Kann man die Gazprom noch retten?
Der weltweit größte Gaskonzern ist in Bedrängnis wie nie zuvor.
Wien/Moskau. Orden hat Russland schon immer gern verliehen. Und selbst Geschäftsleute, die im Unterschied zu Politikern weniger abbekamen, haben ab und zu einen solchen erhalten. Rex Tillerson etwa, jetzt US-Außenminister und zuvor Chef des Ölkonzerns Exxon, wurde vor Jahren in Moskau mit dem Orden der Freundschaft ausgezeichnet. Und doch ist das alles nichts im Vergleich zu dem, womit der Kreml Mitte November den Chef des Gasriesen Gazprom, Alexej Miller, auszeichnete. Den Orden für Verdienste um die Heimat und zwar erster Stufe hat vor ihm noch kein Geschäftsmann bekommen.
Man muss das als Wertschätzung für Millers Leistung lesen, ist Gazprom doch der größte Steuerzahler des Landes. Man kann es freilich auch als demonstrative Schützenhilfe für ihn und seinen Konzern, den weltweit größten, deuten. So unantast- und unverwundbar ist dieser nämlich längst nicht mehr. Und daran ist nicht nur der Westen, Gazproms Cashcow, schuld, wie das oft kolportiert wird.
Die einheimischen Feinde
In Russland selbst weht dem Riesen, der auf 17 Prozent der globalen Gasvorkommen sitzt und mit seinen 467.400 Mitarbeitern (Stand 2016) über ein Pipelinenetz von 171.200 Kilometern 30 Länder mit Gas versorgt, ein immer rauerer Wind entgegen. Gazprom selbst hat seine Investoren davor gewarnt. Im jüngsten Prospekt zur Emission einer Firmenanleihe hat der Konzern nicht nur abermals darauf hingewiesen, dass es keine Gewissheit mehr darüber gibt, ob man das Monopol zum Export von Gas über den Pipelineweg bewahren könne. Zum ersten Mal werden die Investoren auch auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, dass der Koloss umorganisiert, sprich in Einzelteile zerschlagen wird.
Gewiss, schnell wird es dazu nicht kommen. Die Regierung würde eine Aufteilung in seine Geschäftsbereiche derzeit nicht prüfen, erklärte Energieminister Alexandr Nowak umgehend. Auch am Monopol für den Export via Pipelines wolle man nicht rütteln.
Die Verbündeten der EU
Die Regierung vielleicht nicht. Aber Igor Setschin, der Chef des staatlichen Ölgiganten Rosneft. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass gerade Setschin, der in Russland „Darth Vader“genannt und von allen ob seiner Übermacht gefürchtet wird, Gazprom vor sich hertreibt. Und es ist eine Ironie der Geschichte, dass Setschin hierbei nolens volens mit der EU an einem Strang zieht. Sie nämlich verfolgt das Ziel, die geplante zweite Ostseepipeline, Nord Stream 2, dem Dritten EU-Energiepaket zu unterwerfen, das eine Trennung von Pipelinebetreiber und Gaslieferanten vorsieht und daher auch anderen Lieferanten Zugang zur Gazprom-Pipeline ermöglichen würde. Härtere Regeln seitens der EU könnten Putin ver- anlassen, das Exportmonopol von Gazprom zu kippen, meint Michail Kortschemkin von East European Gas Analysis gegenüber der russischen Zeitung „Wedomosti“.
Aber selbst wenn es dazu käme, woran Beobachter zweifeln, so nimmt der Widerstand gegen Nord Stream 2 doch nur zu. In der Vorwoche hat Dänemark ein Gesetz verabschiedet, mit dem das Verlegen von Stromkabeln und Rohren auf seinem Hoheitsgebiet nun sogar aus außen- und sicherheitspolitischen Gründen verboten werden kann. Bislang hatten vorwiegend Polen und die baltischen Staaten gegen die Pipeline opponiert. Und Brüssel will zum Ärger Deutschlands und der europäischen Gazprom-Projektpartner (OMV, Win- tershall, Shell . . .) die Gesetze anlassbezogen ändern. Es erhielt im Sommer Schützenhilfe seitens der USA, die mit ihrem Sanktionsgesetz gegen Nord Stream 2 zielen und involvierte Unternehmen abstrafen wollen. Die USA und Brüssel argumentieren damit, dass sie Europas Abhängigkeit von russischem Gas verringern möchten, obwohl zu diesem Zweck in der EU schon Unmengen an Flüssiggas-Terminals gebaut wurden, die aber kaum genutzt werden, weil das Gas in Russland eben billiger zu haben ist.
Russland auf dem kürzeren Ast
Logisch stringent wies Michail Krutichin, einer von Russlands führenden Energieexperten, gestern darauf hin, dass Deutschland und Eu- ropa durch die alternativen Möglichkeiten Russland weitaus mehr in der Hand haben als umgekehrt, weil Russland zu mehr als 80 Prozent vom Export nach Europa abhängt: „Da ist noch offen, wer wen an den Eiern festhält“, schrieb Krutichin unverblümt.
Bei der Gazprom-Tochter Nord Stream 2 bleibt man optimistisch, „den Bau Ende 2019 zu vollenden“, wie Finanzvorstand Paul Corcoran am Wochenende in Brüssel sagte. Bei Gazprom selbst geht man indes auf Nummer sicher und warnt im aktuellen Finanzbericht zum dritten Quartal daher die Investoren vor entsprechend neuen Risken.
Mit Schulden zu Alternativen
Und man investiert mit Nachdruck in neue Pipelines in die Türkei und nach China, wohin der Export Ende 2019 starten wird. Das verschlingt Milliarden, obwohl man in China weitaus weniger verdienen wird als auf dem lukrativen Markt Europa, wohin heuer angesichts des niedrigen Preises das Rekordvolumen von 192 Mrd. Kubikmeter (das 24-Fache des österreichischen Jahresverbrauchs) exportiert wird. Und das treibt die Schulden in die Höhe. In den ersten neun Monaten des Jahres sind sie um 37 Prozent auf 2,6 Bio. Rubel (37,1 Mrd. Euro) angewachsen. Hat die Schuldenlast 2015 noch 0,9-Fache des Ergebnisses vor Steuern und Abschreibungen (Ebitda) betragen, so ist es jetzt das 1,7-Fache. Darüber sprach Putin bei der Ordensverleihung an Miller vermutlich nicht.