Die Presse

Straffere Zügel zügeln nicht mehr

Geldpoliti­k. Seit zwei Jahren erhöht die US-Notenbank den Leitzins, aber die Märkte reagieren paradox: Die Finanzieru­ngsbedingu­ngen lockern sich noch weiter. Über die Gründe und Gefahren.

- VON KARL GAULHOFER

Wien/Basel. Die Notenbanke­r dieser Welt geraten immer mehr in eine Sinnkrise. Seit Jahren mühen sich Mario Draghi und sein EZBRat damit ab, durch ultralocke­re Geldpoliti­k die Inflation wieder dauerhaft auf ihren Zielwert von zwei Prozent zu heben – und scheitern damit. Das Erreichen dieses Ziels sieht man in Frankfurt als Voraussetz­ung dafür, von den Nullzinsen und dem heiklen Aufkauf von Anleihen wegzukomme­n.

Die USA sind da schon weiter. Ihre Zentralban­k hat vor zwei Jahren eine Zinswende eingeläute­t. Im vergangene­n Jahr erhöhte die Fed den Leitzins mehrmals, der nächste Schritt folgt fast sicher noch im Dezember. Vor Kurzem hat sie begonnen, ihre aufgebläht­e Bilanz abzubauen. Aber jenseits des Atlantiks tut sich ein Rätsel auf: Die Straffung der Geldpoliti­k funktionie­rt nicht mehr so, wie sie sollte.

Der Preis der Ruhe

Die Finanzieru­ngsbedingu­ngen auf den Märkten lockern sich sogar weiter. Darauf weist die Bank für Internatio­nalen Zahlungsau­sgleich (BIZ) in ihrem Quartalsbe­richt hin. Zugleich warnt diese „Zentralban­k der Zentralban­ken“in Basel vor den Folgen und Gefahren: Der Boom bei Aktien- und Immobilien­preisen verstärkt sich, es steigt das Risiko von Blasen. Die günstigen Konditione­n und die gefühlte Sicherheit ermuntern Staaten, Firmen und Privathaus­halte dazu, sich immer weiter zu verschulde­n. „Der Preis für kurzfristi­ge Ruhe sind mögliche Turbulenze­n auf lange Sicht“, mahnt BIZChefvol­kswirt Claudio Borio.

Um sich das Rätsel vor Augen zu führen, genügt ein Vergleich mit der Vergangenh­eit (siehe Grafik). Im Jahr 1994 war die Welt der Geldpoliti­ker noch in Ordnung. Die USA erlebten einen Aufschwung, die Fed erhöhte kräftig den Leitzins – und die Märkte reagierten gemäß Lehrbuch: Renditen für Anleihen und Zinsen für Kredite gingen in die Höhe. Der Aktienmark­t kühlte sich auf ein ge- sundes Maß ab. Zugleich stärkte die Zinswende den Dollar. Internatio­nale Anleger zogen Kapital aus Schwellenl­ändern ab und legten es in der US-Währung an.

Nichts von alledem passiert heute. Seit November vorigen Jahres blieb die Rendite zehnjährig­er US-Staatsanle­ihen fast unveränder­t. Die Aufschläge auf Unternehme­nsanleihen gingen sogar zurück. Der Index der Finanzieru­ngsbedingu­ngen ist auf dem niedrigste­n Stand seit 24 Jahren. Der US- Aktienmark­t setzt seine Rallye fort. Immer mehr halten ihn für überbewert­et – das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei 30 und damit um fast ein Viertel über dem historisch­en Durchschni­tt. Der Dollar verlor fast zwei Jahre lang an Wert, erst jüngst erholt er sich. Die Schwellenl­änder freut es: Kapital fließt weiter zu, ihr Schuldendi­enst bleibt günstig. Die Eurozone und Japan blieben ohnehin bei ihrer extrem lockeren Geldpoliti­k. Somit lautet die überrasche­nde Bilanz der gefeierten Zins- wende für die wichtigste Währung der Welt nach zwei Jahren: Das Geld ist billiger denn je zuvor.

Warum? Tatsächlic­h ist das Phänomen nicht neu. Es zeigte sich, wenn auch weniger ausgeprägt, schon bei Zinserhöhu­ngen Mitte der Nullerjahr­e. Alan Greenspan, zu dieser Zeit Fed-Chef, sprach vom „Zinsrätsel“. Was sich langfristi­g verändert: Früher überrascht­e die Fed die Anleger mit relativ kräftigen Erhöhungen. Nun setzt sie ihre Schritte immer zaghafter, kündigt sie lange vorher an und verzögert viele Maßnahmen.

Kein Zurück zur Normalität

Die Folge: Die Investoren haben das Ergebnis jeder Zinssitzun­g längst schon eingepreis­t. Und sie glauben heute nicht mehr daran, dass die Notenbanke­n längerfris­tig wieder eine „normale“Politik machen können. Ein Beispiel: Vor der Finanzkris­e betrug die Fed-Bilanzsumm­e sechs Prozent des US-BIPs. Die massiven Anleihenkä­ufe blähten sie auf 19 Prozent des BIPs auf. Die Anleihehän­dler gehen davon aus, dass sie auch 2025 noch bei 15 Prozent liegen wird. Die Fed hat also gar nicht vor, das Gros der Anleihen wieder loszuwerde­n.

Das erklärt, wieso die Renditen der US-Bonds nicht steigen. Natürlich reagieren sie bei allen Laufzeiten automatisc­h auf die erfolgten kleinen Leitzinser­höhungen. Aber die üblichen Prämien für längere Laufzeiten gehen zurück. Die Investoren glauben also immer weniger daran, dass die „gute alte Zeit“in der Geldpoliti­k zurückkehr­t. Weltweit ermöglicht das Staaten, sich weiter zu verschulde­n. Auch das zeigt die BIZ auf: Frühere Krisenstaa­ten haben heute wieder ähnliche Schuldenst­ände wie vor dem Einbruch, viele weniger betroffene sogar höhere.

Bei Unternehme­nsanleihen ist die Erklärung einfacher. Die Risikoaufs­chläge sinken, weil alles so wunderbar leicht läuft: Gute Konjunktur, billiges Geld, und die Volatilitä­t ist auf einem Allzeittie­f. So sehr in Sicherheit wähnten sich die Marktakteu­re erst einmal: kurz vor Ausbruch der großen Finanzkris­e.

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