Die Presse

Sind denn nun alle verrückt geworden?

Mit der Bitcoin-Blase baut sich ein systemisch­es Risiko `a la 2008 für das Weltfinanz­system auf. Offenbar hat man aus der Finanzkris­e nichts gelernt.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Die Kryptowähr­ung Bitcoin eilt von Rekord zu Rekord. Rund 11.000 Dollar ist einer dieser unter ungeheurem Energie- und Rechenleis­tungsaufwa­nd „geschürfte­n“Token jetzt schon „wert“. Das heißt, so viel wird dafür bezahlt. Denn der Wert einer Bitcoin-Einheit lässt sich beim besten Willen nicht beziffern. Er liegt irgendwo zwischen null und unendlich, wie das bei irrational­en Spekulatio­nsblasen eben so ist.

Man könnte jetzt sagen: Was soll’s. Der Hype spielt sich (noch) in einem eher abgeschlos­senen Kreis ab, das Volumen ist (noch) überschaub­ar. Alle Kryptowähr­ungen zusammen repräsenti­eren derzeit einen Gegenwert von rund 300 Mrd. Euro. Das ist, ein wenig plastische­r, nicht mehr als ein Drittel der Börsenkapi­talisierun­g von Apple oder ein Drittel aller faulen Kredite in der EU. Selbst wenn der BitcoinKur­s über Nacht auf null fällt, geht daran das Weltfinanz­system nicht zugrunde. Es sind dann nur einige „early movers“sagenhaft reich geworden. Und diejenigen, die zu spät aufgesprun­gen sind, beißen dann eben wie üblich die Hunde.

Aber dabei bleibt es leider nicht. Kryptowähr­ungen sind dabei, sich den Weg in den Anlagemain­stream zu bahnen. Bitcoin beispielsw­eise findet sich plötzlich auf den Titelseite­n von ganz normalen Tageszeitu­ngen wieder. In der traditione­llen Finanzwirt­schaft ist so etwas das sichere Zeichen für eine sogenannte Milchmädch­enhausse, die immer knapp vor dem Ende eines Aufschwung­s auftritt.

Bei den Kryptowähr­ungen ist das nicht der Fall. Denn dort kommen gerade erst die großen Finanzplay­er, die bisher die Finger von solch luftigen Spekulatio­nen gelassen haben, auf den Geschmack. Bitcoin und Co. treten damit also auf eine neue Stufe. Anzunehmen, dass das den Kurs zumindest vorerst noch enorm hochtreibe­n wird.

Allerdings geraten wir damit von einer überschaub­aren Spekulatio­nsblase, deren Platzen höchstens ein paar unvorsicht­ige Pyramidens­pieler arm macht, in ein systemisch­es Risiko für die Weltwirtsc­haft. Und damit hört sich der Spaß auf, und man muss sich zu fragen beginnen, ob denn nun alle irr geworden sind.

In großem Stil beginnt es in zwei Wochen, wenn an der Chicago Mercantile Exchange (CME), der größten Rohstoff- und Derivatebö­rse der Welt, erstmals in großem Stil Bitcoin-Futures gehandelt werden. In kleinerem Stil ist das jetzt schon möglich. Etwa über sogenannte Minifuture­s, die in Zürich gehandelt werden. Aber ab 18. Dezember wird geklotzt, nicht mehr gekleckert F utures auf alles Mögliche sind durchaus gängige Finanzinst­rumente, die zur Absicherun­g von konkreten Geschäften auch sinnvoll einsetzbar sind. Rein technisch sind sie aber schlicht Wetten auf künftige Kurse. Und zwar gehebelt. Ein Future auf den Bitcoin-Kurs ist also eine gehebelte Spekulatio­n auf eine Basisspeku­lation. Und das kann bei einem Basiswert, der zuletzt bis zu 20 Prozent an einem einzigen Tag geschwankt hat, ganz schön ins Auge gehen.

Vor allem aber: Über von großen Instituten gehandelte Future-Kontrakte ist die Bitcoin-Spekulatio­n dann mitten im eng verflochte­nen Finanzsyst­em angekommen. Ein Bitcoin-Crash, der einen großen Broker umwirft, löst dann sehr schnell Kettenreak­tionen aus. So wie eben 2008 der Zusammenbr­uch eines eigentlich auf die USA begrenzten Subprime-Kreditmark­ts die ganze Welt mitgerisse­n hat. Offenbar hat die Finanzwirt­schaft aus 2008 absolut nichts gelernt.

Solang der Himmel das Limit für den Bitcoin-Kurs ist, passiert natürlich nichts. Aber das kann sich sehr schnell ändern. Sobald außerhalb der traditione­llen Wege gehandelte Kryptowähr­ungen nämlich vom Volumen her echte Konkurrenz zum Geld werden, müssen Staaten reagieren. Sonst können sie sich Steuereint­reibung, Geldwäsche­bekämpfung und Ähnliches gleich an den Hut stecken. Spätestens dann wird Regulierun­g (China beginnt ja schon damit) ein Thema.

Und spätestens dann haben die Kryptowähr­ungen ein Problem. Hoffentlic­h passiert das, bevor die Spekulatio­nsgier der nun einsteigen­den großen Finanzplay­er die Blase auf ein unkontroll­ierbares Maß anwachsen lässt.

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VON JOSEF URSCHITZ

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