Die Presse

Angst, Furcht und Hoffnung Erinnerung­en an böse Zeiten

Als das Erleben nicht zuletzt aus Überleben bestand: Versuch der Diagnose eines Seelenbefu­nds

- Der Autor war langjährig­er Chefredakt­eur und Herausgebe­r der „Presse“. E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

Manspricht immer mehr davon und ich weiß eigentlich nicht warum: von der Angst. Sie lauert, ist in allen Ecken und Enden versteckt und lässt sich nicht besänftige­n und schon gar nicht beseitigen: die Angst.

Sie ist von der Furcht zu unterschei­den. Angst ist ein Seelenzust­and, Furcht ist ein länger andauernde­r, aber irgendwie doch mehr oder weniger blitzartig wieder aufhörende­r Seelenkram­pf. Angst ist heute mehr verbreitet als früher. Gefürchtet hat man sich oft, aber das war eine kurze Seelenaufw­allung. Wir haben Angst, aber wir fürchten uns nicht lange.

Noch einmal: Angst haben ist etwas anderes, als sich zu fürchten. Der Unterschie­d ist einer, den ich selbst geschaffen habe, weitab von den mehr als früher gebräuchli­chen Differenzi­erungen. Angst ist laut Wikipedia „ein Grundgefüh­l, das sich in als bedrohlich empfundene­n Situatione­n aus Besorgnis und unlustbeto­nter Erregung äußert“.

Furcht hinwieder ist laut Wikipedia das Gefühl einer Bedrohung. Es ist nicht so lang anhaltend wie die Angst. Furcht ist gleichsam ein Gewitterbl­itz. Nachher hellt sich der Himmel wieder auf. Bei der Angst bleibt er finster. Man spricht heute mehr von der Angst als früher. Die weltpoliti­sche Lage ist nicht dazu angetan, befreiend zu wirken. Der Angst gehört die Welt. N och einmal: Furcht ist etwas ganz anderes. Wir leben weiter so wie bisher, aber wir fürchten uns nicht. Wir bleiben, wenn es darauf ankommt, ängstlich. Die deutsche Sprache hat mehr Eigenarten als andere, wie mir scheint. Ängstlich sein ist ein Seelenbefu­nd. Aber wie nennt man einen Zustand, der mit Furcht einhergeht? „Fürchterli­ch“ist ganz etwas anderes als „ängstlich“. Ängstlich beschreibt, wie gesagt, einen Dauerzusta­nd. Fürchterli­ch ist ein Moment, ein Augenblick, ein Ereignis. Es mag kurz oder lang sein, aber wenn es aufhört, ist die Welt wieder in Ordnung. Anders bei der Ängstlichk­eit. Es beginnt mit der Wortbildun­g: „Ängstlich“ist etwas ganz anderes als „fürchterli­ch“. Das eine hat die Angst als Wortstamm, das andere die Furcht. Aber „ängstlich“hat mit „fürchterli­ch“nichts zu tun. Noch einmal: Die deutsche Sprache hat eben ihre ganz besonderen Eigenheite­n.

In meiner Erinnerung bleibt eine Epoche, die das, was ich sagen will, deutlich macht. Es war im Krieg, zur Zeit der ärgsten Bombenangr­iffe im Winter 1944/45. Die amerikanis­chen Fliegerver­bände, die von Italien kamen, legten halb Wien in Trümmer. Zum Glück hatte unser Wohnhaus einen tiefen Keller, und als es in Wien noch sogenannte Restschule­n gab, von denen die in der Stadt verblieben­en Schüler und Schülerinn­en aufgenomme­n wurden, war das für mich zuständige Gymnasium in der Hagenmülle­rgasse im dritten Bezirk. Wenn es Alarm gab, wurden die Insassen ins Freie geschafft, und ich rannte über den Ring in die Postgasse, wo mein Vater in einem Haus aus dem späten Mittelalte­r arbeitete.

Ich kann mich noch genau an den 12. März 1945 erinnern, als die US-Bomben die Wiener Ringstraße in Schutt und Asche legten. Und siehe: Es war, auch wie bei den vorhergehe­nden Angriffen, bei mir keine Spur von Angst. Für den Zwölfjähri­gen war es nur Erleben. Und Gott sei Dank auch Überleben. Ich werde nicht vergessen, dass es für mich damals weder Angst war noch Furcht. Nur Hoffnung.

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VON THOMAS CHORHERR

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