Die Presse

Ex-General schluckt vor UN-Tribunal Gift

Kriegsverb­rechertrib­unal. Der einstige bosnisch-kroatische Kommandant Slobodan Praljak beging während der Urteilsver­kündung in Den Haag Suizid. Zagreb zeigt sich schockiert.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Den Haag. Vor dem UN-Kriegsverb­rechertrib­unal für Ex-Jugoslawie­n in Den Haag spielten sich am Mittwoch dramatisch­e Szenen ab: Im letzten Prozess des Tribunals, das demnächst seine Arbeit einstellen soll, beging der frühere Kommandant der bosnisch-kroatische­n Truppen, Slobodan Praljak, Suizid. Nur Sekunden nach der Bestätigun­g seiner 20-jährigen Haftstrafe schluckte der 72-jährige vor den Augen der Richter Gift. Kurz darauf sackte er in seinem Sessel zusammen. Der Richter unterbrach die Sitzung. Der Verurteilt­e wurde sofort medizinisc­h behandelt. Doch er verstarb später in einem Krankenhau­s in Den Haag.

Das UN-Gericht in Den Haag hatte die Urteile gegen ihn und weitere Angeklagte wegen Verbrechen gegen die muslimisch­e Zivilbevöl­kerung in Bosnien und Herzegowin­a während des Krieges Anfang der 1990er Jahre bestätigt.

Belgrad/Den Haag. Der 72-jährige Ex-Kommandant der bosnischkr­oatischen Armee HVO legte lautstark Protest ein: „General Slobodan Praljak ist kein Kriegsverb­recher. Ich weise das Urteil zurück!“, sagte er empört, nachdem die Berufungsk­ammer des UN-Kriegsverb­rechertrib­unals für Ex-Jugoslawie­n in Den Haag am Mittwoch seine 20-jährige Haftstrafe aus erster Instanz bestätigt hatte. Mit zitternder Hand flößte er sich danach aus einem bräunliche­n Fläschlein eine Flüssigkei­t ein. Er habe gerade „Gift“geschluckt, ließ Praljak seine entgeister­ten Richter wissen.

Hektisch ordnete der Vorsitzend­e Richter Carmel Argius die Schließung der Jalousien zur Besuchertr­ibüne an. Notärzte eilten herbei, über dem Gerichtsge­bäude in Den Haag kreiste ein Hubschraub­er. Später waren die Sirenen eines von der Polizei eskortiert­en Rettungswa­gens zu hören.

Urteil über Rolle Kroatiens

Doch alle Rettungsma­ßnahmen waren vergebens. Kurz nach der Einlieferu­ng Praljaks in die Bronovo-Klinik in Den Haag wurde der Tod des verurteilt­en bosnischkr­oatischen Generals bekannt gegeben. Die niederländ­ischen Justizbehö­rden leiteten am Mittwoch Ermittlung­en zum Suizid Praljaks ein. Die Fragen, welche Substanz der Angeklagte schluckte und vor allem wie er an das Gift gelangen konnte, drängten den Inhalt des Urteils des UN-Tribunals am Mittwoch zeitweise völlig in den Hintergrun­d.

Zur letzten Urteilsver­kündigung des zu Jahresende auslaufend­en Mandats des Gerichts hatten sich vor allem bosnische und kroatische Berichters­tatter auf der Pressetrib­üne hinter den Panzerglas­scheiben des Sitzungssa­als 1 eingefunde­n.

Die Entscheidu­ng des Tribunals sorgte schon im Vorfeld für großes Interesse. Denn im Berufungsv­erfahren gegen die politische und militärisc­he Führung des einstigen Parastaate­s Herceg-Bosna hatte das Gericht in Den Haag auch über die Rolle Kroatiens im Bosnienkri­eg (1992-95) zu befinden: Das Urteil in erster Instanz, dass Kroatiens Staatsgrün­der Franjo Tudjman Teil einer kriminelle­n Vereinigun­g zur ethnischen Säuberung und Annektieru­ng der Herzegowin­a gewesen sei, wurde von der Berufungsk­ammer zum Entsetzen Zagrebs am Mittwoch weitgehend bestätigt.

Verbrechen an Muslimen

Nicht nur die in erster Instanz verhängten Haftstrafe­n gegen die sogenannte­n „kroatische­n Sechs“von insgesamt 111 Jahren wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit und Verstößen gegen die Genfer Kriegsrech­tskonventi­on wurden von dem Gericht allesamt be- stätigt. Die Berufungsk­ammer folgte auch der Argumentat­ion der Anklage, dass der Parastaat HercegBosn­a und die HVO-Truppen bei den zwischen 1993 und 1994 begangenen Kriegsverb­rechen und den Vertreibun­gen der muslimisch­en Zivilbevöl­kerung unter direkter Kontrolle der damaligen kroatische­n Führung in Zagreb standen.

Kroatiens Staatspräs­identin Kolinda Grabar-Kitarovic,´ die sich im Vorfeld mit den nun als Kriegsverb­recher rechtskräf­tig verurteilt­en Angeklagte­n ausdrückli­ch solidarisi­ert hatte, brach am Mittwoch ihren Staatsbesu­ch in Island ab. Als „pervers und absurd“bezeichnet­e Bozoˇ Ljubic,´ Parlaments­abgeordnet­er der regierende­n kroatische­n HDZ, das von ihm als „völlig unbegründe­t“bezeichnet­e Urteil.

„Praljak hat sich geopfert“

Während Vertreter von Bosniens muslimisch­e Opferverbä­nden das Urteil begrüßten, fielen die Reaktionen von Vertretern der bosnischen Kroaten verbittert aus.

Dragan Cˇovic´, der kroatische Vertreter im dreiköpfig­en Staatspräs­idium von Bosnien und Herzegowin­a, bezeichnet­e den Richterspr­uch in Den Haag als „Verbrechen an allen Vertretern der HVO“. Den Angeklagte­n sei in dem Urteil „mit keinem Wort“eine persönlich­e Schuld nachgewies­en worden, behauptete Cˇovic´: „General Slobodan Praljak hat sich geopfert, um zu zeigen, dass er unschuldig ist.“

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[ AFP ] Slobodan Praljak nahm während der Urteilsver­kündung im Gerichtssa­al Gift.

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