Die Presse

Die Achillesfe­rse des Regimes von Viktor Orb´an

Warum Ungarns Opposition eine „taktische Koalition“eingehen sollte.

- VON BALAZS CSEKÖ Balazs Csekö (* 1986) studierte Politikwis­senschaft an der Universitä­t Wien. Der gebürtige Ungar lebt und arbeitet als freier Journalist in Wien. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Unabwählba­r?“, fragte das ungarische Wirtschaft­smagazin „HVG“unlängst auf seiner Titelseite. Die Frage bezog sich auf Premier Viktor Orban,´ der da als ein gealterter Herrscher im Jahr 2047 erscheint. Der Verdacht, dass die Orban-´Regierung nicht mehr mittels Wahlen aus dem Amt zu entfernen ist, wird immer häufiger auch unter Bürgern laut.

Zwar ist die Lage der Opposition äußerst prekär, doch könnte sie die Regierungs­partei Fidesz bei den Parlaments­wahlen im kommenden Frühling in Bedrängnis bringen. Dafür müssten aber die Opposition­skräfte über ihren eigenen Schatten springen.

Die letzte Umfrage des Instituts Zavecz´ Research verspricht derzeit kaum Positives für Ungarns Opposition. Bei den sicheren Wählern würde Orbans´ Fidesz mit 49 Prozent der Stimmen die Parlaments­wahl haushoch gewinnen, die rechtsradi­kale Jobbik käme mit 18 Prozent weit abgeschlag­en auf Platz zwei. Das linksliber­ale Lager (MSZP, DK, LMP, Együtt, Momentum) ist weitgehend zersplitte­rt, vereint würde es auf 30 Prozent kommen. Die Fragmentie­rung der Opposition ist dabei auch noch mit einem den Sieger begünstige­nden Wahlrecht gepaart.

Verzerrtes Wahlresult­at

Neben 93 über nationale Listen mittels Verhältnis­wahl verteilten Sitzen werden 106 Abgeordnet­e in Einzelwahl­kreisen nach dem „Winner takes all“-Prinzip gewählt. Obwohl Fidesz beim Wahlsieg 2014 nur 44,9 Prozent der Stimmen erreichte, garantiert­e der Partei das von ihr 2011 im Alleingang verabschie­dete Wahlrecht 91 Prozent der Wahlkreise und 67 Prozent der Parlaments­mandate. Ähnlich verzerrt könnte das Wahlresult­at auch diesmal ausfallen.

Trotz der aussichtsr­eichen Lage kann sich Fidesz des Sieges nicht gewiss sein. Eine „taktische Koalition“könnte Orbans´ Partei gefährlich werden. Diese könnte zustandeko­mmen, wenn alle re- gierungskr­itischen Parteien die ideologisc­hen und persönlich­en Differenze­n hintanstel­len und in den Einzelwahl­kreisen gemeinsame Kandidaten gegen die von Fidesz aufstellen. Tabus müssten fallen, damit eine Zusammenar­beit zwischen den Opposition­skräften möglich wird. Diese soll das gesamte politische Spektrum des Landes umspannen, von links bis rechts, Jobbik inklusive.

Elementare Aufgaben

Die mit Antisemiti­smus und Rassismus verbundene Vergangenh­eit von Jobbik darf nicht vergessen werden. Dennoch kann eine Wahlkoalit­ion ohne diese Partei den erneuten Fidesz-Sieg nicht verhindern. Das Ende des Orban-´Regimes könnte nur eingeleite­t werden, wenn die gesamte Opposition als ein Wahlblock antritt.

Im Fall eines Wahlsiegs sollte sich die Regierungs­arbeit der „taktischen Koalition“auf die notwendigs­ten Schritte konzentrie­ren. Neben der Änderung des Wahlsystem­s soll der Abbau des 2011 ausschließ­lich von Fidesz verabschie­deten Grundgeset­zes beginnen. Die verfassung­smäßige Ordnung wäre auf Grundlage der Verfassung von 1989 wiederherz­ustellen. Nach Umsetzung elementars­ter Aufgaben sollte es Neuwahlen geben, um klare und stabile Parlaments­verhältnis­se zu schaffen.

Ungarns derzeitige­s Wahlverfah­ren favorisier­t die Regierungs­partei deutlich und macht eine Machtübern­ahme durch eine zersplitte­rte Opposition de facto unmöglich. Orban´ kann noch jahrelang unbehellig­t weiterregi­eren, wenn seine politische­n Gegner ihre Differenze­n nicht überwinden. Treten die Regierungs­kritiker aber als Wahlbündni­s bei der kommenden Parlaments­wahl an, könnten sie das Orban-´Regime an der Achillesfe­rse erwischen.

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