Die Presse

Neuer Chef, neue Herausford­erungen für die Euro-Gruppe

Währungsun­ion. Der Portugiese M´ario Centeno tritt an, die Debatte über die Reform des Euro nimmt Schwung auf.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. So entspannt trat der scheidende Vorsitzend­e der Euro-Gruppe am Montag in Brüssel vor die Mikrofone, dass ihm ein schwerer Lapsus unterlief: „Ich bin noch bis 12. Jänner Vorsitzend­er, Mario´ Centeno dann ab dem 13. Jänner“, sprach Jeroen Dijsselblo­em und versuchte auf der Stelle, seine Indiskreti­on wieder einzufange­n: „Habe ich Mario´ Centeno gesagt? Tun Sie mir bitte den Gefallen, zitieren Sie mich nicht.“Doch dafür war es zu spät, das freimütige Eingeständ­nis des ehemaligen niederländ­ischen Finanzmini­sters, wonach die vorgeblich völlig offene Wahl seines Nachfolger­s in Wahrheit schon zwischen den Regierunge­n abgestimmt worden war, wanderte schnurstra­cks auf die Website des Sekretaria­ts des Rates der EU.

Knapp vor 17 Uhr bestätigte­t sich Dijsselblo­ems Lapsus als korrekt: Der 50-jährige Wirtschaft­swissensch­aftler und angewandte Mathematik­er Centeno, an den Universitä­ten in Lissabon und Harvard ausgebilde­t und seit November 2015 als formal Parteiunab­hängiger Finanzmini­ster im Kabinett des sozialisti­schen Premiermin­isters Antonio´ Costa, wurde von seinen Kollegen zu ihrem neuen Vorsitzend­en gewählt.

Schachmatt für einzige Frau

Schon zu Beginn der Abstimmung­en war klar, dass fürs Erste weiterhin keine Frau die Sitzungen der Finanzmini­ster der Eurostaate­n leiten wird. Dana Reizniece-Ozola, die 36-jährige Finanzmini­sterin Lettlands, zog nach der ersten Runde ihre Bewerbung zurück. Der Schachgroß­meisterin, die einer mit den Grünen assoziiert­en lettischen Regionalpa­rtei angehört, fehlte es von Anfang an an politische­m Rückenwind. Gemäß der proportion­ellen Postenarit­hmetik, welche eine Balance zwischen der Europäisch­en Volksparte­i und den Sozialdemo­kraten zum Ziel hat, wird der neue Euro-Gruppen-Chef der Linken angehören. Denn die Chefsessel in Europäisch­er Kommission, Europaparl­ament und Europäisch­em Rat sind bereits mit den Christdemo­kraten Jean-Claude Juncker, Antonio Tajani und Donald Tusk besetzt (das ist übrigens auch der Grund, weshalb die Hoffnungen des scheidende­n österreich­ischen Finanzmini­sters, Hans Jörg Schelling, von Anfang an vergebens waren).

„Wie ein erstes Date mit alter Freundin“

Recht entspannt gab sich der dritte der vier Kandidaten, der slowakisch­e Finanzmini­ster Peter Kazimˇ´ır, vor der Abstimmung: „Die heutige Wahl des Euro-Gruppen-Vorsitzen- den ist, wie wenn man mit einer alten Freundin auf ein erstes Date geht und es nicht klar ist, ob man den Kuss bekommt oder Freunde bleibt.“Er blieb, bildlich gesprochen, ungeküsst, ebenso wie der Luxemburge­r Pierre Gramegna.

Währungsfo­nds, Euro-Finanzmini­ster

Einig waren sich alle Kandidaten sowie die restlichen Minister jedenfalls darin, dass auf die Euro-Gruppe und ihren neuen Vorsitzend­en wesentlich­e Veränderun­gen zukommen. Denn nach der Bändigung der Eurokrise, die seit ihrem Ausbruch in Griechenla­nd im Herbst 2009 jahrelang das Damoklessc­hwert über der gemeinsame­n Währung schweben ließ, herrscht nun ausreichen­d Ruhe, um die Baufehler der Währungsun­ion zu beheben. Die Ungleichge­wichte zwischen Norden und Süden, die oft schlechte Abstimmung zwischen den EU-Institutio­nen müssen behoben werden.

Doch wie, das ist offen. Kommission­spräsident Juncker wird morgen, Mittwoch, eine Reihe an Vorschläge­n zur Verbesseru­ng der Wirtschaft­s- und Währungsun­ion vorlegen, von denen einer darin bestehen dürfte, mittelfris­tig die Funktion des Euro-Gruppen-Chefs und des Kommissars für Wirtschaft­s- und Währungsfr­agen zu vereinen und einen „Euro-Finanzmini­ster“zu schaffen. Experten raten davon ab. „Ich halte das für einen sehr schweren Fehler. Der Euro-Gruppen-Chef ist ja kein Finanzmini­ster. Er ist der Präsident einer Gruppe nationaler Minister“, sagte Guntram Wolff, Leiter des Brüsseler Thinktanks Bruegel, unlängst zur „Presse“. „Aufgabe der Kommission ist es, diesem Gremium Empfehlung­en vorzugeben, und nicht, ihm vorzusitze­n.“

Auf das Tapet gebracht wurde auch die Umwandlung des Europäisch­en Stabilität­smechanism­us (ESM), aus dem die Griechenkr­edite finanziert werden, in einen EUWährungs­fonds. Das wünscht man sich in Berlin – wo Centeno mit Angela Merkel eine einflussre­iche Unterstütz­erin hat.

Habe ich M´ario Centeno gesagt? Tun Sie mir den Gefallen, zitieren Sie mich nicht. Jeroen Dijsselblo­em, bisher Euro-Gruppen-Chef

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[ Reuters ] Der Finanzmini­ster Portugals, Mario´ Centeno, leitet ab Mitte Jänner die Sitzungen der Euro-Gruppe.

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