Zusammenhänge vom Zufall trennen
Statistik. Reines Glück (oder Pech), oder steckt etwas dahinter? Ursachen aus unübersichtlichen Zahlenbergen herauszulesen braucht Experten, die mit Big Data noch mehr Arbeit bekommen.
Ist das neue Medikament wirksamer als das alte? Wie wahrscheinlich ist ein Lotto-Sechser, und welche Wähler haben die Liste Pilz gewählt? All das sind Fragen, zu deren Beantwortung (auch) Statistik notwendig ist. Statistik ist aber noch viel mehr. Von der Menge der verderblichen Lebensmittel, die eine Supermarktfiliale vor den Feiertagen vorrätig haben muss, bis hin zu Analysen von Downloads auf YouTube, Spotify & Co, um herauszufinden, wovon es abhängt, dass ein Song ein Hit wird, reichen die Themen, die von den Experten als Beispiele genannt werden.
Mathematik und mehr
„Statistik befasst sich mit der Analyse von Daten und dem Bilden von Modellen“, erklärt Andreas Futschik, Leiter des Instituts für Angewandte Statistik an der JKU in Linz, wo neben Wien eines der beiden dezidierten Statistik-Studienfächer angeboten wird. Grundlage für die Statistik ist die Mathematik, die im Curriculum entsprechend breit vertreten ist. Dennoch gibt es wesentliche Unterschiede zur anwendungsorientierten Statistik: „Mathematik ist eine exakte Wissenschaft, in der es ausschließlich um den logischen Beweis geht. Schlüsse aus Daten beinhalten eine gewisse Unsicherheit. Es gibt eine Vielzahl an Modellen und Methoden, und man muss eine passende auswählen und dabei probieren, das ist vergleichbar mit der Naturwissenschaft“, beschreibt Futschik, Nachsatz: „Dabei gibt es nicht immer nur ein richtiges Modell.“Den Studierenden wird geraten, ihr im Curriculum vorgesehenes Kontingent an frei wählbaren Lehrveranstaltungen aus jenen Bereichen zu wählen, in denen sie danach tätig sein wollen, etwa Wirtschaft oder Genetik. „Häufig wird Statistik zumindest bis zum Bachelor als Teil eines Doppelstudiums studiert“, berichtet Futschik. Eine immer wichtigere Rolle spielt – Stichwort Big Data – auch die Informatik, sowohl in den Pflichtfächern als auch darüber hinaus in den Freifächern. Auf Masterlevel können in Linz neben dem allgemeinen Statistikstudium die Spezialisierungen Data Science oder Official Statistics gewählt werden. Mit Letzterem ist die JKU Teil eins EU-Netzwerks an Hochschu- len, die einen einheitlichen Master in amtlicher Statistik anbieten.
Das mit 120 Studienanfängern zahlenmäßig größte reine Statistikstudium ist an der Universität Wien an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät angesiedelt. Entsprechend seien Ausrichtung und die Tätigkeitsfelder der Absolventen, berichtet Georg Pflug, Professor für Statistik und Risikomanagement. Daneben gibt es in Wien auch eine Vertiefung in Biometrik, also medizinischen Anwendungen. „Auch Big Data geht nicht spurlos an uns vorbei“, sagt Pflug und verweist auf Vorlesungen zu einschlägigen Approximationsverfahren.
Neben den dezidierten Statistikstudien ist das Fach auch als eine Spezialisierung in der Mathematik zu studieren, etwa an der TU Wien unter den Titel Statistik und Wirtschaftsmathematik. Ein eigenes Statistikstudium habe man we- gen zu geringer Interessentenzahl auslaufen lassen, berichtet Peter Filzmoser vom Institut für Computational Statistics. Dafür ist ab Herbst 2018 ein Masterstudium zum Thema Big Data geplant.
Die immens wachsende Menge an Informationen, die durch die Digitalisierung – sei es im privaten, sei es im beruflichen Bereich, etwa in der Produktion – zur Verfügung stehen, stellt Statistiker vor neue Herausforderungen. „Wegen der großen Datenmengen können Berechnungen der klassischen Statistik oft nicht in vertretbarer Zeit durchgeführt werden, und es braucht neue Methoden“, erklärt Pflug. Dabei spielt der Computer eine entscheidende Rolle. Im Vergleich zum Statistikstudium oder -studienzweig seien Ausbildungen im Bereich Big Data daher in der Informatik noch umfangreicher und stärker anwendungsorientiert, erklärt Filzmoser. Die Stärken der klassischen Statistikabsolventen orten die befragten Experten in breiterem Wissen über die Grundlagen und in der Modellbildung. „In der Praxis ist es oft so, dass große Firmen Teams anstellen“, weiß Futschik, der übrigens die geforderten mathematischen Fähigkeiten nicht überbewertet wissen will. Zwar sei eine gewisse Affinität notwendig, die diesbezüglichen Anforderungen seien aber – zumin- dest in den reinen Statistikstudien – nicht ganz so hoch wie im Mathematikstudium und in der Regel kein Grund für Drop-outs.
Großer Bedarf der Wirtschaft
Was jedoch laut Futschik oft zum Studienabbruch führt, ist ein an sich positives Faktum: Die Wirtschaft braucht dringend Fachkräfte, und nicht selten steigen Studenten schon vor dem Abschluss voll ins Berufsleben ein. „Der Arbeitsmarkt braucht viel mehr, und das wird in den nächsten Jahren noch steigen“, bestätigt auch Filzmoser, der sich dabei auf das US Bureau of Labour Statistics beruft, das dem Tätigkeitsfeld der Statistik mit 33 Prozent das sechstgrößte Wachstum auf dem Jobmarkt der kommenden Jahre attestiert.
Was das Interesse von Studienanfängern angeht, leide die Statistik darunter, dass sich die breite Öffentlichkeit wenig darunter vorstellen könne, meint Futschik. Dafür macht er auch die Darstellung des Faches in den Schulen verantwortlich. „Die Schulbücher werden von Mathematikern geschrieben und nicht von Statistikern, dadurch fehlt die Schnittstelle zur Anwendung.“Am geringen Frauenanteil liegt es ausnahmsweise nicht. Für Mint-Fächer ungewöhnlich, ist das Geschlechterverhältnis bei Statistik ausgeglichen.