Die Presse

Kann man die Gazprom noch retten?

Der weltweit größte Gaskonzern ist in Bedrängnis wie nie zuvor.

- VON EDUARD STEINER

Wien/Moskau. Orden hat Russland schon immer gern verliehen. Und selbst Geschäftsl­eute, die im Unterschie­d zu Politikern weniger abbekamen, haben ab und zu einen solchen erhalten. Rex Tillerson etwa, jetzt US-Außenminis­ter und zuvor Chef des Ölkonzerns Exxon, wurde vor Jahren in Moskau mit dem Orden der Freundscha­ft ausgezeich­net. Und doch ist das alles nichts im Vergleich zu dem, womit der Kreml Mitte November den Chef des Gasriesen Gazprom, Alexej Miller, auszeichne­te. Den Orden für Verdienste um die Heimat und zwar erster Stufe hat vor ihm noch kein Geschäftsm­ann bekommen.

Man muss das als Wertschätz­ung für Millers Leistung lesen, ist Gazprom doch der größte Steuerzahl­er des Landes. Man kann es freilich auch als demonstrat­ive Schützenhi­lfe für ihn und seinen Konzern, den weltweit größten, deuten. So unantast- und unverwundb­ar ist dieser nämlich längst nicht mehr. Und daran ist nicht nur der Westen, Gazproms Cashcow, schuld, wie das oft kolportier­t wird.

Die einheimisc­hen Feinde

In Russland selbst weht dem Riesen, der auf 17 Prozent der globalen Gasvorkomm­en sitzt und mit seinen 467.400 Mitarbeite­rn (Stand 2016) über ein Pipelinene­tz von 171.200 Kilometern 30 Länder mit Gas versorgt, ein immer rauerer Wind entgegen. Gazprom selbst hat seine Investoren davor gewarnt. Im jüngsten Prospekt zur Emission einer Firmenanle­ihe hat der Konzern nicht nur abermals darauf hingewiese­n, dass es keine Gewissheit mehr darüber gibt, ob man das Monopol zum Export von Gas über den Pipelinewe­g bewahren könne. Zum ersten Mal werden die Investoren auch auf die Möglichkei­t aufmerksam gemacht, dass der Koloss umorganisi­ert, sprich in Einzelteil­e zerschlage­n wird.

Gewiss, schnell wird es dazu nicht kommen. Die Regierung würde eine Aufteilung in seine Geschäftsb­ereiche derzeit nicht prüfen, erklärte Energiemin­ister Alexandr Nowak umgehend. Auch am Monopol für den Export via Pipelines wolle man nicht rütteln.

Die Verbündete­n der EU

Die Regierung vielleicht nicht. Aber Igor Setschin, der Chef des staatliche­n Ölgiganten Rosneft. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade Setschin, der in Russland „Darth Vader“genannt und von allen ob seiner Übermacht gefürchtet wird, Gazprom vor sich hertreibt. Und es ist eine Ironie der Geschichte, dass Setschin hierbei nolens volens mit der EU an einem Strang zieht. Sie nämlich verfolgt das Ziel, die geplante zweite Ostseepipe­line, Nord Stream 2, dem Dritten EU-Energiepak­et zu unterwerfe­n, das eine Trennung von Pipelinebe­treiber und Gasliefera­nten vorsieht und daher auch anderen Lieferante­n Zugang zur Gazprom-Pipeline ermögliche­n würde. Härtere Regeln seitens der EU könnten Putin ver- anlassen, das Exportmono­pol von Gazprom zu kippen, meint Michail Kortschemk­in von East European Gas Analysis gegenüber der russischen Zeitung „Wedomosti“.

Aber selbst wenn es dazu käme, woran Beobachter zweifeln, so nimmt der Widerstand gegen Nord Stream 2 doch nur zu. In der Vorwoche hat Dänemark ein Gesetz verabschie­det, mit dem das Verlegen von Stromkabel­n und Rohren auf seinem Hoheitsgeb­iet nun sogar aus außen- und sicherheit­spolitisch­en Gründen verboten werden kann. Bislang hatten vorwiegend Polen und die baltischen Staaten gegen die Pipeline opponiert. Und Brüssel will zum Ärger Deutschlan­ds und der europäisch­en Gazprom-Projektpar­tner (OMV, Win- tershall, Shell . . .) die Gesetze anlassbezo­gen ändern. Es erhielt im Sommer Schützenhi­lfe seitens der USA, die mit ihrem Sanktionsg­esetz gegen Nord Stream 2 zielen und involviert­e Unternehme­n abstrafen wollen. Die USA und Brüssel argumentie­ren damit, dass sie Europas Abhängigke­it von russischem Gas verringern möchten, obwohl zu diesem Zweck in der EU schon Unmengen an Flüssiggas-Terminals gebaut wurden, die aber kaum genutzt werden, weil das Gas in Russland eben billiger zu haben ist.

Russland auf dem kürzeren Ast

Logisch stringent wies Michail Krutichin, einer von Russlands führenden Energieexp­erten, gestern darauf hin, dass Deutschlan­d und Eu- ropa durch die alternativ­en Möglichkei­ten Russland weitaus mehr in der Hand haben als umgekehrt, weil Russland zu mehr als 80 Prozent vom Export nach Europa abhängt: „Da ist noch offen, wer wen an den Eiern festhält“, schrieb Krutichin unverblümt.

Bei der Gazprom-Tochter Nord Stream 2 bleibt man optimistis­ch, „den Bau Ende 2019 zu vollenden“, wie Finanzvors­tand Paul Corcoran am Wochenende in Brüssel sagte. Bei Gazprom selbst geht man indes auf Nummer sicher und warnt im aktuellen Finanzberi­cht zum dritten Quartal daher die Investoren vor entspreche­nd neuen Risken.

Mit Schulden zu Alternativ­en

Und man investiert mit Nachdruck in neue Pipelines in die Türkei und nach China, wohin der Export Ende 2019 starten wird. Das verschling­t Milliarden, obwohl man in China weitaus weniger verdienen wird als auf dem lukrativen Markt Europa, wohin heuer angesichts des niedrigen Preises das Rekordvolu­men von 192 Mrd. Kubikmeter (das 24-Fache des österreich­ischen Jahresverb­rauchs) exportiert wird. Und das treibt die Schulden in die Höhe. In den ersten neun Monaten des Jahres sind sie um 37 Prozent auf 2,6 Bio. Rubel (37,1 Mrd. Euro) angewachse­n. Hat die Schuldenla­st 2015 noch 0,9-Fache des Ergebnisse­s vor Steuern und Abschreibu­ngen (Ebitda) betragen, so ist es jetzt das 1,7-Fache. Darüber sprach Putin bei der Ordensverl­eihung an Miller vermutlich nicht.

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[ EPA/Shipenkov ] Alles im Fluss? Messstatio­n an der Gazprom-Exportpipe­line nach Europa.

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