Die Presse

Die SPÖ blickt langsam nach rechts

Analyse. Die Wiener SPÖ hat bisher vom Fischen im grünen Stimmentei­ch ganz gut gelebt. Nur was macht man, wenn es dort nicht mehr viel zu holen gibt?

- VON ULRIKE WEISER UND MARTIN STUHLPFARR­ER

Wien. Einen Politiker zu fragen, auf welche Wähler er abziele, ist ein sinnloses Unterfange­n. Die offizielle Antwort ist stets: „Auf alle.“

Inoffiziel­l wird vor Wahlen natürlich herumgerec­hnet, wo etwas zu holen ist. Die Wiener SPÖ fischte zuletzt erfolgreic­h bei den Grünen. Mit dem Slogan, man sei halt das stärkere Bollwerk gegen die FPÖ, konnte man sowohl bei der WienWahl 2015 als auch heuer bei der Nationalra­tswahl die linken Wähler hinter sich vereinen – und dezent schadenfro­h zu den burgenländ­ischen Kollegen hinüberwin­ken, wo die SPÖ Stimmen verlor. Allerdings hat die Taktik zwei Schönheits­fehler: Einerseits beraubt sich die Rathaus-SPÖ einer Koalitions­variante, wenn sie einen Regierungs­partner so beschädigt wie die Grünen. Anderersei­ts funktionie­rt das Spiel überhaupt nur, solang es bei den Grünen etwas zu holen gibt.

Und danach sieht es nicht aus. Der OGM-Umfrage für den „Kurier“zufolge liegen die zerstritte­nen Grünen in Wien bei sechs Prozent, halb so viel wie 2015. Und da auch die SPÖ um acht Prozentpun­kte auf 32 Prozent gesunken ist, ginge sich – würde aktuell gewählt – eine rot-grüne Koalition nicht mehr aus. Die lang belächelte Wiener ÖVP kommt dagegen auf zwanzig Prozent. Mit der FPÖ (29 Prozent) könnte sie mit 49 Prozent gegen die SPÖ regieren – dank des (noch immer) mehrheitsf­ördernden Wahlrechts über die Grundmanda­te.

Oft gesagt, nie umgesetzt

Natürlich ist die Wien-Wahl 2020 zu weit weg, um eine 500-Telefonint­erviews-Umfrage auf den Wahltag umzulegen. Aber eines ist den potenziell­en Bürgermeis­ternachfol­gern wohl klar. Sie müssen mit dem Ernst machen, was die SPÖ bis jetzt bloß immer wieder angekündig­t hat, nämlich zu versuchen, auch Wähler aus dem eher rechten (Nicht-)Wählerlage­r zu holen. Michael Ludwig gilt schon länger als Exponent dieser Strategie. Als Flächenbez­irkvertret­er weiß er, wie rote Wahlergebn­isse aussehen, wenn es keinen großen, innerstäd- tischen grünen Stimmenpoo­l gibt. Dann punkten wie zuletzt Parteien mit einer harten Migrations­linie (FPÖ, ÖVP, Liste Pilz).

Aber nicht nur Ludwig, auch Andreas Schieder blickt nach rechts – er kritisiert harsch grüne Verkehrspo­litik, fordert eine Wartefrist für neue Mindestsic­herungsbez­ieher. Ob das nur Teil des Werbens um die Stimmen der Flächenbez­irke bei der Wahl zum Parteichef oder auch Teil einer Grundausri­chtung der SPÖ ist, ist offen. Doch egal, ob der Neue Schieder oder Ludwig heißt, es muss ihm ein Kunststück gelingen: Wien als heimeliges gallisches rotes Dorf vor sozial kalter schwarz-blauer Drohkuliss­e inszeniere­n und gleichzeit­ig aber potenziell­en FPÖ/ ÖVP-Wählern Angebote machen.

Die Grünen würden jedenfalls still applaudier­en, würde die SPÖ nicht mehr nur in ihre Richtung blicken. Freilich: Geht man davon aus, dass die SPÖ seismograf­isch bloß auf die geänderte Stimmung reagiert, gibt es kaum Grund zum Klatschen. Denn dann wird es für die Grünen eng. So oder so.

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