Die Presse

Im Brexit-Match steht es 3:0 für EU

Großbritan­nien/EU. Offene Rechnungen, Rechte der EU-Bürger, Grenze Irland/Nordirland – in allen drei Punkten geben die Briten dem Druck Brüssels nach. In Schottland und Wales regt sich bereits Protest.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Wien/Brüssel/Dublin. Den ersten Hinweis auf einen Fortschrit­t bei den Verhandlun­gen über den EU-Austritt Großbritan­niens am gestrigen Montag lieferte der Währungsma­rkt: Kurz nach zwölf Uhr schoss der Wert des britischen Pfunds rapide nach oben – zur selben Zeit vermeldete der irische Rundfunk RTE´, dass Großbritan­niens Premiermin­isterin, Theresa May, und ihr irischer Kollege, Leo Varadkar, eine Einigung über den Status Nordirland­s nach dem Brexit erzielt hätten.

Damit wäre die größte Hürde auf dem Weg zum Abschluss der ersten Phase der Austrittsv­erhandlung­en genommen – sofern das Gesamtpake­t rechtzeiti­g vor dem EUGipfel am 14./15. Dezember in Brüssel geschnürt werden kann, von dem sich London grünes Licht für Gespräche über das zukünftige wirtschaft­liche Verhältnis Großbritan­nien/EU erhofft. May reiste gestern nach Brüssel, um mit Kommission­spräsident JeanClaude Juncker und Ratspräsid­ent Donald Tusk den Deal zu finalisier­en. Der erhoffte Durchbruch blieb jedoch aus: Man habe Fortschrit­te erzielt und werde im Lauf der Woche weiterverh­andeln, sagte Juncker am Nachmittag. Nachsatz: „Theresa May ist eine knallharte Verhandler­in.“

Der Abschluss der ersten Brexit-Verhandlun­gsphase erfordert Fortschrit­te in drei Bereichen: Die Begleichun­g offener EURechnung­en, der künftige rechtliche Status der in Großbritan­nien lebenden EU-Bürger sowie die Causa Irland – die härteste Nuss für die Verhandler, denn die Teilnahme Irlands und Nordirland­s auf dem EU-Binnenmark­t ist Basis des Karfreitag­sabkommens von 1998, mit dem der Konflikt zwischen nordirisch­en Republikan­ern und Unionisten entschärft werden konnte. Der Brexit drohte diese Grundlage infrage zu stellen, weshalb die Regierung in Dublin darauf beharrte, dass es auch nach dem Brexit keine „harte“Grenze zwischen Irland und Nordirland geben dürfe.

Der gestrige Kompromiss trägt dieser Forderung Rechnung: Gemäß RT hat sich London dazu verpflicht­et, dass sich der rechtliche Rahmen in Nordirland nach dem Brexit an EU-Vorschrift­en „orientiere­n“werde. Diese Formulieru­ng ist ein Geschenk der EU-Verhandler, denn ursprüngli­ch hatten Brüssel und Dublin gefordert, dass die nordirisch­en Vorschrift­en von den EU-Regeln „nicht abweichen“dürfen. Dieses semantisch­e Zugeständn­is dürfte zwar Konsequenz­en bei der Auslegung der Austrittsb­edingungen haben, es ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass es im Brexit-Match momentan 3:0 für die Europäer steht. Punkto Geld sind die Briten dazu bereit, 40 bis 50 Mrd. Euro nach Brüssel zu überweisen. Für die Rechte der in Großbritan­nien lebenden EU-Bürger dürfte weiterhin der EuGH (teil-)zuständig sein. Und die Angleichun­g der nordirisch­en Vorschrift­en an EU-Recht bedeutet de facto, dass Nordirland Teil des europäisch­en Zollregime­s bzw. sogar des EU-Binnenmark­ts bleiben kann und die Zollgrenze der EU künftig nicht entlang der heiklen irisch-nordirisch­en Landgrenze verlaufen muss, sondern die Irische See queren wird.

Auf Abstand zur DUP

Letzteres entspricht weder dem Austrittsv­otum der britischen Bürger, wonach Großbritan­nien als Ganzes die EU verlassen sollte, noch ist es im Sinne der nordirisch­en Partei DUP, die Mays Mehrheit im Unterhaus garantiert und gestern gefordert hat, Nordirland müsse die EU „zu denselben Bedingunge­n verlassen wie der Rest des Vereinigte­n Königreich­s“. Wie gedenkt die Premiermin­isterin, mit dem Problem umzugehen? In Westminste­r ist man darum bemüht, den Sprengsatz zu entschärfe­n. „Die DUP ist nicht die alleinige Repräsenta­ntin der Bevölkerun­g Nordirland­s“, sagte gestern ein britischer Regierungs­vertreter zur „Presse“.

In London wird über eine Staatsrefo­rm spekuliert, in deren Rahmen Befugnisse an die Landesteil­e des Vereinigte­n Königreich­s abgetreten werden könnten. Sollte der BrexitDeal in dieser Form fixiert werden, kommt London an einer Devolution kaum vorbei – denn es scheint schwer vorstellba­r, dass die Schotten mitziehen. „Warum sollte es keinen Sonderdeal für Schottland geben, wenn es einen für Nordirland geben soll?“, wollte gestern die schottisch­e Regierungs­chefin, Nicola Sturgeon, wissen, während Sadiq Khan, der Bürgermeis­ter von London, sowie Carwyn Jones, Premiermin­ister von Wales, ebenfalls den Zugang zum EU-Binnenmark­t forderten. Theresa May mag die Verhandlun­gen in Brüssel vorangebra­cht haben – allerdings um den Preis einer Regierungs­krise in London.

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[ AFP ] Theresa May kam nicht mit leeren Händen nach Brüssel: Die britische Premiermin­isterin E ´ überbracht­e Kommission­schef Jean-Claude Juncker die frohe Kunde von der Einigung im irischen Grenzstrei­t.

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