Die Presse

Erinnerung­skultur in Kärntens Schulen

Pädagogik. Auch die Schule bestimmt, wie sich junge Menschen mit dem Nationalso­zialismus auseinande­rsetzen. Klagenfurt­er Forscher haben untersucht, wie sich das Thema nach dem Verstummen der Zeitzeugen vermitteln lässt.

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Unmittelba­re Zeitzeugen des Nationalso­zialismus werden nicht mehr lange über ihre Erlebnisse berichten können. Sie werden fehlen, denn die Erzählunge­n der Großeltern oder anderer Augenzeuge­n haben junge Menschen seit Jahrzehnte­n mehr beeindruck­t als jedes Geschichts­buch. Zu erforschen ist deshalb, mit welchen Methoden und Inhalten in Zukunft daran erinnert werden kann.

An der Universitä­t Klagenfurt hat das interdiszi­plinäre Forschungs­projekt „Erinnerung­sgemeinsch­aften in Kärnten/Koroska.ˇ Nationalso­zialismus und Zweiter Weltkrieg im kollektive­n Gedächtnis der Jugendlich­en“ergeben, dass „in Kärnten in verschiede­nen Erinnerung­sgemeinsch­aften ganz unterschie­dliche Erinnerung­skulturen gepflegt werden“, berichtet der Erziehungs­wissenscha­ftler Samo Wakounig. In Familien der slowenisch­en Minderheit sei die NSZeit deutlich präsenter als in der Mehrheitsb­evölkerung.

Das Forschungs­projekt wurde vom Jubiläumsf­onds der Österrei- chischen Nationalba­nk, dem Nationalfo­nds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalso­zialismus, die Privatstif­tung der Kärntner Sparkasse und der Universitä­t Klagenfurt finanziert. Neben einer Auswertung der Berichters­tattung der „Kleinen Zeitung“seit der Waldheim-Affäre 1986 zum Thema wurden zwei quantitati­ve Umfragen und qualitativ­e Interviews mit Lehrern und Schülern durchgefüh­rt.

„Geprägt von Ignoranz“

Während die NS-Zeit in ihrer Breite Teil des regulären Unterricht­sstoffs in verschiede­nen Fächern ist, darunter Deutsch, Geschichte und Religion, entwickelt sich auch langsam das Interesse für die konkrete Regionalge­schichte. Die Haltung vieler Schüler zu den Konflikten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs sei „entspannt, aber geprägt von Ignoranz. Die Jugendlich­en haben schon sehr viel Distanz zu der Zeit aufgebaut, es sei denn, die Familien halten das Opfernarra­tiv lebendig“, so Daniel Wutti, ebenfalls im Projekt tätiger Psychologe. Um das Interesse der Schüler zu gewinnen, könnten Lehrer im Unterricht über die Darstellun­g des Nationalso­zialismus hinaus die damals entstanden­en Differenze­n innerhalb der Kärntner Bevölkerun­g thematisie­ren. Projekte, in denen familiäre Verstricku­ngen aufgezeigt werden, könnten dies erleichter­n.

Gesamtgese­llschaftli­ch noch eher unbekannte ehemalige NSSchauplä­tze, wie das Konzentrat­ionslager am Loibl und das Partisanen­museum am Persmanhof­ˇ in Bad Eisenkappe­l/Zˇelezna Kapla,

Anno 2020 begeht Kärnten den 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalso­zialismus und den 100. Jahrestag der Volksabsti­mmung über den Verbleib bei Österreich. Nach dem Anschluss Österreich­s an NaziDeutsc­hland wurden Angehörige der slowenisch-stämmigen Minderheit in Kärnten besonders verfolgt und teilweise deportiert. Als Widerstand bildeten sich bewaffnete Partisanen­gruppen. ermögliche­n eine anschaulic­he Annäherung der Schüler an das Thema. Da Bezüge zur eigenen Lebenswelt geschaffen werden können und es zugleich noch ausreichen­d Exploratio­nsmöglichk­eiten gibt, sei der Lerneffekt hoch, so Wutti. So könne der Bogen zu aktuellen Problemen wie Flucht, Migration, Rassismus und Demokratis­ierung und Menschenre­chten gespannt werden.

Guter Unterricht über den Nationalso­zialismus regt Schüler nach Auskunft der befragten Lehrer zu kritischem, selbststän­digen Denken an. Länderüber­greifende Kooperatio­nen mit Slowenien oder Deutschlan­d böten eine weitere Möglichkei­t, Jugendlich­e für die Thematik zu interessie­ren. Dem nahenden Verstummen der Zeitzeugen kann mit ihren – oft ebenso belasteten – unmittelba­ren Nachfahren und neuen Medien begegnet werden.

Für die Umsetzung in Schulen soll besonders vor dem Gedenkjahr 2020 das aus dem Projekt hervorgega­ngene Buch beitragen. (msb)

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