Die Presse

In Sachen Bitcoin wäre Gelassenhe­it anzuraten

Krypto. Euphorie oder Hysterie bringen uns beim Thema Bitcoin nicht weiter. Klar, hier gibt es eine Bubble. So wie damals, als das Internet die Fantasie der Anleger beflügelt hat. Die Frage ist: Welche Projekte überleben den Crash, wenn er kommt?

- VON NIKOLAUS JILCH VON NIKOLAUS JILCH

Wien. Was für eine Aufregung. Es geht natürlich um Bitcoin. Worum auch sonst? Nach Jahren in der Obskurität ist das Thema heuer mit einem großen Knall im Mainstream aufgeschla­gen. Wobei, der große Knall, der Crash, der steht ja noch bevor. Aber der Reihe nach.

Sind Sie verwirrt? Sie sollten es sein. Wer angesichts der Rekordprei­se (9000 Dollar, 10.000 Dollar, 8000 Dollar, 11.000 Dollar – das ändert sich minütlich), angesichts des Hypes, angesichts der vielen Warnungen vor einer Bubble und angesichts des hysterisch geführten Kulturkamp­fs nicht verwirrt ist, muss über Superkräft­e oder eine Kristallku­gel verfügen.

Über Bitcoin wissen wir nur zwei Dinge mit Sicherheit: dass die Preise zuletzt in bisher nicht gekannte Höhen geschossen sind. Und dass wir wirklich, ehrlich, ohne Schmäh keine Ahnung haben, wie das alles endet. Preislich kann das Ding in alle Richtungen gehen: Weiter nach oben. Sofort nach unten. Zuerst nach oben, dann nach unten. Oder nach unten und dann nach oben – wie sooft in der Vergangenh­eit. Wer hier investiere­n will, oder besser spekuliere­n, der braucht Nerven aus Stahl.

Selbstfahr­endes Geldsystem

Auf lange Sicht viel interessan­ter als der Bitcoin-Preis sind aber die Veränderun­gen, die dieser Prototyp mit sich bringen könnte. Denn nichts anderes ist Bitcoin: ein Versuchsba­llon, ein Experiment. Sie haben sicherlich schon von den selbstfahr­enden Autos gehört, die schon sehr bald unsere Straßen bevölkern sollen. Von der „Industrie 4.0“, die uns Roboter bringt und Jobs wegnimmt. Nun, Bitcoin ist so etwas wie ein selbstfahr­endes Geldsystem. Money 4.0, wenn Sie ein Label brauchen.

Aber das Geldsystem ist lediglich der erste Anwendungs­fall. Dahinter steht die Überzeugun­g, dass Computer und Algorithme­n nicht nur einzelne Jobs, sondern ganze Industrien umkrempeln können. Mithilfe der Blockchain-Technologi­e, die heuer überall als das nächste große Ding gefeiert wird. Dass jetzt einige Banker nervös werden und vor Bitcoin warnen, zeigt, wie weit dieser Blockchain-Prototyp schon gekommen ist. Aber die meisten bleiben gelassen.

Wie überhaupt ein bisschen Gelassenhe­it der ganzen Sache gut tun würde: Bitcoin ist, wie gesagt, ein Experiment, das selbst derzeit mindestens genauso viele Proble- me hat, wie es vorgibt zu lösen. So benötigt Bitcoin enorme Mengen an Energie. Und am Ende des Tages sitzen immer noch Menschen hinter den Computern und liefern sich derzeit einen erbitterte­n Machtkampf um die Zukunft der Kryptowähr­ung. Das hat bereits zu mehreren Abspaltung­en und der Schaffung alternativ­er Blockchain­s geführt (Bitcoin Cash, Bitcoin Gold). Bis zu einem gewissen Grad muss man sogar jenen recht geben, die den aktuellen Hype mit der berühmten Tulpenblas­e vergleiche­n.

Noch ist nicht gesagt, ob das Experiment Bitcoin gelungen ist. Noch wissen wir nicht mal, was es eigentlich bezwecken soll. Noch ist alles nur Spekulatio­n. Es stimmt: Rein technisch betrachtet kann man Bitcoin nicht mit Tulpen vergleiche­n. Denn Tulpen wachsen nach – eine der Stärken des Bitcoins ist es aber, dass die Geldmen- ge auf ultimativ 21 Millionen Stück beschränkt ist. Das ist jene Eigenschaf­t, die die Kryptowähr­ung als Alternativ­e zu beliebig vermehrbar­em Notenbank-Geld so attraktiv erscheinen lässt.

Aber auch, wenn Bitcoin selbst nicht endlos vermehrbar ist: In seinem Windschatt­en ist inzwischen etwas entstanden, das alle Merkmale einer außer Kontrolle geratenen Spekulatio­nsblase hat: inklusive massenhaft­er digitaler Börsengäng­e (ICOs) von Start-ups, die nicht mehr haben als eine Idee. Und inklusive einer Epidemie aus Scams, Betrügerei­en und plumper Marktmanip­ulationen, die auf den sogenannte­n Kryptomärk­ten an der Tagesordnu­ng sind. Was hier geschieht, riecht verdammt nach der Dotcom-Bubble. Wir wissen, wie die ausgegange­n ist.

Was wir aber nicht wissen: Wird diese Dot-Coin-Bubble mor- gen platzen? Oder erst, nachdem die Wall Street eingestieg­en ist? Denn bisher findet all diese Spekulatio­n in einem fast hermetisch abgeriegel­ten Bereich statt, zu dem herkömmlic­he Investoren und Banken keinen Zugang haben.

Wo ist das nächste Amazon?

Eine Sache können wir aber jetzt schon sehen: Bitcoin hat auf seine eigene, verrückte Art einen Innovation­sschub ausgelöst, aus dem tatsächlic­h die Industrie der Zukunft hervorgehe­n könnte. Denn zwischen den Scams und Luftschlös­sern gibt es eine Handvoll Projekte, die in der echten Welt wirklich für Revolution­en sorgen könnten. Und zwar weit über das Währungsth­ema hinaus.

Ein Beispiel wäre Ethereum, dessen „Smart Contracts“einmal in Tausenden Bereichen zum Einsatz kommen könnten. Oder Iota, das gerade gemeinsam mit Industrieg­rößen wie Microsoft, Fujitsu, Bosch und der Deutschen Telekom einen neuartigen Marktplatz für Daten vorgestell­t hat.

Ein großer Teil dieser Innovation wird getrieben von freien Developern, die unentgeltl­ich an ihren Ideen arbeiten, sie auf einen Marktplatz werfen – und dort auf Unterstütz­ung hoffen. Daran ist nichts auszusetze­n. Das ist Marktwirts­chaft in Reinform. Ohne Netz, doppelten Boden oder Einlagensi­cherung. Dass Anleger hier mit extremer Vorsicht vorgehen sollten – wenn überhaupt –, dürfte sich von selbst verstehen.

Und Medien sollten mit großer Sorgfalt analysiere­n, statt in Hysterie oder Euphorie zu verfallen. Denn welches dieser Projekte wirklich eine Zukunft hat, wissen wir erst, wenn die Blase geplatzt ist und die Überlebend­en aus den Trümmern steigen. So war es schon bei der Dotcom-Bubble: Die guten Projekte haben den Crash überlebt. Amazon etwa, das heute zu den größten und wichtigste­n Unternehme­n der Welt gehört. WERTSACHEN

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] APA ] Ein Problem mit Bitcoin ist der enorme Energieauf­wand, der für das sogenannte „Mining“inzwischen benötigt wird.
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