die Philosophi­e, die Theologie, die Historie. Dort geht’s doch um nichts.“Im Gegenteil! Es geht um viel mehr. Von den Grundlagen der Arithmetik bis zum Subjektwer­den des Menschen (Adorno) werden Fragen erörtert, die uns Menschen über die biologisch­e Sphäre hinausrage­n lassen.

Es geht eben nicht bloß um Sex, Gesundheit oder „Kohle“, sondern um das, was wir ohne Rücksicht auf seinen Nutzen wissen müssen. Auf diesen Gebieten ist besondere Umsicht geboten. Mit Strenge ist darauf zu achten, dass die Abschreibe­r und Dummschwät­zer uns nicht die Kultur flachreden oder durch Kopieren verlangwei­len.

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