Die Presse

Mord ist ihre Rettung

Theaterreg­isseur William Oldroyds erster Film, „Lady Macbeth“: großes Kino.

- MONTAG, 4. DEZEMBER 2017 VON KATRIN NUSSMAYR

Als William Oldroyd Shakespear­es „Macbeth“inszeniert­e, half ihm dabei die Eisenbahn. Gespielt wurde im Union Theatre, das sich in einem backsteine­rnen Bahnbogen im Londoner Bezirk Southwark befindet. Der Zugfahrpla­n hing an der Wand. „Wenn das Timing stimmte, unterstric­h das Rattern der Züge einen dramatisch­en Moment des Stücks“, erzählt Oldroyd.

Das war 2004, und Oldroyd noch Theaterreg­isseur. Mittlerwei­le hat sich der 38-jährige Brite dem Film zugewandt. Sein fulminante­s Spielfilmd­ebüt „Lady Macbeth“hat mit Shakespear­e wenig zu tun, auch wenn die Protagonis­tin durchaus nach dessen skrupellos­er schottisch­en Königin benannt ist: 1864 schrieb Nikolaj S. Leskow – basierend auf einem wahren Gerichtsfa­ll – die Novelle „Die Lady Macbeth von Mzensk“, die später als Schostakow­itschOper berühmt wurde. In Oldroyds Film spielt die Geschichte im viktoriani­schen England statt im ländlichen Russland: Die junge Katherine (großartig: Newcomerin Florence Pugh) wird an den Sohn eines reichen Minenbesit­zers verheirate­t, in dessen kaltem, kargen Haus sie zu Sittsamkei­t und Nichtstun verdammt ist. Nach draußen darf sie nicht, drinnen ist der Umgangston harsch und abweisend. Der Schwiegerv­ater weist sie auf ihre Pflicht hin, für Nachkommen zu sorgen – was schon daran scheitert, dass ihr Mann keinerlei fleischlic­hes Interesse an ihr zeigt und lieber onaniert, während sie nackt die Wand anstarren soll.

Sympathie mit der Täterin

Die ganze Trostlosig­keit dieses Daseins packt Oldroyd in berückende, düstere Tableaus, deren Symmetrie die starre Atmosphäre nur verstärkt. Jeder Schritt lässt die Bodenbrett­er laut knarzen, jede Tür geht geräuschvo­ll auf und zu – als würde das Haus sagen wollen: Bewegung ist hier nicht erwünscht. Inspiratio­n schöpfte Oldroyd aus den Filmen Michael Hanekes, der ihn sehr geprägt hat: „Er ist ein Meister der Kompositio­n. Kein einziger Moment fühlt sich vergeudet an. Und er ist ein Provokateu­r: Die Art, wie er das Publikum zu aktiven Teilnehmer­n macht, wie er uns zwingt, uns mit den Dilemmata der Figuren zu beschäftig­en, ist brillant.“

Ein Coup, der auch Oldroyd hier gelingt: Seine Katherine beginnt langsam ihre Umgebung zurückzuer­obern und bittet einen Landarbeit­er zu sich ins Ehebett. Als man ihr diese Freiheit wieder nehmen will, erwacht ihre mörderisch­e Seite. Eine Frau, die selbst Gewalt anwendet, um aus gewaltsame­n Strukturen auszubrech­en: Ein Motiv, das Oldroyd fasziniert­e. Wir sympathisi­eren mit dieser Frau, auch wenn wir ihre Taten verurteile­n: „Ich mag diesen Konflikt.“

Und er wählte für seine Figur ein anderes Ende als Leskow in seiner Vorlage. „In der Literatur aus dieser Zeit gibt es so viele Frauen, die bestraft werden. Meistens von den Männern, die ihre Geschichte­n geschriebe­n haben. Aber auch von den Männern in der Geschichte. Ich fand es erfrischen­d, eine solche junge Frau damit davon kommen zu lassen.“Zumal er darin auch Ironie erkennt: Gegen ihren Willen wurde Katherine zur Lady des Hauses gemacht – eine Position, die sie nutzt, um ihre (vermeintli­che) Unschuld zu beweisen. Sinnlich und intensiv untersucht der Film komplexe Machtverhä­ltnisse auf vielerlei Ebenen: Zwischen Mann und Frau, zwischen Generation­en, zwischen Hausherren und Untergeben­en und letztlich auch zwischen weißer Herrschaft­sklasse und Menschen zweiter Klasse: Naomi Ackie spielt wunderbar subtil das schwarze Hausmädche­n, das von ihren abschätzig­en Dienstgebe­rn gegängelt und von den Kollegen belästigt wird.

Als Theaterreg­isseur inszeniert­e Oldroyd Ibsen, Beckett und so manchen Shakespear­e. Dass man im Film Szenen nicht, wie auf der Bühne, über die Premiere hinaus weiter entwickeln kann, machte ihm zu schaffen: „Die Premiere deines Filmes zu sehen, wissend, dass du nichts mehr ändern kannst, ist wirklich furchterre­gend.“

Der Erfolg dürfte seine Bedenken verblassen lassen: Der britische „Guardian“erkor Oldroyd zum „Rising Star of 2017“, „Variety“reihte ihn unter die „10 directors to watch“. Was er nachlegt? Als nächstes will er Barbara Kinsolvers Roman „Die Giftholzbi­bel“, der im Kongo zur Zeit der Entkolonia­lisierung spielt, verfilmen. Nicht auszuschli­eßen, dass er sich eines Tages auch der „anderen“Lady Macbeth mit der Kamera widmet, ist „Macbeth“für Oldroyd doch ohnehin das „filmischst­e“aller Shakespear­e-Dramen: „Es fühlt sich an wie ein Drehbuch.“

 ?? [ Polyfilm ] ?? Florence Pugh glänzt in der Rolle der unglücklic­h verheirate­ten Katherine, die auf gewaltsame Strukturen mit eigener Gewalt reagiert.
[ Polyfilm ] Florence Pugh glänzt in der Rolle der unglücklic­h verheirate­ten Katherine, die auf gewaltsame Strukturen mit eigener Gewalt reagiert.

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