Mord ist ihre Rettung
Theaterregisseur William Oldroyds erster Film, „Lady Macbeth“: großes Kino.
Als William Oldroyd Shakespeares „Macbeth“inszenierte, half ihm dabei die Eisenbahn. Gespielt wurde im Union Theatre, das sich in einem backsteinernen Bahnbogen im Londoner Bezirk Southwark befindet. Der Zugfahrplan hing an der Wand. „Wenn das Timing stimmte, unterstrich das Rattern der Züge einen dramatischen Moment des Stücks“, erzählt Oldroyd.
Das war 2004, und Oldroyd noch Theaterregisseur. Mittlerweile hat sich der 38-jährige Brite dem Film zugewandt. Sein fulminantes Spielfilmdebüt „Lady Macbeth“hat mit Shakespeare wenig zu tun, auch wenn die Protagonistin durchaus nach dessen skrupelloser schottischen Königin benannt ist: 1864 schrieb Nikolaj S. Leskow – basierend auf einem wahren Gerichtsfall – die Novelle „Die Lady Macbeth von Mzensk“, die später als SchostakowitschOper berühmt wurde. In Oldroyds Film spielt die Geschichte im viktorianischen England statt im ländlichen Russland: Die junge Katherine (großartig: Newcomerin Florence Pugh) wird an den Sohn eines reichen Minenbesitzers verheiratet, in dessen kaltem, kargen Haus sie zu Sittsamkeit und Nichtstun verdammt ist. Nach draußen darf sie nicht, drinnen ist der Umgangston harsch und abweisend. Der Schwiegervater weist sie auf ihre Pflicht hin, für Nachkommen zu sorgen – was schon daran scheitert, dass ihr Mann keinerlei fleischliches Interesse an ihr zeigt und lieber onaniert, während sie nackt die Wand anstarren soll.
Sympathie mit der Täterin
Die ganze Trostlosigkeit dieses Daseins packt Oldroyd in berückende, düstere Tableaus, deren Symmetrie die starre Atmosphäre nur verstärkt. Jeder Schritt lässt die Bodenbretter laut knarzen, jede Tür geht geräuschvoll auf und zu – als würde das Haus sagen wollen: Bewegung ist hier nicht erwünscht. Inspiration schöpfte Oldroyd aus den Filmen Michael Hanekes, der ihn sehr geprägt hat: „Er ist ein Meister der Komposition. Kein einziger Moment fühlt sich vergeudet an. Und er ist ein Provokateur: Die Art, wie er das Publikum zu aktiven Teilnehmern macht, wie er uns zwingt, uns mit den Dilemmata der Figuren zu beschäftigen, ist brillant.“
Ein Coup, der auch Oldroyd hier gelingt: Seine Katherine beginnt langsam ihre Umgebung zurückzuerobern und bittet einen Landarbeiter zu sich ins Ehebett. Als man ihr diese Freiheit wieder nehmen will, erwacht ihre mörderische Seite. Eine Frau, die selbst Gewalt anwendet, um aus gewaltsamen Strukturen auszubrechen: Ein Motiv, das Oldroyd faszinierte. Wir sympathisieren mit dieser Frau, auch wenn wir ihre Taten verurteilen: „Ich mag diesen Konflikt.“
Und er wählte für seine Figur ein anderes Ende als Leskow in seiner Vorlage. „In der Literatur aus dieser Zeit gibt es so viele Frauen, die bestraft werden. Meistens von den Männern, die ihre Geschichten geschrieben haben. Aber auch von den Männern in der Geschichte. Ich fand es erfrischend, eine solche junge Frau damit davon kommen zu lassen.“Zumal er darin auch Ironie erkennt: Gegen ihren Willen wurde Katherine zur Lady des Hauses gemacht – eine Position, die sie nutzt, um ihre (vermeintliche) Unschuld zu beweisen. Sinnlich und intensiv untersucht der Film komplexe Machtverhältnisse auf vielerlei Ebenen: Zwischen Mann und Frau, zwischen Generationen, zwischen Hausherren und Untergebenen und letztlich auch zwischen weißer Herrschaftsklasse und Menschen zweiter Klasse: Naomi Ackie spielt wunderbar subtil das schwarze Hausmädchen, das von ihren abschätzigen Dienstgebern gegängelt und von den Kollegen belästigt wird.
Als Theaterregisseur inszenierte Oldroyd Ibsen, Beckett und so manchen Shakespeare. Dass man im Film Szenen nicht, wie auf der Bühne, über die Premiere hinaus weiter entwickeln kann, machte ihm zu schaffen: „Die Premiere deines Filmes zu sehen, wissend, dass du nichts mehr ändern kannst, ist wirklich furchterregend.“
Der Erfolg dürfte seine Bedenken verblassen lassen: Der britische „Guardian“erkor Oldroyd zum „Rising Star of 2017“, „Variety“reihte ihn unter die „10 directors to watch“. Was er nachlegt? Als nächstes will er Barbara Kinsolvers Roman „Die Giftholzbibel“, der im Kongo zur Zeit der Entkolonialisierung spielt, verfilmen. Nicht auszuschließen, dass er sich eines Tages auch der „anderen“Lady Macbeth mit der Kamera widmet, ist „Macbeth“für Oldroyd doch ohnehin das „filmischste“aller Shakespeare-Dramen: „Es fühlt sich an wie ein Drehbuch.“