Öffnung von Grenzen als Lösungsmodell
EU. Das Wegfallen von Grenzkontrollen hat nicht nur im Fall Südtirols, sondern auch im Fall Nordirlands die Befriedung eines langen Konflikts ermöglicht.
Wien. Es war der 1. April 1998, als der Grenzbalken am Brenner abmontiert wurde. Der damalige Tiroler Landeshauptmann sprach von einem historischen Moment. Es sei das Ende der „Unrechtsgrenze“, so Wendelin Weingartner. Mit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 und der Umsetzung des Schengenabkommens 1998 an den Übergängen zwischen Nord- und Südtirol lösten sich die jahrzehntelangen Spannungen in der bis dahin geteilten Region weitgehend auf. 361 Anschläge hatten die teilweise radikalen Verfechter der Südtirol-Autonomie zwi- schen 1956 und 1988 verübt, 21 Personen kamen ums Leben. Mit unlauteren Mitteln hatte die Regierung in Rom versucht, das deutschsprachige Südtirol zu unterwandern. Mit Gewalt hatten die „Bumser“(Bombenleger) und Autonomie-Hardliner geantwortet.
Von Alcide De Gasperi und Karl Gruber bis zu Alois Mock haben sich zahlreiche italienische und österreichische Politiker abgemüht, den Konflikt zu lösen. Ein Durchbruch gelang nicht zufällig kurz vor dem EUBeitritt Österreichs im Jahr 1992 durch eine gemeinsame Streitbeilegung. Denn mit dem Eintreten Nordtirols in den Binnenmarkt sollte die geteilte Region plötzlich rechtlich wie politisch auf dieselbe Stufe gestellt werden. Wien, Rom und insbesondere Bozen hatten Interesse, die Differenzen vor einem österreichischen EU-Beitritt aus dem Weg zu räumen. „Es ist daher verständlich und natürlich, dass die Südtiroler die EU-Beitrittsverhandlungen Österreichs mit einer Aufmerksamkeit verfolgt haben, als ginge es um ihren eigenen Beitritt“, erklärte dies später der damalige Südtiroler Landeshauptmann, Silvius Magnago.
Die ältere Generation von Südtirol-Aktivisten träumte damals von einer „sanften Wiedervereinigung“der Tiroler Region. Die jüngere Generation erkannte, dass sich durch die offenen Grenzen für deutschsprachige Bewohner neue Optionen ergaben – etwa, im anderen Teil der Region zu arbeiten, mit anderen Tiroler Partnern Geschäfte abzuwickeln. Die Wiedervereinigung, das beruhigte auch Rom, war für die Jüngeren kein Thema mehr, weil die Grenze zu Österreich sowieso an Bedeutung verloren hatte. Vor diesem historischen Hintergrund mag verständlicher werden, warum die Ankündigung von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil im Sommer dieses Jahres, zum Schutz vor illegalen Einwanderern 750 Soldaten und eventuell sogar Panzer an die Grenze auf dem Brenner zu schicken, auf große Irritationen stieß.
Ähnlich wie in Südtirol trug auch die Grenzöffnung zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland nach dem Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 zu einer deutlichen Entspannung des mehrfach eskalierten Konflikts auf der Grünen Insel bei. Rund 3500 Menschen sind den blutigen Kämpfen zum Opfer gefallen. Die EU-Mitgliedschaft beider Teile Irlands bot die Gelegenheit, auf gleicher rechtlicher Basis nun enger zu kooperieren. Irland verzichtete darauf, weiterhin seine Wiedervereinigungspläne zu verfolgen. Und in Nordirland trug ein ganzes Bündel an Vereinbarungen zur Befriedung bei.
Im jahrzehntelang zwischen Katholiken und Protestanten umkämpften Nordirland beruhigte sich daraufhin die Lage. Von der katholischen Bevölkerung wurden die neuen Möglichkeiten geschätzt, privates und berufliches Glück nach Belieben auch jenseits der Grenze in Irland zu suchen. 23.000 Menschen pendeln mittlerweile täglich zwischen den beiden Teilen. Es gibt speziell im Agrarbereich eine florierende Arbeitsteilung zwischen dem Norden und dem Süden.
Mit dem Brexit könnte die Grenze zwischen Nordirland und Irland wieder kontrolliert werden. Wenn Großbritannien seinen Plan verwirklicht, auch aus dem Binnenmarkt auszuscheiden, werden der ungehinderte Handel und die grenzüberschreitenden Dienstleistungen der Vergangenheit angehören. Weder der Norden noch der Süden will die Grenze zurück: Würden Waren wieder deklariert und Menschen separiert werden, könnten alte Wunden aufbrechen, befürchtet die Führung in Dublin.