Netanjahu steht unter Druck
Israel. Der Regierungschef wollte per Gesetzesreform verhindern, dass die Untersuchungen gegen ihn veröffentlicht werden. Er ruderte in letzter Minute zurück.
Jerusalem. Es war der bislang größte Protest gegen den israelischen Premier, Benjamin Netanjahu, seit dieser ins Visier der Justiz geraten ist. Rund 20.000 Demonstranten zogen Samstagnacht in Tel Aviv durch den zentralen Rothschild Boulevard, auf ihren Spruchtafeln stand „Verbrechensminister“zu lesen, und die Forderung, dass „die Regierung des organisierten Verbrechens“abtreten und Netanjahu selbst ins Gefängnis geschickt werden soll. Die Proteste gegen Netanjahu wachsen zunehmend.
Der Grund dafür ist eine geplante Gesetzesreform, die darauf abzielt, polizeiliche Untersuchungen gegen Regierungspolitiker unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu handhaben. Das „Empfehlungsgesetz“, das voraussichtlich schon am heutigen Montag zur zweiten und dritten Lesung der Knesset vorgelegt werden wird, sieht Folgendes vor: Die Polizei darf nach Abschluss der Untersuchungen, in die Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verwickelt ist, ihre eventuellen Empfehlungen für ein Rechtsverfahren weder veröffentlichen noch an den Oberstaatsanwalt weiterreichen. Nach den Protesten twitterte Netanjahu am Sonntag, dass die beiden laufenden Untersuchungen gegen ihn von der geplanten Gesetzesreform ausgenommen werden sollen. „Das Empfehlungsgesetz ist gut“, schrieb er, „es schützt die menschliche Würde.“Unglücklicherweise sei die Debatte um die Reform „in eine politische Schlacht“ausgeartet.
Als Autor des neuen Gesetzestexts zeigt sich der Likud-Abgeordnete David Amsalem verantwortlich. Sein Entwurf diene dazu, die Rechte und das öffentliche Ansehen der Verdächtigen zu schützen. Usi Arad hingegen, früher noch enger Berater Netanjahus, lobte die Demonstranten, die „wie die Propheten Israels“seien, die ihre „Regierenden, wenn sie vom geraden Weg abkommen“tadelten.
Gegen Netanjahu laufen derzeit zwei Untersuchungsverfahren. Bei der „Akte 1000“geht es um Geschenke wohlhabender Freunde, die teure Zigarren für den Regierungschef gekauft haben sollen, Champagner für seine Ehefrau, Sara, und Zuwendungen unterschiedlicher Art an die beiden Söhne der Netanjahus finanzierten. Der Zeugenaussage von Hadas Klein zufolge, die im Auftrag des Filmproduzenten Arnon Milchan die Geschenke persönlich überbracht haben will, habe Sara Netanjahu „den Champagner in Zwölferkisten bestellt“.
Vorwürfe abgestritten
Bei den Vorwürfen in der „Akte 2000“geht es hingegen um unredliche Absprachen zwischen dem Regierungschef und Arnon Moses, Verleger der Tageszeitung „Jediot Achronot“. Im Gegenzug für eine wohlwollendere Berichterstattung des sonst recht regierungskritischen Blatts habe Netanjahu, soweit bekannt wurde, dafür sorgen wollen, die Auflage der Konkurrenzzeitung „Israel Hajom“zu reduzieren. Netanjahu selbst stritt bislang jeden Vorwurf ab. Es werde „nichts herauskommen, denn es gibt nichts“gegen ihn, so sein Mantra.
Die Tatsache, dass die Gesetzesvorlage geradezu maßgeschneidert für Netanjahus aktuelle Not erschien, ließ in den vergangenen Tagen Politiker zweier Koalitionspar- teien öffentlich auf Distanz gehen, darunter auch Justizministerin Ajelet Schaked von der Siedlerpartei Das jüdische Heim. Die Abgeordnete Merav Ben-Ari von der Mittepartei Kulanu schlug vor, das Inkrafttreten der Reform um drei Monate zu verschieben. Denn die Polizei steht bei der Untersuchung der „Akte 1000“kurz vor dem Abschluss.
Mit der Ankündigung, seine Fälle nicht mit dem Gesetz behandeln zu lassen, nimmt Netanjahu Wind aus den Segeln seiner Kritiker. Der Entwurf habe den Anschein, dass es sich um ein „persönliches Gesetz“handle, twitterte Ben-Ari. Und damit hätte ein Verfahren gegen Netanjahu in die Wege geleitet werden können. Beobachtern zufolge hätte ein solches Verfahren sicher das politische Aus von Netanjahu bedeutet.