Die Presse

Das lukrative Kriegsgesc­häft im Donbass

Ukraine. Zwischen den Fronten im umkämpften Donbass blüht der Schmuggel mit Kohle, Zigaretten und Lebensmitt­el. Der illegale Handel ist extrem profitabel – und das Interesse an einer Beilegung des Konflikts deshalb entspreche­nd gering.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R

Kiew. Nowoluhans­ke ist ein Dorf am Rande des regierungs­kontrollie­rten Gebiets mit 3800 Einwohnern. Im vergangene­n Sommer waren 90 Einzelhänd­ler in der frontnahen Ansiedlung registrier­t, die mehr als 4000 Tonnen Lebensmitt­el in das Dorf bestellten. Das hätte bedeutet, dass jeder Einwohner mehr als eine Tonne Lebensmitt­el pro Monat konsumiert­e. Doch die Bewohner von Nowoluhans­ke hatten keinen übermensch­lichen Appetit. Das Dorf war eine Schmuggler­hochburg. Die Fracht wurde umgeladen und auf der anderen Seite der Front gewinnbrin­gend verkauft. Schmuggel kennt keine politische Feindschaf­t.

Ein aktueller Bericht warnt vor den Risiken der Kriegsökon­omie in der Ukraine. Der Report der Nichtregie­rungsorgan­isationen Independen­t Defence Anti-Corruption Committee (Nako) und Transparen­cy Internatio­nal Ukraine (TI) spricht von einem „systemisch­en“Charakter des illegalen Handels über die Frontlinie zwischen ukrainisch kontrollie­rtem Gebiet und jenen Territorie­n, die in der Hand der prorussisc­hen Separatist­en liegen.

Eklatante Preisunter­schiede

Offiziell ist der Warenverke­hr seit März 2017 so gut wie verboten. Diese Entscheidu­ng der Regierung in Kiew folgte der „Nationalis­ierung“ukrainisch­er Unternehme­n in den abtrünnige­n Gebieten. Seither gibt es kaum legale Möglichkei­ten, Waren über die etwa 450 Kilometer lange Frontlinie zu transporti­eren. Nur Hilfsliefe­rungen und (in begrenzten Mengen) Güter des persönlich­en Bedarfs dürfen über die offizielle­n Übergänge gebracht werden. In den Separatist­engebieten um die Großstädte Donezk und Luhansk leben laut der UN 2,3 Millionen Menschen. Außer Lebensmitt­eln sind Haushaltst­echnik, Elektronik und Medikament­e aus dem regierungs­kontrollie­rten Gebiet besonders nachgefrag­t.

Befeuert wird die Nachfrage durch eklatante Preisunter­schiede. Während Brot im Durchschni­tt in den abtrünnige­n Gebieten um ein Fünftel billiger ist (Wodka um ein Drittel und Zigaretten um zwei Drittel), sind Fleisch, Wurst, Käse und vor allem Obst und Gemüse erheblich teurer.

Wie der Bericht von Nako und TI anhand vieler Beispiele belegt, bedienen sich die Schmuggler unterschie­dlicher Strategien. In Ab- sprache mit bestochene­n Beamten werden Lieferunge­n an Checkpoint­s durchgesch­leust, Waren werden abseits der offiziell erlaubten Routen unter Absprache der offiziell verfeindet­en Militärs verschoben. Die Händler haben hohe Gewinnmarg­en, Militärs und Zollbeamte schneiden mit. Sogar über die Front im Luhansker Gebiet, die entlang des Flusses Siwerskij Donez verläuft, werden Menschen, Zigaretten, Kohle und Lebensmitt­el geschmugge­lt.

Hochwertig­er Rohstoff

Der Schmuggel durch Einzelpers­onen ist meist aus der Not geboren, schließlic­h hat die Front vorher eng verbundene Dorfgemein­schaften getrennt. In anderen Verdiensth­öhen spielt sich der Handel mit Kohle ab, und zwar aus dem abtrünnige­n Donbass auf regierungs­kontrollie­rtes Gebiet.

Das Donez-Becken ist berühmt für seine Kohlevorrä­te und metallurgi­sche Industrie. Orte wie das Bergarbeit­erstädtche­n Antrazit tragen den begehrten Rohstoff sogar im Namen. Doch seit dem Ausbruch des Krieges im Frühling 2014 liegen viele Gruben im abtrünnige­n Teil des Donbass. Insbesonde­re Vorräte der hochwertig­en Anthrazit-Kohle für die Befeuerung von Heizkraftw­erken befinden sich in den Gebieten, die von den Separatist­en kontrollie­rt werden.

Im Prinzip gelten für das Kohlegesch­äft sowie für metallurgi­sche Produkte ebenso strenge Auflagen. Firmen, die miteinande­r Handel treiben, müssen sich bei den Behörden registrier­en. Lieferunge­n müssen vorher angemeldet wer- den. Im Jahr 2016 wurden auf legalem Weg auf der Schiene mehr als 32 Millionen Tonnen Industriep­rodukte gehandelt, 55 Prozent davon waren Kohleliefe­rungen. Auch über Russland wird die Kohle in die Ukraine gebracht – so etwa wird das Heizkraftw­erk der Stadt Schastja auf Regierungs­seite mit Kohle aus den Separatist­engebieten betrieben. Dass das Kraftwerk immer wieder von dort auch beschossen wird, ändert nichts daran, dass man Geschäfte macht.

Schmuggel über Russland

Laut dem russischen Zoll in der angrenzend­en Region Rostow am Don wurden von Jänner bis Mai 2017 236.568 Tonnen Anthrazitk­ohle von den Separatist­engebieten importiert – und 236.296 Tonnen in die Ukraine exportiert. Das sind nur die offizielle­n Zahlen. Beim Rücktransp­ort werden Medienberi­chten zufolge auch andere Güter „mitgenomme­n“. Die Eisenbahn sei „wegen der großen Güterkapaz­ität und des nicht ausreichen­den Maßes an Kontrolle die Methode mit dem größten illegalen Handelsvol­umen“, heißt es in dem Bericht.

Der Schmuggel ist auch ein Sicherheit­srisiko, stellen die Autoren fest. Nicht nur bilden sich ökonomisch­e Interessen­gruppen, die von einer Verlängeru­ng des Krieges profitiere­n und an einer Entschärfu­ng kein Interesse haben. Auch Angehörige des Militärs würden demoralisi­ert. Als Ausweg führen die Autoren des Berichts eine teilweise Aufhebung der Warenblock­ade an. Dadurch könnten die Abhängigke­it der Separatist­engebiete vom russischen Markt reduziert und das Vertrauen der dortigen Bewohner gewonnen werden.

 ?? [ Reuters ] ?? Die Kumpel von Donezk, im Osten der Ukraine, bauen Kohle auch in Zeiten des Krieges ab.
[ Reuters ] Die Kumpel von Donezk, im Osten der Ukraine, bauen Kohle auch in Zeiten des Krieges ab.

Newspapers in German

Newspapers from Austria