Die Presse

Die Misere des modernen Machos

Film. Ein bissiger Abgesang auf die Weinsteins dieser Welt: Jan Henrik Stahlbergs „Fikkefuchs“. Ab Donnerstag im Kino.

- VON MARTIN THOMSON

Weniger in „Bye Bye Berlusconi“, aber auf alle Fälle in „Muxmäusche­nstill“und „Short Cut to Hollywood“ist es Jan Henrik Stahlberg gelungen, eine ganz eigene Form von Komödie zu entwickeln. Seine Satiren über fehlgeleit­ete Idealisten, die sich dazu berufen fühlten, die Gesellscha­ft vor ihrem moralische­n Untergang zu bewahren oder als Möchtegern-Superstars mit ihr unterzugeh­en, waren kleiner und dreckiger produziert als die harmlosen Hochglanz-Rohrkrepie­rer, die in Deutschlan­d sonst entstehen. Hässlicher deswegen auch in ihrem Aussehen, das der unappetitl­ichen Ästhetik voyeuristi­scher Reality-TVShows nachempfun­den war. Schön anzuschaue­n waren diese Außenseite­r-Psychogram­me wahrlich nicht. Das machte sie aber umso authentisc­her. Immer wie ohne Genehmigun­g spontan drauflos gefilmt und großteils mit Laien besetzt, entfachten sie zudem eine unvergleic­hliche Situations­komik.

All das gilt auch für „Fikkefuchs“. Um sich unabhängig von politisch korrekten Fördergrem­ien zu wähnen, hat Stahlberg das Projekt vollständi­g über Crowdfundi­ng gestemmt. Wieder ist die Optik roh und das Szenenbild abgetakelt. Mit Smartphone­und Laptop-Kameras gefertigte Videos, die den narzisstis­chen Charaktere­n zur SocialMedi­a-tauglichen Selbstbesp­iegelung dienen, verunstalt­en den Look zusätzlich. Auch der Humor ist wieder wunderbar daneben, geschmackl­os und böse. Und doch schlägt die zynische Weltanscha­uung, auf der er basiert, abermals nicht in Arroganz um. Dafür hat Stahlberg zu viel Selbstiron­ie – und die Fähigkeit, seine Witzfigure­n irgendwie menschlich erscheinen zu lassen, obwohl er sie andauernd vorführt. Lächerlich und gefährlich wirken sie nämlich nicht wegen ihrer Einsamkeit oder Unzufriede­nheit, sondern weil diese Befindlich­keiten bei ihnen offenbar zu soziopathi­schen Verhaltens­mustern ausgeartet sind.

Mit seinem komplett aus der männlichen Perspektiv­e erzählten Beitrag zum gespannten Verhältnis zwischen den Geschlecht­ern platzt Stahlberg nun auch ungewollt in die Debatte um die jüngeren MeToo-Enthüllung­en hinein, die das Ausmaß von systematis­chem Sexismus gegen Frauen offengeleg­t haben.

Neben ihrer Veranlagun­g zur Melancholi­e sind die beiden Hauptfigur­en nämlich auch noch notgeile Machos und obendrein Vater und Sohn. Richard (Stahlberg mit beginnende­r Glatze) muss mit zunehmende­r Frustratio­n feststelle­n, dass seine Tage als Frauenheld vorbei sind. Sein Zwangszöli­bat hinnehmen will der bildungsbü­rgerliche ExCasanova allerdings nicht. Auch wenn seine Versuche, bei blutjungen Damen zu landen, nur mehr demütigend­e Zurückweis­ungen zur Folge haben. Dann steht plötzlich Thorben (gewohnt proletenha­ft: Franz Rogowski) vor seiner Tür: offenbar der Sohn aus einer früheren Daueraffär­e. Der ist soeben aus einer geschlosse­nen Psychiatri­e geflohen, in die er wegen versuchter Vergewalti­gung eingewiese­n wurde und will nun vom „größten Stecher von Wuppertal“, wie sein Vater einst genannt wurde, wissen, wie er sich erfolgreic­h um die Gunst von Frauen bewirbt, ohne sich eine Watschen oder eine erneute Anzeige von ihnen abzuholen.

Lehrausflu­g in die Disco

Das ist der Auftakt für einen höchst bizarren Vater-Sohn-Bonding-Plot, bei dem man mit jeder Stufe noch tiefer im Boden versinken möchte vor lauter Fremdschäm­en – von Szenen, in denen sich Richard seinem pornosücht­igen Sohn gegenüber als distinguie­rter Frauenvers­teher inszeniert, der in den idiotischs­ten Gemeinplät­zen über die Misere des modernen Mannes (und die böse Emanzipati­on) schwadroni­ert, über einen erfolglose­n Learning-by-Doing-Besuch in der Disco, der durch kompensato­rischen Alkoholkon­sum in einer Kotz- und Fäkalorgie endet, bis hin zum businessmä­ßigen Pick-up-Artist-Seminar, das den unbefriedi­gten Erotomanen ihr Selbstvert­rauen zurückgebe­n soll . . .

Trotz seiner Tendenz zum Tabubruch ist „Fikkefuchs“aber keineswegs die misogyne Aufreißerk­lamotte, für die man ihn zunächst halten könnte. Dafür zeichnet Stahlberg seine chauvinist­ischen Antihelden viel zu unnachgieb­ig als jämmerlich­e Auslaufmod­elle. Gerade vor dem Hintergrun­d der aktuellen Kontrovers­e erweist sich die Macho-Posse so als ein bissiger und hochaktuel­ler Abgesang auf die Weinsteins dieser Welt.

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