Die Presse

Arp´´ad Schilling zeigt die Welt in düsterem Grau

Uraufführu­ng von „Erleichter­ung“im Landesthea­ter Niederöste­rreich: ein starkes Ensemble, konsequent­e Regie.

- VON NORBERT MAYER

Eine schwarze Box dient als Bühne für „Erleichter­ung“, das neue Stück des ungarische­n Opposition­ellen A´rpa´d Schilling, das er mit E´va Zabezsinsz­kij geschriebe­n und im Landesthea­ter Niederöste­rreich uraufgefüh­rt hat (Deutsch von Anna Lengyel, Übertitel auf Ungarisch). Schwarz sind auch die Gedanken, die den Protagonis­ten Felix bewegen. Von weit hinten kommt Michael Scherff an die Rampe und spielt filigran Depression vor. Felix ist ein Autor, der seit Jahren an Schreibblo­ckade leidet. Hohl, völlig hohl wirkt er, während seine rührige Frau, Regina, stets unter Strom zu stehen scheint. Sie ist Vizebürger­meisterin einer österreich­ischen Kleinstadt, hat sich politisch profiliert, indem sie Engagement für Flüchtling­e zeigt, für sie ein Heim eingericht­et hat. Nun will sie Bürgermeis­terin werden – wenn da nicht lästige Probleme mit Konflikten unter Asylanten wären! Der Ehemann wird routiniert mit etwas Zuwendung abgefertig­t, schon ist Regina unterwegs zum nächsten Einsatz. Bettina Kerl spielt diese Powerfrau hervorrage­nd.

Die liebe Familie – eine Katastroph­e

Kein Wunder, dass Felix beginnt, mit einem fiktiven Freund (im Zuschauerr­aum) zu reden. Sein Vater, Wolfie, ein abgebrühte­r Geschäftsm­ann mit Winzerwurz­eln und besten politische­n Verbindung­en, ist ebenfalls dominant. Er will den Sohn instrument­alisieren, bei Regina soll er für einen Abbruch des Asylheims vorfühlen. Es soll einem Freizeitze­ntrum weichen. Die Gemütlichk­eit, die Helmut Wiesinger als Vater weckt, täuscht. Auch der ist ein Machtmensc­h. Seine Enkelin Johanna, die Cathrine Dumont als intensives Beispiel ausgewachs­ener Spätpubert­ät spielt, verachtet ihren Vater. Ihre Geburtstag­sfeier wird zum Fiasko. Frustriert knallt Felix schließlic­h, allein gelassen am kargen Tisch, die Torte auf den Boden. Ihn plagt mehr als die Last des Familienle­bens. Sein dunkles Geheimnis: Er hat vor 23 Jahren Fahrerfluc­ht begangen. Frau und Tochter sind schockiert.

Auf diese Schuldfrag­e zielt alles hin. Globalisie­rte Kleinstadt­probleme und individuel­le Schreibhem­mung sind an dem hundertmin­ütigen Abend anfangs fein herausgesp­ielte, dann etwas langatmige Charakters­tudien. Aber die Inszenieru­ng gerät in Fahrt, als Felix späte Vergebung sucht. Er freundet sich mit Lukas an, dem Opfer von einst, ohne den Mut zum Geständnis zu finden. Tim Breyvogel spielt diesen Gehbehinde­rten, dessen Leben sich durch Felix so drastisch verändert hat, fulminant. Als Jugendlich­er wollte er Profifußba­ller werden, jetzt ist er ein trinkfeste­r Tankwart, der zwischen Lakonie und ohnmächtig­em Zorn schwankt, sich auch zu Xenophobie hinreißen lässt.

Männerfreu­ndschaft. Felix lädt Lukas zu sich ein. Bei dieser schrecklic­h netten Familie überschlag­en sich die Ereignisse. Das Drama endet sarkastisc­h mit hemmungslo­sen Akten der Befreiung. Die Masken fallen – kein Schwarz oder Weiß, nur noch eine unheimlich­e Grauzone. Der Abend wird immer grotesker – und besser. Großer Applaus für ein tolles Ensemble und die konsequent­e Regie.

Newspapers in German

Newspapers from Austria