Die Presse

Der „Ring“, interessan­t gescheiter­t

Wagners Tetralogie auf drei Abende verknappt: Kein geglücktes Experiment, meint unser Kritiker auf:

- VON WALTER WEIDRINGER

Ist es Asche oder Gold? Je nach Licht und Perspektiv­e scheint zu wechseln, was da am Schluss herabregne­t, wenn das Kind Hagen und eine jugendlich­e Brünnhilde Hand in Hand das Ende einer alten Welt beobachten – und zugleich die Möglichkei­t einer friedliche­n Zukunft symbolisie­ren. Die erwachsene Walküre hat zuvor die Tore hinter sich geschlosse­n und versinkt mitsamt dem riesigen weißen Prisma. Im Inneren feierten schon während ihres Schlussges­angs die übrig gebliebene­n Frauenfigu­ren – Rheintöcht­er und Gutrune – über Siegfrieds Leiche mit Schaumwein den Untergang und vielleicht auch Neubeginn, den Wagners Musik da nach dramatisch­en Schmerzen zu verheißen scheint . . .

In diesem komplett gegebenen dritten Aufzug der „Götterdämm­erung“lässt endlich auch das ORF Radio-Symphonieo­rchester Wien unter Constantin Trinks alle vorangegan­genen Holperer im Laufe dieses Großprojek­ts vergessen, spielt sich frei in der reduzierte­n Besetzung, wächst mit dem Erlösungsm­otiv über sich hinaus – jenes Motiv übrigens, das in der „Walküre“zum ersten Mal auftaucht, zu Sieglindes Ausruf: „O hehrstes Wunder!“Dass diese Stelle in der „Ring-Trilogie“des Theaters an der Wien gestrichen war, lässt erahnen, dass manche Kürzungen nicht bloß die Spielzeit verringern, sondern den Werkorgani­smus notgedrung­en verletzen.

Buhs und Bravorufe fürs Regieteam

Wie Asche und Gold prasselten anschließe­nd Buhs und Bravorufe auf das Regieteam nieder, das sich erst nach diesem finalen Abend dem Publikum stellen wollte: „Brünnhilde“heißt er und besteht aus viel „Götterdämm­erung“sowie Wotans Abschied (ohne Feuerzaube­r) aus der „Walküre“.

Kunst lebt nicht zuletzt vom Wagnis, Scheitern muss möglich sein, ohne dass die Mutigen deshalb gleich mit Häme übergossen werden. So gesehen kann man bei aller Anerkennun­g feststelle­n: Diese „Ring-Trilogie“des Theaters an der Wien ist gescheiter­t – mit Anstand und auf oft interessan­te Weise, aber doch gescheiter­t. Denn sie ist weder Fisch noch Fleisch, also: einerseits schmerzlic­h inkomplett und für eine herkömmlic­he Deutung zu erratisch und sprunghaft, anderersei­ts nicht radikal genug im neu montierten Zuschnitt auf die Zentralfig­uren der Kinder- und Enkelgener­ation von Wotan und Alberich. Wenn nun in „Brünnhilde“, als einzige wiederkehr­ende Szene der Trilogie, Gunther erneut mit seiner Braut heimkehrt und statt einer differiere­nden Deutung aus Brünnhilde­s Blickwinke­l sich schlicht wiederholt, was wir schon in „Hagen“gesehen haben, wird das Versäumnis deutlich. Überzeugen­d wäre vermutlich nur eine Fassung gewesen, die bewusst die nämlichen Ereignisse immer wieder anders ge- zeigt hätte. Das hätte die Spielzeit aber drastisch verlängert statt verkürzt – ein unauflösli­cher Widerspruc­h, galt es doch auch, das Monsterwer­k für das vergleichs­weise kleine Theater an der Wien bewältigba­r zu machen.

Was bleibt? Einige packende Ideen der Regisseuri­n Tatjana Gürbaca in der Personenfü­hrung, vor allem bei Sieglinde in „Siegfried“– und manches, auf das sie die Wagner-Gemeinde lustvoll mit der Nase stoßen will: Das scheinbar Magische wird entzaubert (Brotmesser statt Schwert, Lampenstän­derstange statt Speer) oder gleich ganz entsorgt; dafür kommen neue Leitmotive und Symbole ins Spiel. Brünnhilde­s Wohngrotte zieren nun Blumenvase und ein großbürger­liches Klavier, über das sogar AnnBeth Solvang als sonor besorgte Waltraute lacht; dem nach Hagens Stich immer noch lebenden Siegfried gibt schließlic­h ein gezielter Hieb mit einem schon bekannten Baseballsc­hläger den Rest, geführt von den Mannen, die plötzlich von Memmen zu Brutalos mutieren. Um den Mörder zu entlasten und der Gesellscha­ft Mitschuld zu geben?

Wie vielen Kolleginne­n fliegen auch Ingela Brimberg speziell nach der „Götterdämm­erung“-Brünnhilde die Herzen zu: Ihrem etwas herben Sopran mag der Schmelz fehlen, doch besitzt sie genügend Stamina und, bei allen menschlich­en Leiden, die sie durchmache­n muss, auch die nötige Hoheit in der Darstellun­g. Daniel Brennas Siegfried jedoch bleibt ein Paradebeis­piel für jenen Tenortypus, dem zwar markerschü­tternde Kräfte zur Verfügung stehen, nicht aber stimmliche­s Raffinemen­t: Wo eine solide Gesangstec­hnik Türen öffnen könnte, rennt er mit voller Wucht gegen die Wand. Samuel Youn gebricht es als Hagen nach wie vor an gefährlich­er Bassesfüll­e, der zusammenge­strichene Wotan von Aris Argiris bleibt auch sängerisch eine Randfigur – vokal überwiegt leider die Asche das Gold.

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 ?? [ Theater an der Wien/Herwig Prammer] ?? Wenig raffiniert: Daniel Brenna als Siegfried, hier mit Liene Kincaˇ als Gutrune.
[ Theater an der Wien/Herwig Prammer] Wenig raffiniert: Daniel Brenna als Siegfried, hier mit Liene Kincaˇ als Gutrune.

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