In Sachen Bitcoin wäre Gelassenheit anzuraten
Krypto. Euphorie oder Hysterie bringen uns beim Thema Bitcoin nicht weiter. Klar, hier gibt es eine Bubble. So wie damals, als das Internet die Fantasie der Anleger beflügelt hat. Die Frage ist: Welche Projekte überleben den Crash, wenn er kommt?
Wien. Was für eine Aufregung. Es geht natürlich um Bitcoin. Worum auch sonst? Nach Jahren in der Obskurität ist das Thema heuer mit einem großen Knall im Mainstream aufgeschlagen. Wobei, der große Knall, der Crash, der steht ja noch bevor. Aber der Reihe nach.
Sind Sie verwirrt? Sie sollten es sein. Wer angesichts der Rekordpreise (9000 Dollar, 10.000 Dollar, 8000 Dollar, 11.000 Dollar – das ändert sich minütlich), angesichts des Hypes, angesichts der vielen Warnungen vor einer Bubble und angesichts des hysterisch geführten Kulturkampfs nicht verwirrt ist, muss über Superkräfte oder eine Kristallkugel verfügen.
Über Bitcoin wissen wir nur zwei Dinge mit Sicherheit: dass die Preise zuletzt in bisher nicht gekannte Höhen geschossen sind. Und dass wir wirklich, ehrlich, ohne Schmäh keine Ahnung haben, wie das alles endet. Preislich kann das Ding in alle Richtungen gehen: Weiter nach oben. Sofort nach unten. Zuerst nach oben, dann nach unten. Oder nach unten und dann nach oben – wie sooft in der Vergangenheit. Wer hier investieren will, oder besser spekulieren, der braucht Nerven aus Stahl.
Selbstfahrendes Geldsystem
Auf lange Sicht viel interessanter als der Bitcoin-Preis sind aber die Veränderungen, die dieser Prototyp mit sich bringen könnte. Denn nichts anderes ist Bitcoin: ein Versuchsballon, ein Experiment. Sie haben sicherlich schon von den selbstfahrenden Autos gehört, die schon sehr bald unsere Straßen bevölkern sollen. Von der „Industrie 4.0“, die uns Roboter bringt und Jobs wegnimmt. Nun, Bitcoin ist so etwas wie ein selbstfahrendes Geldsystem. Money 4.0, wenn Sie ein Label brauchen.
Aber das Geldsystem ist lediglich der erste Anwendungsfall. Dahinter steht die Überzeugung, dass Computer und Algorithmen nicht nur einzelne Jobs, sondern ganze Industrien umkrempeln können. Mithilfe der Blockchain-Technologie, die heuer überall als das nächste große Ding gefeiert wird. Dass jetzt einige Banker nervös werden und vor Bitcoin warnen, zeigt, wie weit dieser Blockchain-Prototyp schon gekommen ist. Aber die meisten bleiben gelassen.
Wie überhaupt ein bisschen Gelassenheit der ganzen Sache gut tun würde: Bitcoin ist, wie gesagt, ein Experiment, das selbst derzeit mindestens genauso viele Proble- me hat, wie es vorgibt zu lösen. So benötigt Bitcoin enorme Mengen an Energie. Und am Ende des Tages sitzen immer noch Menschen hinter den Computern und liefern sich derzeit einen erbitterten Machtkampf um die Zukunft der Kryptowährung. Das hat bereits zu mehreren Abspaltungen und der Schaffung alternativer Blockchains geführt (Bitcoin Cash, Bitcoin Gold). Bis zu einem gewissen Grad muss man sogar jenen recht geben, die den aktuellen Hype mit der berühmten Tulpenblase vergleichen.
Noch ist nicht gesagt, ob das Experiment Bitcoin gelungen ist. Noch wissen wir nicht mal, was es eigentlich bezwecken soll. Noch ist alles nur Spekulation. Es stimmt: Rein technisch betrachtet kann man Bitcoin nicht mit Tulpen vergleichen. Denn Tulpen wachsen nach – eine der Stärken des Bitcoins ist es aber, dass die Geldmen- ge auf ultimativ 21 Millionen Stück beschränkt ist. Das ist jene Eigenschaft, die die Kryptowährung als Alternative zu beliebig vermehrbarem Notenbank-Geld so attraktiv erscheinen lässt.
Aber auch, wenn Bitcoin selbst nicht endlos vermehrbar ist: In seinem Windschatten ist inzwischen etwas entstanden, das alle Merkmale einer außer Kontrolle geratenen Spekulationsblase hat: inklusive massenhafter digitaler Börsengänge (ICOs) von Start-ups, die nicht mehr haben als eine Idee. Und inklusive einer Epidemie aus Scams, Betrügereien und plumper Marktmanipulationen, die auf den sogenannten Kryptomärkten an der Tagesordnung sind. Was hier geschieht, riecht verdammt nach der Dotcom-Bubble. Wir wissen, wie die ausgegangen ist.
Was wir aber nicht wissen: Wird diese Dot-Coin-Bubble mor- gen platzen? Oder erst, nachdem die Wall Street eingestiegen ist? Denn bisher findet all diese Spekulation in einem fast hermetisch abgeriegelten Bereich statt, zu dem herkömmliche Investoren und Banken keinen Zugang haben.
Wo ist das nächste Amazon?
Eine Sache können wir aber jetzt schon sehen: Bitcoin hat auf seine eigene, verrückte Art einen Innovationsschub ausgelöst, aus dem tatsächlich die Industrie der Zukunft hervorgehen könnte. Denn zwischen den Scams und Luftschlössern gibt es eine Handvoll Projekte, die in der echten Welt wirklich für Revolutionen sorgen könnten. Und zwar weit über das Währungsthema hinaus.
Ein Beispiel wäre Ethereum, dessen „Smart Contracts“einmal in Tausenden Bereichen zum Einsatz kommen könnten. Oder Iota, das gerade gemeinsam mit Industriegrößen wie Microsoft, Fujitsu, Bosch und der Deutschen Telekom einen neuartigen Marktplatz für Daten vorgestellt hat.
Ein großer Teil dieser Innovation wird getrieben von freien Developern, die unentgeltlich an ihren Ideen arbeiten, sie auf einen Marktplatz werfen – und dort auf Unterstützung hoffen. Daran ist nichts auszusetzen. Das ist Marktwirtschaft in Reinform. Ohne Netz, doppelten Boden oder Einlagensicherung. Dass Anleger hier mit extremer Vorsicht vorgehen sollten – wenn überhaupt –, dürfte sich von selbst verstehen.
Und Medien sollten mit großer Sorgfalt analysieren, statt in Hysterie oder Euphorie zu verfallen. Denn welches dieser Projekte wirklich eine Zukunft hat, wissen wir erst, wenn die Blase geplatzt ist und die Überlebenden aus den Trümmern steigen. So war es schon bei der Dotcom-Bubble: Die guten Projekte haben den Crash überlebt. Amazon etwa, das heute zu den größten und wichtigsten Unternehmen der Welt gehört. WERTSACHEN