Hat Trump die Justiz behindert?
Analyse. Der US-Präsident bringt sich selbst mit Twitter-Aussagen in Schwierigkeiten. Sonderermittler Mueller sammelt Material wegen eines neuen Vorwurfs.
Washington. US-Präsident Donald Trump steckt im Zusammenhang mit den Nachforschungen von Sonderermittler Robert Mueller offenbar in wesentlich größeren Schwierigkeiten als bisher angenommen. Nach der Anklage gegen Trumps früheren Sicherheitsberater Michael Flynn rückt der Vorwurf möglicher Justizbehinderung in den Vordergrund. Trump selbst brachte sich mit einer Twitter-Mitteilung so sehr in die Bredouille, dass er am Sonntag Zeichen der Panik an den Tag legte.
Vor Reportern betonte Trump am Wochenende erneut, wegen Muellers Ermittlungen nicht besorgt zu sein. Mueller war im Mai eingesetzt worden, um dem Verdacht nachzugehen, dass Trumps Mannschaft mit russischen Versuchen zur Manipulation der US-Präsidentenwahl kooperiert hat. Zudem hatte Trump den damaligen FBI-Chef, James Comey, entlassen und anschließend in vertraulichen Gesprächen gesagt, die Entscheidung habe ihn in Sachen Russland entlastet.
Mueller hat vor seiner Anklage gegen Flynn bereits drei andere ehemalige Trump- Mitarbeiter vor Gericht gebracht. In allen Fällen geht es nicht um den Vorwurf einer Zusammenarbeit mit Russland, sondern um andere mutmaßliche Vergehen. Flynn zum Beispiel hat zugegeben, gegenüber dem FBI gelogen zu haben. Offenbar hat Mueller zugestimmt, dass Flynn nur wegen dieses vergleichsweise harmlosen Anklagepunkts vor Gericht kommt, weil Flynn im Gegenzug über interne Gespräche im Weißen Haus berichtet.
Laut „New York Times“legen neu aufgetauchte E-Mails von Trump-Mitarbeitern nahe, dass die Wahlkampfmannschaft des heutigen Präsidenten vergangenes Jahr sicher war, den Sieg über Hillary Clinton den Russen zu verdanken. Bisher ist unklar, ob Mueller konkrete Beweise für eine Zusammenarbeit hat. Möglicherweise geht es dem Sonderermittler inzwischen weniger um den Vorwurf einer Kollaboration mit Moskau als vielmehr um den leichter nachzuweisenden Straftatbestand der Justizbehinderung. Auch dies könnte Trump theoretisch ein Amtsenthebungsverfahren im Kongress einbringen.
Amtsenthebung theoretisch möglich
Offenbar ist Mueller dabei, belastendes Material gegen den Präsidenten zusammenzutragen. Im Mittelpunkt steht Comeys Entlassung durch Trump im Mai. Trumps ehemaliger Chefstratege Stephen Bannon hat die Entlassung als größten Fehler in der Geschichte der modernen Politik bezeichnet. Der Präsident selbst lieferte Mueller am Wochenende neues Material. Per Twitter teilte Trump mit, er habe Flynn im Februar auch wegen dessen Lügen gegenüber dem FBI gefeuert. Das würde bedeuten, dass der Präsident von Flynns Lügen wusste, als er Comey wenig später bat, Flynn laufen zu lassen – ein klarer Fall von Justizbehinderung, so Kritiker.
Offenbar hat Trump den Ernst der Lage erkannt: Er habe Comey niemals gebeten, Flynn zu schonen, behauptete der Präsident am Sonntag auf Twitter, obwohl Comey genau dies im Kongress unter Eid ausgesagt hatte. In einer ganzen Serie von wütenden Tweets am Sonntagmorgen erhob Trump erneut Vorwürfe gegen die Medien, Comey, Muellers Ermittler und Hillary Clinton.
Nachdem er sich Flynns Mitarbeit gesichert hat, ist Mueller möglicherweise in der Lage, Licht in diese und andere Vorgänge zu bringen. Trumps Anwälte hoffen, dass der Sonderermittler vor Weihnachten seine Nachforschungen einstellt – doch womöglich gehe es jetzt erst richtig los, analysierte die Zeitschrift „The New Yorker“.
Die Aufregung überschattet einen Erfolg Trumps: Auf sein Drängen hat der Senat in der Nacht zum Samstag die umfangreichste Steuerreform seit mehr als dreißig Jahren beschlossen. Das Paket geht in den Vermittlungsausschuss von Senat und Repräsentantenhaus. Das Steuerpaket sieht eine Senkung der Körperschaftsteuer von 35 auf 20 Prozent und Erleichterungen bei der Einkommensteuer vor. Die verabschiedete Version würde das US-Staatsdefizit innerhalb von zehn Jahren um eine Billion Dollar vergrößern. Der Präsident verwirrte Freund und Feind nach der Verabschiedung mit der Andeutung, dass er mit einer Körperschaftsteuer von 22 statt 20 Prozent leben könnte. Die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss dürften spannend werden.