Warum Verlustbegrenzungen nicht vor Verlusten schützen
Automatische Stop-Loss-Orders nehmen einem die Entscheidung ab, ob man verkaufen soll. Es kann jedoch die falsche Entscheidung sein. Stop-LossOrders sind beim Auffinden des richtigen Zeitpunkts noch schlechter als der Anleger selbst.
Es ist das Schreckensszenario für Aktionäre. Man kauft Aktien, und dann stürzen die Börsen um 86 Prozent ab und brauchen 25 Jahre, um die Kursverluste wieder aufzuholen. Das passierte ab 1929 an der Wall Street. Oder man investiert in neue Technologien, und dann fallen die Aktien dieser Firmen um 80 Prozent. Man muss 14 Jahre warten, bis man wieder im Plus ist. Das passierte mit dem US–Technologieaktienindex Nasdaq ab 2000. Noch schlimmer: Die Aktien verlieren 80 Prozent und haben sich nach 27 Jahren noch immer nicht vollständig erholt. Das war beim japanischen Nikkei der Fall.
Doch gibt es, so heißt es häufig, ein probates Mittel, um sich vor solch extremen Verlusten zu schützen: Stop-Loss-Orders. Das sind automatische Verlustbegrenzungen, die man etwa 20 Prozent unter dem Kaufkurs ansetzen kann. Fällt die Aktie unter diese Schwelle, wird automatisch verkauft. So realisiert man zwar einen „kleinen“Verlust, verhindert aber einen großen. Steigt die Aktie, kann man die Stop-Loss-Order auch mitziehen. Dann wird automatisch verkauft, wenn die Aktie vom Höchststand weg um 20 Prozent fällt.
Zögerliche Anleger hoffen, sich so selbst mit einem psychologischen Trick zu überlisten: Fällt die Aktie stark, wird einem die Entscheidung, ob man sie jetzt abstoßen soll, abgenommen. Damit ist aber nicht gesagt, dass es eine gute Entscheidung ist. Manchmal ist es das, manchmal nicht.
Bei Yahoo wäre es gut gewesen, im Jahr 2000 bei minus 20 Prozent ausgestoppt zu werden. Man hätte noch immer einen besseren Preis erhalten als alle, die die Aktie des Internetpioniers später verkauften. Anders sieht es beim Streaming-Anbieter Netflix aus. Die Aktie hat sich in zehn Jahren verfünfzigfacht. Um davon zu profitieren, musste man sie kontinuierlich halten. Wer eine Stop-Loss-Order gesetzt hatte, wurde 2011 mit hoher Wahrscheinlichkeit hinausgeworfen: In diesem Jahr verlor die Netflix-Aktie zwischen Mai und September 75 Prozent.
Natürlich wäre man noch besser gefahren, wenn man automatisch ver- kauft und auf dem Tiefpunkt wieder zugekauft hätte. So leicht machte es einem die Netflix-Aktie aber nicht: Sie setzte zu einer Scheinerholung an und stieg um 80 Prozent, um abermals und diesmal noch tiefer abzustürzen. All das richtig vorherzusagen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Falls jemand trotzdem glaubt, diese Kunst zu beherrschen, benötigt er erst recht keine StopLoss-Orders. Denn die sind beim Auffinden des richtigen Zeitpunkts oft noch schlechter als der Anleger selbst. Sie verkaufen mitunter zum Tiefstpreis: Startet etwa eine Aktie mit einem Minus von 30 Prozent in den neuen Tag, weil über Nacht unerfreuliche Nachrichten publik wurden, wird dann eben bei minus 30 Prozent verkauft. Und nicht, wie geplant, bei minus 20 Prozent. Eine Gegenbewegung, wie sie in solchen Fällen häufig passiert, macht man dann nicht mehr mit.
Langfristanleger tun also gut daran, ihre Aktien dann zu verkaufen, wenn sie für das Geschäftsmodell keine Zukunft mehr sehen oder wenn die Aktie zu teuer geworden ist. Nicht aber bei einer bestimmten Kursbewegung.
Doch was, wenn man schwankende Werte mit ungewisser Zukunft hat, etwa Bitcoins? Bieten Stop-Loss-Orders hier nicht Schutz vor Totalverlust? Wahrscheinlich schon. Doch wäre man da schon oft ausgestoppt worden. Vergangenen Donnerstag etwa, als die Kryptowährung zwischen 16 und 20 Uhr um 20 Prozent nachgab. Vielleicht wäre es diesmal gut gewesen, ausgestoppt zu werden. Bei den letzten so scharfen Korrekturen im Oktober und im September war es das nicht.
Wer von Anfang an dabei war und jetzt (Multi-)Millionär ist, musste wesentlich stärkere Schwankungen ertragen. Zwischen Dezember 2013 und Jänner 2015 verlor Bitcoin 84 Prozent. Eine Stop-Loss-Order hätte zwar verhindert, das in vollem Ausmaß mitzumachen; die Entscheidung, ob und wann man wieder einsteigen sollte, musste man aber allein treffen.
Wen die Aussicht auf starke Kursverluste generell beunruhigt, der sollte lieber gar keine Bitcoins haben. Das schützt sicher vor Totalverlust. Oder auf eine andere probate Absicherung setzen: die der Streuung.