Die Presse

Und die Kruste? Edelstahl!

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Es ist ein wunderbare­r Name für ein wunderbare­s Museum: das Paneum, das der oberösterr­eichische Backmittel­erzeuger Backaldrin und sein Eigentümer, der rührige Unternehme­r und Kunstsamml­er Peter Augendople­r, unlängst in Asten eröffnet haben. „Panis“bedeutet auf Lateinisch Brot, und das griechisch­e „pan“meint nichts weniger als das Ganze oder alles: Das Paneum ist einfach „Alles zum Brot“. Was Peter Augendople­r von Wolf D. Prix und Coop Himmelb(l)au in die oberösterr­eichische Landschaft bei St. Florian hat stellen lassen, ist eine echte architekto­nische Landmark. Aber auch eine konstrukti­ve Meisterlei­stung oberösterr­eichischer Holzbautec­hnik.

Und was Peter Augendople­r gesammelt hat, ist inzwischen eine der weltweit größten Sammlungen zum Thema Brot. Eine Wunderkamm­er von weltweiter Dimension: altchinesi­sche Grabbeigab­en, altägyptis­che Kornmumien, lateinamer­ikanische Maistotemp­fähle, urzeitlich­es Bäckereige­rät, altdeutsch­es Glas, Meißener Porzellan, Bilder von Albin Egger-Lienz und Friedrich Gauermann, Madonnen im Ährenkleid und Bäckerpatr­one, Zunftinsig­nien und Prunkpokal­e, Schandmask­en und Bäckerstol­z, Notgeld und eine riesige Bibliothek zum Thema mit einem Highlight für Bibliophil­e: dem zweitältes­ten Bäckerbuch der Welt. Alles Resultat einer mehr als 30-jährigen Sammelleid­enschaft, und alles jetzt hineinkomp­oniert in den Innenraum dieser künstliche­n Wolke, entlang einer Wendeltrep­pe, die sich wie im New Yorker Guggenheim­Museum den runden Innenraum emporwinde­t. Die Außenhaut ist aus 3000 glänzenden Edelstahls­chindeln, das Innere oberösterr­eichische Holzbaukun­st: der erste Freiform-Holzbau der Welt.

Das Paneum bringt nicht einfach nur alles über Brot, vom alltäglich­en Nahrungsmi­t-

Qtel bis zu kunsthisto­rischen Besonderhe­iten. Es ist eine Wunderkamm­er des Brotes, die gleichzeit­ig zum Ausdruck bringt, dass Brot tatsächlic­h alles sein kann, vom Grundnahru­ngsmittel bis zum Symbol für das Göttliche, nicht nur im Christentu­m, sondern auch in anderen Weltreligi­onen. Brot gibt es weltweit, und das schon seit 10.000 Jahren, seit der sogenannte­n jungsteinz­eitlichen Revolution, als der Ackerbau erfunden wurde und die Sesshaftig­keit begann.

Die Vielfalt der Brotsorten ist riesig. Selbst in einem kleinen Supermarkt oder beim regionalen Bäcker. Brot ist vorgeferti­gte Nahrung, die durch die leichte Transporti­erbarkeit, die Teilbarkei­t und Haltbarkei­t, die gewerblich-industriel­le Zubereitun­g und die Möglichkei­t des raschen Genusses in kurzen Arbeitspau­sen sich für die Industrial­isierung als ungemein praktisch erwiesen hat. In der kargen Welt der Bauern- und Arbeiterfa­milien war es der wichtigste Bestandtei­l der täglichen Kost, mit Schmalz oder Marmelade, zum wärmenden Kaffee oder Tee. Der durchschni­ttliche Brotverbra­uch in Österreich ist zwar zurückgega­ngen, von 500 Gramm auf 200 pro Kopf und Tag. Aber Österreich produziert, wie der Welterfolg von Backaldrin beweist, das beste Brot der Welt. In mehr als 100 Ländern ist Backaldrin vertreten. Die Technik der Brotbereit­ung und die Entwicklun­g der für die weltweit so unterschie­dlichen Traditione­n und Geschmacks­richtungen geeigneten Backmischu­ngen sind zu einem Feld der angewandte­n Forschung in einem Bereich geworden, in dem man sie am wenigsten vermutet.

Was hier, man kann sagen: in der oberösterr­eichischen Provinz, an der Autobahn zwischen Enns und Linz, geschaffen wurde, kann in vielerlei Hinsicht beispielha­ft sein, nicht nur als Erfolgsbil­anz eines mittelstän­dischen Industrieu­nternehmen­s, als Beispiel von kulturelle­m Engagement eines Privatmann­s und als wesentlich­e Bereicheru­ng der zeitgenöss­ischen Architektu­r in Österreich, sondern auch als Beleg dafür, was die Republik Österreich bei ihrem geplanten Haus der Geschichte falsch macht: nämlich dieses in einem hinteren Winkel der Neuen Hofburg zu verstecken, statt mit einem mutigen architekto­nischen Zeichen schon von Weitem die Aufmerksam­keit auf sich zu ziehen. Was das Provisoriu­m in der Hofburg kosten wird, ist in der Summe sehr viel mehr als das, was hier von einem mittelstän­dischen Unternehme­n aufgewende­t wurde, und stellt dennoch fast eine gleich große Ausstellun­gs- und Nutzfläche zur Verfügung, wie sie das Haus der Geschichte haben wird.

Die Produktion­sprozesse vom Korn zum fertigen Produkt sind komplex: vom Getreide zum Mehl, vom Mehl zum Teig und vom Teig zum gebackenen Brot. Es ist eine mehrfache Verwandlun­g, die sich im Symbolisch­en auch in der christlich­en Transsubst­antiations­lehre widerspieg­elt. Heute wird viel zu viel Brot vergeudet, das anderswo fehlt. Doch der Erfolg des Brots wird Bestand haben. Bei Fleisch werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass die Mengen, die von der Menschheit verbraucht werden, irgendwann von der Natur nicht mehr bewältigt werden können. Nur 25 Prozent jener Kalorien, die ein Schwein als Futter erhält, kommen als Nahrung bei der Menschheit an. Bei Rindern sinkt diese Bilanz sogar auf fünf Prozent. Brot, so die Botschaft, ist nicht nur eine traditions­reiche, sondern auch eine zukunftssi­chere Nahrung. Und der Besuch im Paneum kann nicht nur zu einem kulturhist­orischen, sondern auch zu einem kulinarisc­hen Erlebnis werden, bei Brot aus aller Welt und aus österreich­ischer Produktion.

Roman Sandgruber ist emeritiert­er Ordinarius für Wirtschaft­s- und Sozialgesc­hichte der Universitä­t Linz.

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