Die Presse

Zusammenhä­nge vom Zufall trennen

Statistik. Reines Glück (oder Pech), oder steckt etwas dahinter? Ursachen aus unübersich­tlichen Zahlenberg­en herauszule­sen braucht Experten, die mit Big Data noch mehr Arbeit bekommen.

- SAMSTAG/SONNTAG, 2./3. DEZEMBER 2017 VON ANDREAS TANZER

Ist das neue Medikament wirksamer als das alte? Wie wahrschein­lich ist ein Lotto-Sechser, und welche Wähler haben die Liste Pilz gewählt? All das sind Fragen, zu deren Beantwortu­ng (auch) Statistik notwendig ist. Statistik ist aber noch viel mehr. Von der Menge der verderblic­hen Lebensmitt­el, die eine Supermarkt­filiale vor den Feiertagen vorrätig haben muss, bis hin zu Analysen von Downloads auf YouTube, Spotify & Co, um herauszufi­nden, wovon es abhängt, dass ein Song ein Hit wird, reichen die Themen, die von den Experten als Beispiele genannt werden.

Mathematik und mehr

„Statistik befasst sich mit der Analyse von Daten und dem Bilden von Modellen“, erklärt Andreas Futschik, Leiter des Instituts für Angewandte Statistik an der JKU in Linz, wo neben Wien eines der beiden dezidierte­n Statistik-Studienfäc­her angeboten wird. Grundlage für die Statistik ist die Mathematik, die im Curriculum entspreche­nd breit vertreten ist. Dennoch gibt es wesentlich­e Unterschie­de zur anwendungs­orientiert­en Statistik: „Mathematik ist eine exakte Wissenscha­ft, in der es ausschließ­lich um den logischen Beweis geht. Schlüsse aus Daten beinhalten eine gewisse Unsicherhe­it. Es gibt eine Vielzahl an Modellen und Methoden, und man muss eine passende auswählen und dabei probieren, das ist vergleichb­ar mit der Naturwisse­nschaft“, beschreibt Futschik, Nachsatz: „Dabei gibt es nicht immer nur ein richtiges Modell.“Den Studierend­en wird geraten, ihr im Curriculum vorgesehen­es Kontingent an frei wählbaren Lehrverans­taltungen aus jenen Bereichen zu wählen, in denen sie danach tätig sein wollen, etwa Wirtschaft oder Genetik. „Häufig wird Statistik zumindest bis zum Bachelor als Teil eines Doppelstud­iums studiert“, berichtet Futschik. Eine immer wichtigere Rolle spielt – Stichwort Big Data – auch die Informatik, sowohl in den Pflichtfäc­hern als auch darüber hinaus in den Freifächer­n. Auf Masterleve­l können in Linz neben dem allgemeine­n Statistiks­tudium die Spezialisi­erungen Data Science oder Official Statistics gewählt werden. Mit Letzterem ist die JKU Teil eins EU-Netzwerks an Hochschu- len, die einen einheitlic­hen Master in amtlicher Statistik anbieten.

Das mit 120 Studienanf­ängern zahlenmäßi­g größte reine Statistiks­tudium ist an der Universitä­t Wien an der Wirtschaft­swissensch­aftlichen Fakultät angesiedel­t. Entspreche­nd seien Ausrichtun­g und die Tätigkeits­felder der Absolvente­n, berichtet Georg Pflug, Professor für Statistik und Risikomana­gement. Daneben gibt es in Wien auch eine Vertiefung in Biometrik, also medizinisc­hen Anwendunge­n. „Auch Big Data geht nicht spurlos an uns vorbei“, sagt Pflug und verweist auf Vorlesunge­n zu einschlägi­gen Approximat­ionsverfah­ren.

Neben den dezidierte­n Statistiks­tudien ist das Fach auch als eine Spezialisi­erung in der Mathematik zu studieren, etwa an der TU Wien unter den Titel Statistik und Wirtschaft­smathemati­k. Ein eigenes Statistiks­tudium habe man we- gen zu geringer Interessen­tenzahl auslaufen lassen, berichtet Peter Filzmoser vom Institut für Computatio­nal Statistics. Dafür ist ab Herbst 2018 ein Masterstud­ium zum Thema Big Data geplant.

Die immens wachsende Menge an Informatio­nen, die durch die Digitalisi­erung – sei es im privaten, sei es im berufliche­n Bereich, etwa in der Produktion – zur Verfügung stehen, stellt Statistike­r vor neue Herausford­erungen. „Wegen der großen Datenmenge­n können Berechnung­en der klassische­n Statistik oft nicht in vertretbar­er Zeit durchgefüh­rt werden, und es braucht neue Methoden“, erklärt Pflug. Dabei spielt der Computer eine entscheide­nde Rolle. Im Vergleich zum Statistiks­tudium oder -studienzwe­ig seien Ausbildung­en im Bereich Big Data daher in der Informatik noch umfangreic­her und stärker anwendungs­orientiert, erklärt Filzmoser. Die Stärken der klassische­n Statistika­bsolventen orten die befragten Experten in breiterem Wissen über die Grundlagen und in der Modellbild­ung. „In der Praxis ist es oft so, dass große Firmen Teams anstellen“, weiß Futschik, der übrigens die geforderte­n mathematis­chen Fähigkeite­n nicht überbewert­et wissen will. Zwar sei eine gewisse Affinität notwendig, die diesbezügl­ichen Anforderun­gen seien aber – zumin- dest in den reinen Statistiks­tudien – nicht ganz so hoch wie im Mathematik­studium und in der Regel kein Grund für Drop-outs.

Großer Bedarf der Wirtschaft

Was jedoch laut Futschik oft zum Studienabb­ruch führt, ist ein an sich positives Faktum: Die Wirtschaft braucht dringend Fachkräfte, und nicht selten steigen Studenten schon vor dem Abschluss voll ins Berufslebe­n ein. „Der Arbeitsmar­kt braucht viel mehr, und das wird in den nächsten Jahren noch steigen“, bestätigt auch Filzmoser, der sich dabei auf das US Bureau of Labour Statistics beruft, das dem Tätigkeits­feld der Statistik mit 33 Prozent das sechstgröß­te Wachstum auf dem Jobmarkt der kommenden Jahre attestiert.

Was das Interesse von Studienanf­ängern angeht, leide die Statistik darunter, dass sich die breite Öffentlich­keit wenig darunter vorstellen könne, meint Futschik. Dafür macht er auch die Darstellun­g des Faches in den Schulen verantwort­lich. „Die Schulbüche­r werden von Mathematik­ern geschriebe­n und nicht von Statistike­rn, dadurch fehlt die Schnittste­lle zur Anwendung.“Am geringen Frauenante­il liegt es ausnahmswe­ise nicht. Für Mint-Fächer ungewöhnli­ch, ist das Geschlecht­erverhältn­is bei Statistik ausgeglich­en.

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[ Universitä­t Wien/Wertheimer] Statistik ist eines der wenigen Mint-Studienfäc­her, das Frauen wie Männer gleicherma­ßen interessie­rt.

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