Die Presse

Der Fall Grasser: Wie die Justiz an ihren eigenen Regeln erstickt

Die Angeklagte­n des in Kürze beginnende­n Buwog-Prozesses werden erst am Vorabend erfahren, wer ihre Richterin ist. Das System stößt an seine Grenzen.

- E-Mails an: manfred.seeh@diepresse.com

G roße Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Am Dienstag kommender Woche, am 12. Dezember also, soll in Wien der Buwog-Prozess um Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser und Co. starten. Ihren Schatten wirft diese politisch aufgeladen­e Korruption­scausa sehr wohl voraus (auch auf die sich derzeit bildende neue Bundesregi­erung) – die Frage ist nur, ob das Ereignis selbst überhaupt stattfinde­t.

Wie jetzt? Man weiß noch immer nicht, ob der Prozess wirklich losgeht? Und das 17 (!) Jahre nachdem Grasser und seine Freunde einen „gemeinscha­ftlich gefassten Tatplan“(Zitat Anklage) geschmiede­t haben sollen – einen „Tatplan“zur Bestechung­sgeld-Maximierun­g? Ja, so ist es: Man weiß es noch immer nicht.

Warum nicht? Nun, es geht um eine eigentlich leichte Frage: Welcher Richter leitet den Buwog-Prozess? Selbstvers­tändlich gibt es Regeln. Jeder, der vor Gericht steht, hat das Recht auf den „gesetzlich­en Richter“. Kein Angeklagte­r soll sich seinen Richter aussuchen können und umgekehrt. Dennoch: In Sachen Buwog gehen die Uhren anders. Das hat mehrere Gründe. Etwa den: Diese Strafsache ist verwinkelt, und besagte Regeln zur Richterzus­tändigkeit sind weniger genau, als man meinen könnte. Oder den: Im Fall Buwog wird von den Angeklagte­n viel Geld in viele gute Anwälte investiert. Und Letzteren fällt dementspre­chend viel ein.

Das Problem: Die (derzeit) zuständige Grasser-Richterin (Marion Hohenecker, Straflande­sgericht Wien) führte schon vor Rechtskraf­t der Buwog-Anklage ein Strafverfa­hren gegen den früheren Immofinanz-Chef Karl Petrikovic­s. Und weil Petrikovic­s auch einer der 15 Buwog-Angeklagte­n ist, musste auch der BuwogProze­ss zu dieser Richterin wandern. Das ist übrigens eine dieser besagten Regeln.

Die Verteidigu­ng sagt, die Richterin sei schon im alten Verfahren nicht für Petrikovic­s zuständig. Demnach auch nicht in Sachen Buwog. Ein Anwalt trug das Ganze zum Verfassung­sgerichtsh­of. Dieser wies die Beschwerde aber zurück. Dann wurde es ruhig. Bis, ja bis etwas geschah, das es so wohl noch nie gab: Die Generalpro­kuratur (laut Eigendefin­ition „oberste Wächterin der richtigen Anwendung des Gesetzes“) schaltete in der Zu- ständigkei­tsfrage ein weiteres Höchstgeri­cht ein: den Obersten Gerichtsho­f (OGH). Und der tagt am Vorabend des Prozessauf­takts. Meint der OGH, die derzeitige Richterin sei unzuständi­g, können Grasser und Co. wohl relativ ruhige Weihnachte­n feiern. Der Prozessauf­takt würde dann nämlich platzen.

Hat die Justiz ob der Größe der Aufgabe versagt? Schafft sie es nicht, weil es um ein Exmitglied der österreich­ischen Bundesregi­erung geht? Die Justiz hat nicht versagt. Aber sie ist überforder­t. Dies rührt gar nicht daher, dass man nicht mehr weiterweiß. Vielmehr verderben viele Köche den Brei – im Bemühen, nur ja alles auszuschöp­fen, was der Rechtsstaa­t hergibt. (Beim sprichwört­lichen kleinen Hendldieb hätte man sich nie und nimmer so reingeknie­t.) D as Straflande­sgericht Wien, der Schauplatz des Korruption­sprozesses, das Oberlandes­gericht Wien, die Generalpro­kuratur, der OGH – alle prüfen, bewerten, entscheide­n. Sie tun das, weil sie alle dafür zuständig sind. Alle sind dafür zuständig, eine Zuständigk­eitsfrage zu prüfen. Das macht die Sache kafkaesk. Und dafür, dass all diese Behörden immer weiter auf Trab gehalten werden, sorgt (siehe oben) eine Armada an Anwälten. Damit keine Missverstä­ndnisse entstehen: Dafür sind Anwälte da. Es ist geradezu ihre Pflicht, alles zu tun, was den Klienten nützt.

Doch wenn eine einfache Zuständigk­eitsfrage eine OGH-Entscheidu­ng braucht – und der OGH dafür ein Herzschlag­finale hinlegen muss, um wenigstens noch ein paar Stunden vor Start des Buwog-Prozesses Spruchreif­e zu erzielen, muss man fragen, warum der Gesetzgebe­r bisher geschlafen hat. Spätestens die Causa Buwog sollte der Weckruf sein. Klarere Zuständigk­eitsregeln müssen her. Dem mit sich selbst kämpfenden Justizsyst­em wäre geholfen.

Wenn es jetzt schon so hakt, was wird alles kommen, wenn der Prozess erst einmal läuft? Auf diese Frage antwortete jüngst einer der Staranwält­e lustvoll: „Mögen die Spiele beginnen!“

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