Die „Winterreise“als Seelenspiegel
Konzerthaus. Michael Schade wagte sich, stimmlich in bester Verfassung, erstmals an Schuberts großen Liederzyklus und wurde im Mozartsaal dafür herzlich gefeiert.
Michael Schade, dem die Wiener Konzerthausgesellschaft eine Personale widmet, reüssierte zuerst als Mozart-Tenor, bevor er in Richtung Strauss und Wagner wanderte. Eine Vielseitigkeit, die ihm schon in die Wiege gelegt wurde?
Immerhin ist der Sohn deutscher Eltern in Genf geboren, in Kanada aufgewachsen, hat seine deutschen Wurzeln aber nie vergessen, woraus sich auch seine Liebe für Schubert erklärt.
Oft hat Schade in den letzten Jahren die „Schöne Müllerin“auf seine Programme gesetzt, noch nie aber Schuberts anderen großen, von ihm selbst konzipierten Zyklus. Das hat der Tenor gleich zu Beginn der Konzerthausreihe nun nachgeholt – und zwar mit einer solchen Souveränität und vokalen Präsenz, als zähle die „Winterreise“schon seit vielen Jahren zu seinem angestammten Repertoire.
Man meinte zu verstehen, weshalb sich Schade dafür so viel Zeit gelassen hat: Seine Interpretation zeugt von jahrelanger Auseinandersetzung, aber auch genereller Erfahrung im Umgang mit dem Wort. Und damit, wie man mit diesem im musikalischen Kontext umgeht. Schade hat lange Jahre mit Nikolaus Harnoncourt gearbeitet. Wie gerade dieser Auftritt im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses deutlich machte, hat er dessen Idee der Klangrede bis ins Detail verinnerlicht.
Aus der Beredtheit der einzelnen, entsprechend herausgehobenen Worte stellt er nicht nur die Texte dar, sondern entwickelt daraus ganz selbstverständlich den jeweiligen charakteristischen musikalischen Duktus der Lieder.
Das führt zu einer gleichermaßen ausdruckstiefen wie differenzierten Interpretation mit neuen nuancenreichen Einblicken, die das Thema des individuellen See- lenspiegels, den Schubert mit dieser Vertonung von ausgewählten Gedichten Wilhelm Müllers vorlegt, schonungslos aufzeigt.
Ebenso artikulationsklar wie sensibel phrasierend erfüllte Malcolm Martineau am Steinway gleichermaßen die Rolle des aufmerksamen Begleiters wie des inspirierenden Mitgestalters.
Eine ideale Partnerschaft.