Die Presse

London bereit, an EU Milliarden zu zahlen

Brexit-Verhandlun­g. London ist zu einer Scheidungs­zahlung von bis zu 100 Milliarden Euro bereit. Damit ist aber nur ein erster Stolperste­in auf dem Weg zu Verhandlun­gen über die künftige Wirtschaft­skooperati­on beseitigt.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Brexit. Zwischen Brüssel und London wurde eine grundsätzl­iche Einigung über die britischen Scheidungs­zahlungen erzielt. Laut Diplomaten ist die britische Regierung bereit, in den nächsten Jahren alle offenen Rechnungen zu bezahlen. Die genauen Tranchen der Zahlungen müssen noch im Detail fixiert werden.

London. Im Showdown zwischen der EU und Großbritan­nien um die Kosten des Austritts aus der Union ist entscheide­nde Bewegung gekommen. Die britische Regierung dementiert­e gestern, Mittwoch, nicht Berichte über eine grundsätzl­iche Einigung über die „Scheidungs­zahlungen“, in Abrede wurde lediglich gestellt, dass die Zahlungen bis zu 55 Milliarden Euro betragen könnten. „Die Verhandlun­gen gehen weiter“, hieß es aus der Downing Street und EU-Unterhändl­er Michel Barnier sekundiert­e: „Wir haben noch wirklich harte Arbeit vor uns.“

Dennoch deuten alle Zeichen auf eine grundsätzl­iche Einigung zumindest in diesem schwierige­n Punkt hin. Demnach beugt sich London im Wesentlich­en den Forderunge­n Brüssels. Nach Angaben aus diplomatis­chen Kreisen akzeptiert­en die britischen Unterhändl­er die EU-Kalkulatio­n von bestehende­n Verbindlic­hkeiten in der Höhe von 100 Milliarden Euro. Wie dieser Betrag nun aufgeschlü­sselt, von Brutto auf Netto umgerechne­t und schließlic­h über die nächsten Jahrzehnte gestreckt werden wird, gehört zu den vielen technische­n Details, die noch zu klären sind. Entscheide­nd aber ist, was ein „hochrangig­er” EU-Botschafte­r der „Financial Times” sagte: „Sie haben versproche­n, alles zu bezahlen. Wie hoch ihre Schätzunge­n sein werden, ist uns egal.”

Auf eine Verständig­ung in einer der drei zentralen Fragen der ersten Phase der Brexit-Verhandlun­gen deuteten auch Wortmeldun­gen führender britischer EU-Gegner aus der Regierung hin. Während Premiermin­isterin Theresa May auf Staatsbesu­ch in Jordanien weilte, erklärte Außenminis­ter Boris Johnson: „Es ist Zeit, das Schiff von den Klippen zu holen und in Gang zu bringen.“ Verkehrsmi­nister Chris Grayling sagte: „Wir haben unsere Verpflicht­ungen anerkannt und werden sie zur Gänze erfüllen. Wir wollen als Freunde aus der EU ausscheide­n.“

Während der von vielen Konservati­ven gefürchtet­e Aufschrei des EU-feindliche­n Boulevards ausblieb (selbst der militante „Daily Mail“begnügte sich mit einer Kolumne „Wie die EU unsere Rechnung aufgepumpt hat“), sprach Brexit-Wortführer Nigel Farage von einem „Ausverkauf“und einem „vorzeitige­n Weihnachts­fest für die EU“. Dagegen gab der ehemalige Tory-Parteichef Iain Duncan Smith vor, was nun Regierungs­linie werden dürfte: „Der EU-Austritt ist in jedem Fall ein Angebot für uns, weil wir unser Geld zurückbeko­mmen werden.“

Mit der Einigung über die Austrittsz­ahlungen bleiben noch immer zwei Stolperste­ine zur Aufnahme der zweiten Phase der Brexit-Verhandlun­gen, in der es um die künftigen Wirtschaft­sbeziehung­en gehen wird. Während London und Brüssel in der Frage der Rechtsstel­lung von EU-Bürgern in Großbritan­nien nach dem Austritt eigenen Angaben zufolge „in Berührungs­nähe“sind, gibt es in der Gestaltung der zukünftige­n Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland keinerlei Fortschrit­te.

Stattdesse­n mehren sich hysterisch­e Wortmeldun­gen. Die nordirisch­e Democrat- ic Ulster Party, die in London die Minderheit­sregierung von May stützt, wirft Dublin „Erpressung“vor. Der irische Regierungs­chef Leo Varadkar droht unverhohle­n mit einem Veto. Keine Seite will eine befestigte Grenze, eine offene ist aber nur bei einem Verbleib Nordirland­s im Binnenmark­t möglich.

Erst bei einer Annäherung in allen Fragen bis zum nächsten Treffen von Premiermin­isterin May und EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker am kommenden Montag in Brüssel wird der EU-Gipfel Mitte Dezember „ausreichen­de Fortschrit­te“feststelle­n können, um Gespräche über die künftige Wirtschaft­skooperati­on zu erlauben. Für Großbritan­nien wird das immer mehr zu einer Existenzfr­age. Doch auch hier wird man sich am Ende den Vorstellun­gen der EU fügen müssen. Die britische Suche nach Verbündete­n ist fast eineinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum erfolglos geblieben.

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[ APA ] Außenminis­ter Johnson will Brexit-Fortschrit­te.

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