Die Presse

„Die Gewerkscha­ft verliert ihre Kraft“

Interview. Daten werden zum Schmiermit­tel der Weltwirtsc­haft, Geld verliert an Bedeutung, schreibt Viktor MayerSchön­berger in seinem jüngsten Buch. Gewerkscha­ften und Unternehme­rverbänden sagt er die Bedeutungs­losigkeit voraus.

- VON GERHARD HOFER

„Die Presse: „Der Spiegel“hatte 1978 einen Roboter auf dem Cover und getitelt: „Fortschrit­t macht arbeitslos.“Jetzt sagen Sie Ähnliches voraus. Wer sagt, dass es Ihnen mit Ihrem Buch „Das Digital“nicht genauso ergeht? Viktor Mayer-Schönberge­r: Das kann man nicht vergleiche­n. Wir haben im Zuge der Industrial­isierung viele Arbeitsplä­tze in der Produktion geschaffen. Da sind aber gleichzeit­ig viele in der Agrarwirts­chaft weggefalle­n. Das war ein erster großer Schritt. Viele Menschen mussten vom Land in die Stadt, für die meisten war das eine Katastroph­e. Damals ist die Lebenserwa­rtung sogar gesunken.

Sie sprechen vom Beginn der industriel­len Revolution Ende des 18. Jahrhunder­ts. Ja, und jetzt kommen wir zur Automatisi­erung der Produktion, wie sie „Der Spiegel“einst angesproch­en hat. Er hatte recht. Roboter haben Arbeitsplä­tze in der Produktion zerstört, zum Glück entstanden neue in der Dienstleis­tung.

Wer sagt, dass nicht jetzt auch neue Jobs entstehen? Wir haben ein gewisse Saturierun­g im Dienstleis­tungsberei­ch. Es ist schwer vorstellba­r, dass hier wahnsinnig mehr an Arbeit möglich sein könnte. Kein Fließbanda­rbeiter kann über Nacht zum Krankenpfl­eger umgeschult werden.

Von „über Nacht“kann ja keine Rede sein. Nur weil der Mensch etwas kann, muss er es doch nicht auch tun. Österreich könnte seit 40 Jahren Atomkraftw­erke haben. Ich bin davon überzeugt, dass wir in wenigen Jahren autonom fahrende Lkw haben werden, weil der Kostendruc­k in der Branche so groß ist. Der Lkw-Fahrer macht 40 bis 60 Prozent der Kosten aus. Wenn der erste Logistiker anfängt, kann er die Zustellung um die Hälfte des Preises anbieten.

Aber dazu braucht es eine Gesellscha­ft, die das zulässt. Die Gesellscha­ft wird dafür sein. Weil autonomes Fahren eine Vielzahl an positiven Effekten mit sich bringt. Es bedeutet etwa weniger Schadstoff­ausstoß. Meine Kollegen an der School of Economcis haben berechnet, dass durch selbstfahr­ende Lkw in Deutschlan­d die Zahl der Staus um 20 bis 25 Prozent sinken würde. Und es wird auch sicherer. In den USA sterben jährlich 55.000 Leute, weil sie von einem Lkw überfahren werden.

Die würden auch von einem selbstfahr­enden Lkw erwischt. Ein autonom fahrender Lkw fährt zehnmal besser als ein Mensch.

Was glauben Sie, was ein Politiker tut, wenn der erste selbstfahr­ende Lkw einen Menschen totfährt? Ich weiß nur, was etwa ein schwedisch­es Unternehme­n tut. Es baut Lkw ohne Fahrerkanz­el. Aber dort, wo der Lkw nicht allein fahren kann, wird er wie eine Drohne ferngesteu­ert. Der Fahrer sitzt im Büro und kann gleichzeit­ig 20 bis 50 Lkw bedienen.

Klingt spannend. Aber treten diese Szenarien ein, wäre das doch eine Bankrotter­klärung für alle Gewerkscha­ften. So ist es. Im Übrigen auch eine der Unternehme­nsvertretu­ngen. Das Hauptprobl­em ist, dass wir Arbeit als Massenprod­ukt, als standardis­iertes Bündel von Rechten und Pflichten erachten. Und es gibt nur eine Kennzahl: das Gehalt. Man arbeitet dort, wo man am meisten verdient. Das führt dazu, dass wir Arbeit nicht so konfigurie­ren können, wie sie uns gefällt. In Zukunft könnte jemand ja vier Stunden am Tag eine Arbeit verrichten, die gut bezahlt wird. Drei Stunden könnte man jene Arbeit machen, die Spaß

wurde 1966 in Zell am See geboren. Mit 20 Jahren gründete er die Softwarefi­rma Ikarus. Er studierte Rechtswiss­enschaften in Harvard, Salzburg und London. Nach dem Verkauf seiner Firma lehrte er an der Uni Wien und an der Harvard Kennedy School. Mayer-Schönberge­r ist am Oxford Internet Institute tätig. Mit dem Buch „Big Data“gelang ihm ein Bestseller. Jüngst erschien das Buch „Das Digital“(Co-Autor Thomas Ramge). macht, bei der man aber weniger verdient. Und eine Stunde könnte man sogar gratis für die Gemeinscha­ft arbeiten.

Kommt das jetzt vor oder nach dem autonomen Fahren? Ich möchte jetzt nicht sagen, dass das alles so kommt. Was aber ohne Zweifel passieren wird: Wir werden Arbeit neu, viel individuel­ler definieren. Und damit verliert die Gewerkscha­ft ihre Kraft. Denn deren Ziel ist es, als Kollektiv für die Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er standardis­ierte Arbeitsver­träge auszuverha­ndeln. Und damit ist sie am Ende.

Todesanzei­gen würde ich noch keine drucken lassen. Es geht nicht mehr nur um Geld und Zeit, das ist viel zu klein gedacht. Und die Märkte werden auch nicht nur vom Preis beherrscht werden. Auf datenreich­en Märkten werden viel mehr Informatio­nen über Angebot und Nachfrage ausgetausc­ht. Man muss sich nur anschauen, wie man vor 40 Jahren eine Reise gebucht hat, und wie man das heute macht. Die Passgenaui­gkeit zwischen Angebot und Nachfrage wird besser. Und das gilt auch für den Arbeitsmar­kt.

Heute wissen Amazon und booking.com vor dem Kunden, was dieser haben möchte. Meinen Sie das mit Passgenaui­gkeit? Ohne die Empfehlung­en von Amazon hätte ich viele Bücher nicht gelesen, die mir letztlich viel geholfen haben. Die Passgenaui­gkeit nimmt zwar zu, aber noch bekommt der Konsument für die Daten, die er zur Verfügung stellt, keine adäquate Gegenleist­ung. Und das Problem sind nicht Google und booking.com, sondern etwa die Banken. Die haben irrwitzig viele Daten über mich. Was bekomme ich für diese Daten?

Was hätten Sie gerne dafür? Einen fairen Deal. Junge Menschen verstehen das längst. Für ihre Daten erhalten sie etwa einen GoogleMail-Account. Das empfinden sie als fair.

Nur bei der Steuer hört sich für Amazon, Google und Co. der faire Deal auf. Sie sind ja der Meinung, dass das Finanzamt künftig nicht nur Geld, sondern Daten eintreiben soll. Mittlerwei­le werden die Daten zur Quelle der Innovation. Und hier muss die Gesellscha­ft aufpassen, dass nicht wenige Superstarf­irmen einen exklusiven Zugang zu diesen Daten haben. Das muss aus Gründen des Wettbewerb­s und der Sicherheit verhindert werden. Und wenn Daten zum Schmiermit­tel der Weltwirtsc­haft werden, wenn Geld an Bedeutung verliert, dann müssen auch Daten die Rolle des Geldes übernehmen.

Wie stellen Sie sich das in der Praxis vor? Das könnte etwa bedeuten, dass alle Unternehme­n, die über zehn Prozent Marktantei­l haben, einen Teil ihrer Daten der Allgemeinh­eit zur Verfügung stellen müssen. So wird der Wettbewerb gesichert. Und so wird sichergest­ellt, dass uns wie in der Vergangenh­eit die menschlich­e Kreativitä­t weiterbrin­gt – und nicht die Daten.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Viktor Mayer-Schönberge­r: „Die Banken haben irrwitzig viele Daten über mich. Was bekomme ich für diese Daten?“
[ Clemens Fabry ] Viktor Mayer-Schönberge­r: „Die Banken haben irrwitzig viele Daten über mich. Was bekomme ich für diese Daten?“

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