Die Presse

Die direkte Demokratie als Schweizer Exportschl­ager

Die Schweiz gilt als Vorbild für konsequent gelebte Volkssouve­ränität. Doch es gilt, viele Eigenheite­n zu bedenken.

- VON MICHAEL STREBEL

Neben dem Tenniscrac­k Roger Federer scheint die Schweiz einen weiteren prominente­n Exportschl­ager zu haben, der nicht nur in Österreich an Beliebthei­t gewinnt: die direkte Demokratie. Zu Recht, denn in keinem anderen Land wird die Volkssouve­ränität so konsequent gelebt.

Die direkte Demokratie entwickelt­e sich zunächst auf Ebene der Kantone, und zwar bereits im Verlauf der 1830er-Jahre. Auf Bundeseben­e entwickelt­en sich das Referendum und die Initiative gegen Ende des 19. Jahrhunder­ts. Was können die Menschen mit diesen zwei Instrument­en bewirken? Gegen jedes Bundesgese­tz wie auch gegen völkerrech­tliche Verträge kann das Referendum ergriffen werden, wenn ein Prozent der Stimmberec­htigten – sprich 50.000 Bürger – dies verlangen.

Zudem kann eine Änderung der Verfassung verlangt werden, wenn mindestens 100.000 Unter- schriften für eine entspreche­nde Initiative eingereich­t werden. Diese kann als allgemeine Anregung formuliert sein oder als fertig ausgearbei­teter Text vorliegen, dessen Wortlaut vom Parlament und der Regierung nicht mehr verändert werden darf. Dem Parlament steht die Möglichkei­t offen, auf eine Initiative mit einem Gegenentwu­rf zu reagieren.

Der Blick auf die Praxis

So weit die technische­n Details. Sie bilden die Grundlage der direkten Demokratie. Da die Schweiz im Kontext von mehr Bürgerbete­iligung immer wieder als Vorbild herangezog­en wird, soll im Folgenden der Blick auf die Praxis gerichtet. Dies ist deshalb von Interesse, weil es einerseits aufzeigt, dass die direkte Demokratie nach Schweizer Art in ein darauf ausgericht­etes Umfeld eingebette­t ist, und anderersei­ts mögliche Heilsversp­rechungen relativier­t werden.

Gleich ein Hinweis vorweg: In der Schweiz sind die Nicht-Stim- menden (fast) immer in der Mehrheit! Es gibt folglich keine Garantie, dass Volksrecht­e die Beteiligun­g der Bevölkerun­g an politische­n Fragen längerfris­tig erhöhen. Auch lassen sich nicht alle gesellscha­ftlichen Gruppen in die politische­n Entscheidu­ngen mit einbeziehe­n.

Um das Funktionie­ren der direkten Demokratie einordnen zu können, muss das politische System der Schweiz beleuchtet werden. Im Vergleich zu anderen Systemen gibt es kein Staatsober­haupt, keine Verfassung­sgerichtsb­arkeit, das Parlament kann nicht aufgelöst werden, die Regierung ist eine Kollegialb­ehörde mit gleichbere­chtigten Mitglieder­n, die ohne Möglichkei­t einer Abwahl für vier Jahre gewählt wird.

Der wohl markantest­e Unterschie­d zu Österreich: Die Regierungs­sitze werden auf die vier wählerstär­ksten Parteien verteilt. Dies ist die Konsequenz der Konkordanz- und Konsensdem­okratie, die wiederum durch die

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